Folgeschäden

Ein Fernsehspielfilm über das Misstrauen im Gefolge des Terrors

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Der algerische Naturwissenschaftler Tariq und die deutsche Magazingrafikerin Maya konzentrieren sich ganz auf ihren Sohn und ihre Karriere. Doch dann wird der Vater verdächtigt, mit den islamischen Terroristen der „Hamburger Zelle“ in Verbindung zu stehen.

Sie sind eine Multikulti-Modellfamilie: Der junge Wissenschaftler Tariq Slimani aus Algerien, seine deutsche Frau Maya, Artdirectorin bei einer Illustrierten, und ihr Sohn Karim. Die unausweichlichen religiösen und kulturellen Differenzen umschiffen sie mit Humor und gutem Willen, obwohl dies nach dem 11. September 2001 zusehends schwieriger wird.

Tariq (Mehdi Nebbou) erklärt seinem Sohn Karim (Mahmoud Alame), dass er sich wehren muss. (Bild: Arte/Südwestrundfunk)

Die heile Welt bekommt erste Risse, als die Polizei Maya über ihren Mann ausfragt, weil ein Video Tariq als Gast bei der Hochzeit von Said Bahaji zeigt, einem der Koordinatoren des New Yorker Anschlags. Dass Tariq dort nur zufällig war, will man ihm nicht glauben – er wird verdächtigt, ein „Schläfer“ zu sein. Maya ist über diesen Verdacht empört.

Doch dann kommt Tariqs frommer iranischer Freund Resa zu Besuch und Maya erfährt, dass Tariq ihr Schwierigkeiten im Institut verschwiegen hat. Dort sind Ebola-Viren aus dem Labor verschwunden, worauf dem Algerier der Zugang zum Labor verboten wurde. Tariq, plötzlich das Objekt von massiven Verdächtigungen geworden, versteht die Welt nicht mehr.

Als Maya im Fernsehen von einem Terroranschlag in Paris erfährt, und Tariq zur gleichen Zeit mehrere Anrufe aus Frankreich aufs Handy erhält, wird sie mißtrauisch. Sie durchsucht seine Unterlagen und findet ein Flugticket nach Paris, das auf Tariqs Namen ausgestellt war. Sie beginnt zu glauben, dass sie ihren Mann überhaupt nicht kennt.

Maya (Silke Bodenbender, re.) stellt Tariq (Mehdi Nebbou) unbequeme Fragen (Bild: Arte/Südwestrundfunk)

„Folgeschäden“, der ein kritisches Thema aufgreift, ist Samir Nasrs Debüt als Spielfilmregisseur. Samir Nasr, Jahrgang 1968, studierte nach seinem Schulbesuch in Libyen und Ägypten an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg und drehte dort seinen ersten Dokumentarfilm „Nachttanke“ im Jahr 1999.

Seit dem 11. September hat sich das Leben für viele Menschen arabischer Herkunft in Europa und den USA massiv verändert. In einer Zeit, in der einige Medien und Politiker die Terrorangst bewusst schüren, reicht oft schon die kleinste Ungereimtheit, um einen Verdacht zu erzeugen.

Mich hat an dieser Geschichte fasziniert, wie schnell sich in dem gegenwärtigen Klima ein Verdacht verselbständigen kann – sogar unter Menschen, die sich lieben. Plötzlich wird deutlich, wie zerbrechlich Vertrauen ist und es setzt ein fataler Mechanismus ein, an dessen Ende man dem Partner alles zutraut.

"Folgeschäden" erzählt auf einer privaten, intimen Ebene eine politische Geschichte. Es interessiert mich, die Auswirkungen von Politik und Zeitgeschehen auf ganz normale Menschen zu zeigen. Maya, die Hauptfigur ist eine gänzlich unpolitische Frau, doch auch sie gerät in einen Sog, aus dem sie sich nicht befreien kann. Darin ist sie stellvertretend für viele Menschen unserer Zeit - und nicht zuletzt auch für den Zuschauer.

Samir Nasr

Folgeschäden, Regie Samir Nasr, Deutschland 2004, 88 Minuten, Erstausstrahlung Arte TV, Dienstag 17. Mai 2005, 22.45 Uhr, Wiederholung: 18. Mai 2005, 1.05 (Nacht auf Donnerstag)