Flugzeug und Raumrevolution

Von Christoph Asendorfs Analyse der Wirkung der Luftfahrt auf Kultur der Moderne zu einer zeitgenössischen Betrachtung einer raumzeitlichen Raketen-Wirklichkeit der Schwerelosigkeit

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Das Wort "Super Constellation", das für 4-motorige Langstreckenflugzeuge der Firma Lockheed steht, die bis Anfang der 60er Jahre zu den wichtigsten Verkehrsflugzeugen zählten, bildet den Beschreibungsrahmen für Christoph Asendorfs Wirkungsanalyse der Luftfahrt. Der Autor entführt seine Leser über die Analogie zur Luftfahrt in eine Parallelwelt, von der aus ein anderer Zugang zur Beschreibung kultureller und ästhetischer Entwicklungen möglich erscheint. "Super Constellation" bildet dabei ein Metamodell für die Vorstellungskraft und die Innovationsfähigkeit von Designern. Die dritte Dimension hat hierbei für Asendorf nichts Geringeres ermöglicht als eine Art integralen Blick auf die Raumrevolution, einen Begriff, den er dem Wortrepertoire des wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit nicht unumstrittenen Carl Schmitt entlehnt hat.

Super Constellation Titelbild des Buches

Während die Henry Ford-Generation in die großen Städte wie New York und Chicago migrierte, wanderte die Bob Hope-Generation in die Vorstädte aus, wodurch erst Riesenstädte wie Los Angeles entstehen konnten. Die heutige Generation der Baby-Boomer verlässt jedoch zusehends die Sub-urbs ihrer Eltern und bevorzugt sogenannte Ex-urbs bzw. kleine Städte. Zukünftig wird sich dieser Trends möglicherweise in die Umlaufbahnen und die dort kreisenden Space-urbs sowie in die Endo-urbs nomadischer Wissensarbeiter verlagern.

Unterstützt wird dieser Trend vor allem durch die heute zur Verfügung stehenden mobilen Technologien, die eine Vielzahl von Prozessen in exponentieller Weise beschleunigen. Sollte es ein Zufall sein, dass das von Eero Saarinen designte Jefferson National Expansion Memorial in St. Louis, USA, eine Parabelform aufweist? Ist doch die Geschichte der amerikanischen Wirtschaft voll von parabelförmigen Kursverläufen und deren gespiegelten Versionen.

Die große Zivilisationsmaschine

Propeller- und Jet-Triebwerke waren im zurückliegenden Jahrhundert der verlängerte Arm einer großen Zivilisationsmaschine, wie sie eindrucksvoll von Fernard Léger beschrieben wurde. Das Zeitalter der dritten Dimension hat hierbei die Welt zu einer Projektionsfläche gemacht, deren extremste Form im 20. Jahrhundert in Form von Hitlers Lebensräumen im Osten zum Ausdruck kam. Der Nationalsozialismus degenerierte aus einer dreidimensionalen Perspektive des Speerschen Größenwahns hin zu einer zweidimensionalen Welt der "Flachdenker", die Menschenmassen im Rahmen eines kriegerischen Schachspiels in den Untergang trieben.

Stalingrad wurde nicht nur zum Symbol für die Sinnlosigkeit von Durchhalteparolen, sondern auch zum verzweifelten Kampf der Zurückgebliebenen, das letzte Flugzeug in die Freiheit besteigen zu können. Die Ju-52, das Arbeitspferd der Luftwaffe, war die letzte Brücke, dem beinahe sichereren Tod doch noch zu entkommen. Tod und Leben sind die beiden Extreme der Fliegerei, deren Pole der Bombenterror auf Dresden und die Rosinenbomber der Amerikaner im Rahmen der Berliner Luftbrücke bildeten.

Kamera und Flugzeug bilden eine neue Einheit

Für Asendorf stellen das Flugzeug als Transportmittel und die Kamera als Informationsmittel eine Einheit dar, um den Raum zu erfassen. Im Rahmen des Irak- und Kosovo-Krieges zeigte sich diese neue Einheit auch zwischen der Rakete als Zerstörungsmittel und dem künstlichen Auge als Zielerfassungssensorium. Kriege sind nicht von ungefähr mittlerweile zu Online-Kriegen avanciert, bei denen jeder Zuschauer bis zur Sekunde der Detonation der Bombe, die auch dem künstlichen Auge den Garaus macht, dabei sein kann. Wegen der Selbstzerstörung des Auges bleibt uns jedoch der unmittelbare Anblick des Grauen nach dem Einschlag erspart.

Asendorf geht es um das Aufzeigen einer visuellen Kultur, die die Ästhetik der dritten Dimension in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Hierbei wird die Ästhetik zu einem Zeitzeugen des Chaos, der Vernichtung und eines menschenunwürdigen Wildwuchses, der heute zu den Ghettos in den Entwicklungsländern geführt hat. Die Funktionalisierung unserer Gesellschaft und die Herausbildung von Slums wurde somit im besonderen durch die dritte Dimension sichtbar gemacht. Diese ermöglichte das Einnehmen einer Superbeobachterposition für die Erschließung der Räume.

StarWars durch Metabeobachtung

Die "Dritte Dimension" ist für die Entwicklung der Militarisierung und Industrialisierung von entscheidender Bedeutung. Asendorfs Buch gibt einen Ausblick für ein Denken aus der Höhe, welches sich zunehmend in die Umlaufbahnen des Planeten und die virtuelle Höhenposition eines mit Simulationen spielenden Superbeobachters begibt. Genau diese Positionierung von der Höhe ist es, welche das Titelbild seines Buches in Form von Norman Bel Geddes' Futurama ausdrücken soll, bei dem das Publikum von einer Metaebene aus auf eine künstliche Millionenstadt blicken kann.

