Fermi wird Bose

Der Supraleitung und Suprafluidität auf der Spur

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Innsbrucker Tieftemperaturphysiker haben offenbar den Übergang ultrakalter Atome zwischen zwei extremen Materiezuständen beobachtet – dem Fermigas und dem Bose-Einstein-Kondensat. Ein besseres Verständnis der Supraleitung, aber auch des Inneren von Atomkernen, könnte die Folge sein.

Seit einigen Jahren schon jagen ein halbes Dutzend hochkarätige Forscherteams auf der ganzen Welt einem Phänomen nach, das nur in sehr großer Nähe zum absoluten Temperaturnullpunkt auftritt: der Cooper-Paarbildung bei fermionischen Atomen.

Der experimentelle Nachweis scheint jetzt gelungen, wie C.Chin, M. Bartenstein, R.Grimm et al. von der Universität Innsbruck bzw. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Innsbruck, in Scienceexpress am 22. Juli 04 berichten. Gleichzeitig gelang es J.Kinnunen, M. Rodriguez und P.Tormä von der Universität Jyvaskylä, Finnland, das theoretische Rüstzeug so zu verbessern, dass die experimentellen Befunde schlüssig analysiert werden konnten.

Die sogenannten Cooper-Paare kennt man aus der Theorie der Supraleitung, wie sie von John Bardeen, Leon Cooper und Robert Schrieffer (BCS) 1957 formuliert wurde, wofür sie 1972 den Nobelpreis erhielten. Supraleitung tritt auf, wenn ein Material unter die sogenannte Sprungtemperatur (auch: kritische Temperatur genannt), typischerweise auf wenige Kelvin, abgekühlt wird. Die Elektronen des Leitungsbandes drängen sich dann auf den niedrigstmöglichen Energieniveaus zusammen – dazu ein kurzer Exkurs:

Bosonen und Fermionen

In der Quantenmechanik ist jedes Teilchen durch seinen Spin gekennzeichnet (das Gegenstück in der klassischen Physik ist der Drehimpuls); der Spin ist wie alle Eigenschaften gequantelt, es gibt hier nur ganzzahlige oder halbzahlige Vielfache der Planckkonstante. Die Folgen für das jeweilige Teilchen sind immens: für verschiedene Fermionen, das sind Teilchen mit halbzahligem Spin, ist es unmöglich, im selben Quantenzustand zu sein (diesem Umstand verdanken wir, dass die Elektronenhüllen der Atome nicht beliebig zusammendrückbar sind), man spricht vom Pauli-Prinzip. Teilchen mit ganzzahligem Spin, die Bosonen, können sich dagegen im selben Quantenzustand befinden - beispielsweise besteht ein Laserimpuls aus einer großen Anzahl Photonen, die ein und denselben Zustand einnehmen.

Identische Fermionen können sich also nicht am selben Ort aufhalten. Die freien Elektronen in einem Supraleiter bilden daher ein sogenanntes Fermigas, d. h alle Energiezustände sind vom niedrigsten her mit je einem Teilchen besetzt. Aber: bei Abkühlung unter die Sprungtemperatur finden sich die Elektronen paarweise zusammen, und zwar mit jeweils entgegengesetzten Spins. Die beiden Partner haben zwar dieselbe, niedrigstmögliche Energie, sind aber in puncto Spin verschieden und umgehen so das Pauli-Verbot. Die Elektronenpaare bewegen sich von nun an reibungsfrei durch das umgebende Material, der elektrische Widerstand verschwindet, denn Reibung wäre gleichbedeutend mit dem Aufbrechen eines Paares, und dafür bräuchte es eine Energie, die eines der Elektronen auf das nächsterreichbare nicht besetzte Energieniveau anhebt – doch so viel steht unterhalb der kritischen Temperatur nicht zur Verfügung. Den Phasenübergang bei der Paarbildung nennt man auch Kollaps bzw. Entartung des Fermigases.

