Feuerkugel Neuschwanstein

Rätselhaftes Objekt aus dem Weltall

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Im vergangenen Jahr machte eine Sterneschnuppe über Bayern Furore. Sie wurde von allen Seiten fotografiert und nach einer ausführlichen Suche wurde nicht weit vom Märchenschloss Ludwig II. ein Meteorit gefunden. Inzwischen steht fest, woher er kam, aber trotzdem bleibt das kleine Objekt aus dem Weltall rätselhaft.

Neuschwanstein Meteorit, Bild: Dieter Heinlein, DLR Europäische Feuerkugelnetz

Am Abend des 6. April 2002 sichteten viele Menschen, aber auch das professionelle Feuerkugelnetz des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine helle Leuchtspur am Himmel, die auf einen größeren Meteor hinwies. Die Aufregung in den Medien war groß (vgl. Rätselhafte Lichtblitze über Süddeutschland waren gar nicht so rätselhaft). Es handelte sich definitiv nicht um die Raumschiffe von Außerirdischen, die in Füßen landen wollten, sondern um einen Stück interplanetarer Materie, das beim Eintritt in die Atmosphäre der Erde größtenteils verglühte. Vermutlich fielen aber einige Bruchstücke in das Gebiet der bayerischen Alpen, zwischen Garmisch-Partenkirchen und Schwangau. Der dunkle Gesteinsbrocken, den eine Frau kurz darauf der staunenden Öffentlichkeit präsentierte, war allerdings völlig irdischen Ursprungs, es handelte sich um Überreste von Teer vom Straßenbau.

Aber die 25 Kameras des Feuerkugelnetzes in Deutschland, Tschechien, Slowakei, Belgien, Schweiz und Österreich hatten die Bahn der Sternschnuppe genau aufgezeichnet. Das Netz überwacht ständig den Himmel über Mitteleuropa. Das Prinzip ist sehr einfach: Kameras sind nicht auf den Himmel gerichtet, wo sie nur jeweils einen Punkt wahrnehmen könnten, sondern auf einen stark gewölbten Spiegel, der die komplette Himmelshälfte über dem Beobachtungsgebiet reflektiert. Sie sind im Abstand von je ca. 100 km aufgestellt und decken eine Fläche von etwa 1 Million Quadratkilometer ab. Das System besteht seit mehr als 40 Jahren und registriert mehr als 50 Meteore jährlich.

Nur sehr selten sind sie aber groß genug, um wirklich auf die Erdoberfläche aufzuprallen, meistens verglühen die interplanetaren Körper aus Eis, Stein oder Metallverbindungen auf ihrem Weg durch die Luft vollständig. Nur vier schafften es in den vergangenen 44 Jahren bis auf die Erde.

In der Sprache der Astronomie ist ein Gesteinsbrocken, der zwischen den Planeten unseres Sonnensystems kreist, ein Meteroid. Zum Meteor wird er, wenn er in die Erdatmosphäre eintritt. Der hellen Spur, die er dann am Nachthimmel verursacht, verdankt er den umgangssprachlichen Namen Sternschnuppe; große und sehr lange leuchtende Meteore werden Feuerkugeln genannt. Wenn ein Bruchstück oder Rest auf der Erde aufprallt, wird er als Meteorit bezeichnet. Besonders interessant sind diese Objekte aus dem All für die Astronomen, weil sie Rückschlüsse über die Entstehung und die Entwicklung des Sonnensystems ermöglichen.

Mithilfe der Aufzeichnungen des Feuerkugel-Netzes gelang es, das Gebiet zu umreißen, in dem Stücke der Sternschnuppe gelandet sein könnten. Das DLR ließ verlauten: ‹Die gemeinsame Auswertung aller Aufnahmen zeigt, dass die etwa 92 km lange Flugbahn des Meteors in einer Höhe von etwa 85 Kilometern beginnt und in einer Höhe von 15,8 km über dem Boden endet. Die Geschwindigkeit des Meteors beim Eintritt in die Atmosphäre (unter einem Winkel von etwa 50°) betrug 20,9 km/s. Der Meteor wurde durch Reibung mit den Luftteilchen der Atmosphäre stark abgebremst; seine Geschwindigkeit am Endpunkt der Leuchtspur war 4 km/s. Wegen der ungewöhnlich großen Eindringtiefe des Meteors in die Atmosphäre (die meisten Meteore verglühen in der Hochatmosphäre) wird vermutet, dass Reste (so genannte Meteorite) den Absturz überstanden und den Boden erreicht haben. Die Rechnungen zeigen, dass das Hauptfragment eine Masse von etwa 15-20 kg hatte."

Verschiedene Suchtrupps machten sich auf den Weg und fanden in dem bergigen Gelände zwar nicht den Hauptbrocken, aber in der Nähe von Schloss Neuschwanstein ein 1,75 kg schweres Stück (vgl. Erster "planmäßiger" Meteoritenfund in Deutschland, DLR untersucht Meteorit "Neuschwanstein" vom 6. April).

Der Meteor Neuschwanstein wurde seither systematisch untersucht und in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature veröffentlichen Pavel Spurny vom tschechischen Ondrejov Observatorium, Jürgen Oberst vom Institut für Weltraumsensorik und Planetenerkundung des DLR sowie Dieter Heinlein vom Europäischen Feuerkugelnetz ihre Resultate. Die Analyse der Flugbahn von Neuschwanstein hat ergeben, dass er aus dem gleichen Orbit stammte wie der Pribram-Meteorit.

Bahn von Neuschwanstein und anderen Meteoren rund um die Sonne, Grafik: Dr. Pavel Spurny, Astronomical Institute of the Academy of Sciences, Ondrejov, Tschechien

Dieser Meteor war am 7. April 1959 vom Feuerkugelnetz fotografiert worden, wenig später wurde ein 4,5 kg schwerer Brocken in einem Feld in der damaligen Tschechoslowakei nahe dem Ort Pribram gefunden.

Die nun vorliegenden vergleichenden Analysen zeigen allerdings, dass entgegen der Erwartung die beiden Meteoriten zwar aus der gleichen Flugbahn um die Sonne stammen, aber völlig verschieden sind. Neuschwanstein ist körniger und von seinen chemischen Hauptbestandteilen her völlig anders zusammen gesetzt. Er war bis zu seinem Einschlag in der Nähe des bayerischen Schlosses 48 Millionen Jahre lang im Weltraum unterwegs, während Pribram gerade erst 12 Millionen Jahre alt ist. Spurny und Kollegen vermuten, dass im gemeinsamen Orbit von Neuschwanstein und Pribram ein heterogener Meteoriden-Schwarm kreist, also Bruchstücke verschiedener Asteroiden. Es wird künftiger Untersuchungen des Neuschwanstein-Meteoriten und weiterer Daten über die Asteroiden und Meteoriden im Pribram-Schwarm bedürfen, um mehr Klarheit zu erhalten.