Hollow Man

Da es immer einige Jahrzehnte dauert, bis ein neuartiges Verkehrsmittel in das Bewusstsein der Menschen vordringt, wird auch das Vordringen des Bit-Transportmittels Internet, welches uns auf virtuelle Raumtrajektorien führt, diesen Zeithorizont für die Revolutionierung des Raumempfindens benötigen. Dass die Epoche der Neudefinitionen des Raumbegriffes längst nicht zu Ende ist, wird in den physischen Welten durch die Zunahme der Raumflüge und die ehrgeizigen Pläne für den Aufbau eines Verteidigungssystems aus dem Weltraum sichtbar; in den virtuellen Welten erschließen Simulationen und hochkomplexe physikalische Superstring-Theorien mittlerweile 11-dimensionale Raumbetrachtungen.

Immer leistungsfähigere Rechner ermöglichen es mittlerweile sogar, Soldaten unsichtbar werden zu lassen, indem der Ausschnitt, den diese durch ihre Anwesenheit für einen Beobachter verdecken, auf deren Rücken abgebildet wird. Die Ästhetik des für das Radar unsichtbaren Stealth-Bombers, erhält plötzlich durch den unsichtbaren Soldaten in Form des "Hollow Man" ihr ultimatives Pendant, das den Menschen im Rahmen des Cyberspace endgültig zu einem Simulacron einer Matrix degeneriert. Plötzlich sind die Superbeobachter, wir könnten diese "Predator"-Typen ohne Skrupel auch Superspione oder Cyberkrieger nennen, in unsichtbarer Weise unter uns.

Predator

Das V2-Syndrom

Die angeblichen Geheimwaffen der Beschleunigung, des schnellen Vorpreschens sowie des exponentiellen Wachstums haben einen entscheidenden Nachteil: die Parabolik der Umkehr. So wie jede Rakete nach Erreichen ihres Scheitelpunktes auf die Erde zurückkehrt, kehren auch in der Wirtschaft Aktienkurse, die zu stark gestiegen sind, letztlich wieder auf ein normales Niveau zurück.

Dem Delta-t vor dem Aufschlag einer Rakete entspricht in der heutigen Netz-Ökonomie der Konkursantrag einer New Economy-Firma, deren Burn Rate zu einem frühzeitigen Ausbrennen des finanziellen Treibstoffes geführt hat. Nur Raketen mit einer bestimmten Fluchtgeschwindigkeit können bekanntlich die Anziehungskraft der Erde verlassen. Im Rahmen der New Economy, sind die dem Konkurs entfliehenden Unternehmen vorwiegend First Mover, deren Kapital ausreicht, um neue Umlaufbahnen zu besetzen. Der alte Begriff der Wirtschaftskapitäne hat deshalb ausgedient und wird zukünftig durch den der Wirtschaftsastronauten zu ersetzen sein.

Die von Asendorf beschriebene Eigenmacht des Entkommens der Rakete, ist in der New Economy somit das Überleben trotz der Gründerkrise. Im globalen Maßstab ist dieses Überleben jedoch nicht durch Flucht in höhere Umlaufbahnen sicherzustellen, sondern nur durch die Flucht vor der OneWorldOneOrder-Gesellschaft amerikanischer Prägung. Eine ManyWorldsManyOrder-Welt erfordert von den Völkern sich auf eine Fluchtgeschwindigkeit mit Bodenhaftung zu manövrieren, die ein Entkommen aus der Pax Americana des Neoliberalismus sicherstellt. Das Entkommen aus einem kybernetischen Versklavungsalgorithmus gelingt jedoch nur, wenn man chaotische Trajektorien auswählt, die möglichen Spionen keine Mustererkennung erlauben. Hacker wissen es schon lange: das verschlüsselte Rhizom wird zum einzigen unsichtbaren Zufluchtsort gegenüber den Überwachungstendenzen der wachsenden Zahl der "Big Brothers".

*** Bild: V2-Rakete beim Start

Entschleunigung der Prozesse

Asendorfs Botschaft ist die Kombination von technischer Innovation mit dem ästhetischem Einfall. Das ultimative Ergebnis dieser Synthese ist die Erfahrung der Schwerelosigkeit durch die Astronauten. Der Parabelflug als Simulator der Schwerelosigkeit ist die kurzzeitige Annäherung an einen Zustand, den wir nur im Weltall permanent erreichen können.

In der Luft- und Raumfahrt versucht man die Gravitation durch Anti-G-Anzüge zu vermeiden, da diese bei extremen Werten den Tod des Piloten oder Astronauten herbeiführen kann. Erst in der Schwerelosigkeit kann sich der Mensch scheinbar frei von den Gefahren fühlen, in die ihn der Rausch der Geschwindigkeit geführt hat. Zwar kann die Schwerelosigkeit nur "rasend" erreicht werden, jedoch ermöglicht das Entkommen aus Gravitationsfeldern und das Zünden von Bremsraketen die notwendige Entschleunigung.

Weltwirtschaftskrisen entsprechen im Kontext einer raumzeitlichen Raketenwirklichkeit der notwendigen Bremsrakete zur Desillusionierung der Massen. Die Odyssey in das Weltall als Ausdruck einer kybernetischen Utopie der Mobilmachung wird deshalb mit ziemlicher Sicherheit ihre Gegenbewegung in einer kybernetischen Demobilisierung finden.

Christoph Asendorf:
Super Constellation - Flugzeug und Raumrevolution.
Die Wirkung der Luftfahrt auf Kunst und Kultur der Moderne
(Ästhetik und Naturwissenschaften)
Preis: DM 78,00 EUR 39,88
Broschiert - 372 Seiten (1997) Springer Verlag Wien; ISBN: 3211828494