Statt Elektronen: ganze Atome

Die Innsbrucker und ihre vielen Konkurrenten versuchten nun, das Gleiche für fermionische Atome zu beobachten, wie zum Beispiel Lithium-6, das aus drei Protonen, drei Neutronen und drei Elektronen besteht, oder Kalium-40 (19 Protonen, 19 Neutronen, 19 Elektronen). Die drei beteiligten Sorten von Elementarteilchen haben alle den Spin œ, eine ungerade Anzahl von ihnen hat also einen halbzahligen Gesamtspin. Soweit, so vergleichbar. Ein Proton ist jedoch 1836mal schwerer als ein Elektron, ein Neutron ist 1839mal schwerer. Um so massive Gebilde, wie es ganze Atome hier sind, zum reibungsfreien Bewegen aufgrund von Cooper-Paarbildung zu bringen, wurden sie auf eine Temperatur von nur 500 Nanokelvin abgekühlt, also ein Zweimillionstel Kelvin.

Es befanden sich ca. 400.000 Atome in einer optischen Teilchenfalle (laser trap).Ein äußeres Magnetfeld wurde verwendet, um die Bindung zu verstärken (Stichwort: Feshbach-Resonanz). Doch was geschieht, wenn man zwei Fermionen so eng zusammenbringt? Das Paar insgesamt hat nun einen ganzzahligen Spin und verhält sich wie ein Boson! Und Bosonen können einen gemeinsamen Quantenzutand einnehmen, man spricht vom Bose-Einstein-Kondensat (BEC). Es findet sozusagen ein Übergang zwischen Supraleitung (Fermionenpaare bewegen sich reibungsfrei) und Suprafluidität (Bosonen kondensieren in einen einzigen Quantenzustand, verbunden mit reibungsfreier Bewegung des Ensembles) statt.

Genau hier liegt sowohl die experimentelle als auch die theoretische Schwierigkeit: Die Theorie muss den Übergang von einem Zwei-Teilchen-Ansatz mit schwacher Wechselwirkung (BCS) zu einem Viel-Teilchen-Ansatz mit starker Wechselwirkung (BEC) schaffen, die Experimentatoren müssen die verschiedenen Stufen des Phasenübergangs kontrolliert herbeiführen und nachweisen.

BES vs BCS

Der Übergang fermionischer Atome von der BCS-Paarbildung, vergleichbar der Supraleitung, zu einem suprafluiden Bose-Einstein-Kondensat vollzieht sich in drei Schritten: bei Abkühlung bilden sie zunächst ein nicht entartetes Fermigas; beim weiteren Absenken der Temperatur treten zunächst wenige Cooper-Paare auf; dann verstärkt, bis keine ungepaarten Atome mehr vorhanden sind (entartetes Fermigas). In den Bereichen, wo die Paare am dichtesten gepackt sind, bildet sich aus den Paaren ein BEC, das am Ende die Mehrheit der Atome umfasst. Die drei Bereiche unterscheiden sich in ihrem Absorptionsverhalten für elektromagnetische Wellen (hier verwendete Frequenzen: ca. 80MHz) und werden so beobachtbar.

Suprafluidität ist bisher vor allem für BECs von Wasserstoff und Helium beobachtet worden (sogenannte bulk superfluidity, dabei geht es um wesentlich größere Mengen), die experimentelle Bestätigung der Theorie des BCS-BEC-Übergangs in diesem neuen Zusammenhang gibt darum zu großen Erwartungen Anlass.

Fermigase überall ?

Die Implikationen sind vielversprechend: zunächst lassen sich die theoretischen Erkenntnisse auf die Theorie der Supraleitung rückübertragen, insbesondere um das Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung zu verbessern und Materialien mit hohen Sprungtemperaturen zu entwickeln. Neutronensterne, die ausgebrannten Reste massereicher Sterne, sind nichts anderes als ein Fermigas von Planetengröße, mit der Masse einer Sonne – nur das Pauli-Verbot hindert die Neutronen daran, von der Schwerkraft noch enger zusammengedrückt zu werden.

Das Verhalten der Materie in Atomkernen, also der Protonen und Neutronen, könnte ebenfalls besser verstanden werden. Die am Rennen beteiligten Arbeitsgruppen dürften jede noch einige Etappensiege einfahren können!