Fluchthelfer, Schlepper und Schleuser

Banner in der Kongresshalle der Münchner Kammerspiele, Veranstaltungsort der Internationale Schlepper- und Schleusertagung (ISS). Foto: Andrea Naica-Loebell

Ein Bericht von der 2. Internationalen Schlepper- und Schleusertagung (ISS) in München

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Am vergangenen Wochenende fand in München die 2. Internationale Schlepper- und Schleusertagung (ISS) im Rahmen des dreitägigen Open Border Kongresses der Kammerspiele statt. Das Ganze verstand sich als Auftakt des Munich Welcome Theatre, mit dem der neue Intendant Matthias Lilienthal "das städtische Theater auf allen Ebenen des Betriebs für den Themenkomplex Flucht, Ankunft und Asyl" als aktuell zentrale gesellschaftliche Herausforderung öffnen möchte.

Ziel ist dabei nicht nur der theatrale Anstoß, um das Publikum zum Nachdenken über das Schicksal von Geflüchteten, Einwanderungspolitik und die europäische Asylpraxis zu bringen, sondern auch Geflohene aktiv miteinzubeziehen, sie in dem Prozess zur sozialen, kulturellen und politischen Teilhabe zu unterstützen, und sie konkret mit Theatermitarbeitern und Zuschauern zu vernetzen.

Entsprechend weit gefächert gestaltete sich das Programm des Kongresses: Performances, Vorträge, Workshops, Filmprogramm, Theater, Diskussionen und Vernetzungstreffen wie die Refugee Friedenstafel oder die Culture Kitchen - sowie die Internationale Schlepper- und Schleusertagung, die zuvor bereits einmal 2003 in Graz stattfand.

Damals erregte sie allerdings nicht derartig viel öffentliche Aufmerksamkeit, obwohl das Thema Schleuser und Schlepper schon intensiv diskutiert wurde. Aber es war vor rund zehn Jahren kein großer Flüchtlingstreck auf dem Weg nach Mitteleuropa, die Medien brachten nicht täglich Bilder Hunderter erschöpfter Menschen, die sich irgendwo auf der "Balkanroute" trotz Zäunen und Blockaden, umringt von Polizei oder Soldaten, ihren Weg bahnen.

Man könnte sagen, dass mehrere europäische Staaten in den vergangenen Wochen als offiziell legitimierte Schleuser im großen Stil aktiv waren, indem sie massenhaft Geflohene in Busse oder Züge setzten, um sie schnell durch ihre Länder zu befördern (vgl. Nationalstaaten als die besseren "Schleuser").

Gleichzeitig hat die Europäische Union sich gegen die Fortsetzung der italienischen Seenotrettungsmission im Mittelmeer (Mare Nostrum) entschieden und setzt stattdessen auf eine militärisch geprägte Mission, die sich ausdrücklich vor allem dem "Kampf gegen Schleusungen" verschrieben hat.

Motiv der 2. Internationalen Schlepper- und Schleusertagung (ISS) mit dem Portrait von Lisa Fittko

Vielleicht haben deshalb einige Politiker laut gegen die Internationale Schlepper- und Schleusertagung an den Münchner Kammerspielen protestiert. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann verkündete, es handle sich um "fehlgeleitete Politpropaganda" und vermutete eine unerträgliche Verharmlosung der "Schleusermafia und ihrer brutalen, menschenverachtenden Methoden".

Besorgte Bürger initiierten zudem die Petition Keine Steuergelder für die Schlepper- und Schleusertagung ISS 2015 in München - und die AfD schickte am Eröffnungstag sogar ein kleines Protest-Trüppchen unter dem Motto "Schleusen tötet!" vor die Tore der Kammerspiele in der Maximilianstraße.

Dieser sehr selten gewordene politische Protest gegen eine Kulturveranstaltung brachte dem Projekt viel mediale Aufmerksamkeit und bereits vorab ein ausverkauftes Haus.

Fluchthelfer und Schleuser

Die Ankündigung der Tagung war provokativ und ironisch, eine satirische Inszenierung, ästhetisch verpackt wie das Treffen eines Dienstleistungs-Branchenverbandes:

Die ISS 2015 präsentiert sich erneut als DIE relevante Fachtagung der weltweit agierenden Fluchthilfe-Unternehmen. Wichtigstes Tagungsziel 2015 ist die Image-Aufwertung sowie die damit einhergehende Neubewertung der Dienstleistungen Schleppen und Schleusen. In vier thematischen Panels werden internationale Expertinnen und Experten den historischen und begrifflichen Perspektivenwandel des Gewerbes veranschaulichen, die aktuelle Fluchthilfe-Praxis vorstellen, die entsprechenden juristischen Interpretationen und die damit einhergehende Kriminalisierung thematisieren sowie einen fundierten Ausblick auf aktuelle Kampagnen- und Kunst-Strategien wagen.

Aber natürlich handelte es sich bei der 2. Internationale Schlepper- und Schleusertagung nicht um einen Kongress der Spitzenmanager des organisierten Verbrechens, sondern um ein Informations- und Austauschforum von und für Wissenschaftler, Aktivisten, Journalisten und Künstlern, die sich intensiv mit dem Themenkomplex auseinandersetzen.

Der Unterschied zwischen Fluchthelfern und Schleusern ist vor allem die Wertung, die Kriminalisierung, stets abhängig vom historischen und politischen Kontext. Ein Fluchthelfer ist ganz wertfrei jemand, der anderen zur Flucht verhilft. Der Begriff Schleuser ist dagegen negativ besetzt, und beschreibt laut Duden jemanden, der andere "gegen Bezahlung illegal von einem Land in ein anderes bringt".

Gesetzlich fest geschrieben ist in der Bundesrepublik das Einschleusen von Ausländern in § 96 des Aufenthaltsgesetzes, wobei hier Bezahlung gar nicht im Vordergrund steht. Bestraft werden kann grundsätzlich, wer "dafür einen Vorteil erhält oder sich versprechen lässt, oder wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt".

Wer einen noch nicht registrierten Flüchtling im Auto mitnimmt, sollte also sehr vorsichtig sein und lieber keine Schachtel Zigaretten als Dank annehmen - und mehr als einen Flüchtling zu chauffieren, ist ebenso gefährlich und kann einem eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe einbringen.

Die Tagung schaute am ersten Abend in die Vergangenheit der Fluchthilfe. Gewürdigt wurden neben DDR-Fluchthelfern u.a. der Schweizer Polizist Paul Grüninger, der ab 1938 Tausenden vor allem jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland das Leben rettete, indem er sie "illegal" in die Eidgenossenschaft einreisen ließ. 1939 verlor er deswegen seinen Arbeitsplatz und wurde kurz darauf zu einer Geldstrafe verurteilt.

Nun war er ein Krimineller, sein Leben ruiniert, verarmt starb er 1972. Erst 1993 wurde er offiziell rehabilitiert. Lisa und Hans Fittko verhalfen während des Zweiten Weltkriegs Hunderten von Menschen zur Flucht vor der deutschen Besatzung in Frankreich über die Pyrenäen nach Spanien.

Verschiedene Ansätze von Schleusen und Schleppen

Nach Lisa Fittko ist der Preis Goldene Lisa benannt, der am folgenden Tag von der ISS im Rahmen einer Gala in drei Kategorien verliehen wurde. Für ihr Lebenswerk bekam ihn Maria Eitz, die viele Kinder rettete. Die Kampagne Refugee Air erhielt ihn in der Kategorie Innovativ für ihre Forderung nach humanitären Reisewegen. Und das Kollektiv Erszebeth Szabo wurde mit einer Goldenen Lisa für ihre Aktion Konvoi Budapest-Wien/Schienenersatzverkehr für Flüchtlinge ausgezeichnet.

Diese ausgezeichneten Beispiele verdeutlichen die verschiedenen Ansätze von Schleusen und Schleppen, verschiedenen Formen zivilen Ungehorsams, immer in der Gefahr durch die Hilfeleistung kriminalisiert zu werden. So wurden österreichische Autofahrerinnen in Ungarn festgenommen, als sie Flüchtlinge nach Wien transportieren wollten.

ISS-Podium Kriminalisierung: Axel Nagler (Rechtsanwalt und Notar), Stefan Buchen (Journalist), Harald Glöde (borderline europe e.V.), Stefan Schmidt (Integrationsbeauftragter, ehem. Kapitän der Cap Anamur), Katarzyna Winiecka (Künstlerin und Aktivistin). Foto: Andrea Naica-Loebell

Und erst kürzlich machte die Kommunikations-Guerilla mit einer Hoax-Pressemitteilung Schlagzeilen, die Billigfluglinie Ryanair wolle Geflohene ohne Visa befördern und alle Folgekosten übernehmen, weil sie damit praktische Unterstützung in einer humanitären Notsituation leisten wolle - nicht nur dpa brachte die lancierte Ente.

Gibt es heute überhaupt noch eine Flucht nach Europa ohne Hilfe? Durch die enorme Aufrüstung mit Zäunen, Überwachung und Kontrollen an den europäischen Außengrenzen ist es praktisch fast unmöglich geworden, es ohne Helfer zu schaffen.