Form ist relativ

Auf die scheinbar einfache Frage ob Protonen rund sind, gibt es zwei richtige Antworten: Ja und Nein

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In Lehrbüchern werden Protonen rund abgebildet. In Wirklichkeit können sie aber auch aussehen wie Wassermelonen, Erdnüsse oder sogar Schmalznudeln.

Die Bewegungen der Quarks in ihrem Innern beeinflusst die Form der Protonen, Bild: Dr. Gerald A. Miller/University of Washington

Die New York Times fragte vier Physiker, ob Protonen rund sind. Auf diese scheinbar einfache Frage gibt es zwei richtige Antworten: Ja und Nein.

Es geht schon damit los, dass Physiker scheinbar schlichte Fragestellungen als nicht eindeutig betrachten. Entsprechend antwortet Robert L. Jaffe vom Massachusetts Institute of Technology:

Das ist keine klar definierte Frage, und erklärt, dass die Form, der genaue Umriss, in der subatomaren Welt kein gradliniges Konzept darstellt. Der Atomkern besteht aus den positiv geladenen Protonen und den ladungslosen Neutronen (nur das Wasserstoffatom hat nur ein einziges Proton, vgl. Aufbau der Atomhülle und des Atomkern).

Die alten Griechen hatten das Atom für die kleinste unteilbare Einheit erklärt, Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckten Wissenschaftler den Atomkern, aber in den 60-er Jahren zeigte sich, dass selbst das Proton aus Quarks besteht. Quarks sind die eigentlichen Elementarteilchen, unteilbare Grundbausteine der Materie.

Welche Form nun das Proton hat, hängt von den Quarks ab, die sich in ihm bewegen. Xiangdong Ji von der University of Maryland erläutert, dass er seinen Studenten nicht immer die gleiche Antwort auf diese Frage gibt:

Ich erzähle ihnen, dass das Proton rund ist. Das ist die Antwort, die immer noch richtig ist. Außer ich kann jemandem eine Lektion in Quantenmechanik geben. Denn in der Quantenmechanik ist Messung keine einfache Angelegenheit.

Die quantenmechanische Welt ist für den gesunden Menschenverstand äußerst verwirrend, das gilt besonders für die Heisenbergsche Unschärferelation, die besagt, dass der Ort und der Impuls eines Teilchens niemals gleichzeitig genau gemessen werden können. Daraus folgt natürlich die philosophisch anmutende Frage: wenn ein Proton nicht rund ist, aber niemand sehen kann, dass es nicht rund ist, ist es dann immer noch nicht rund?

Die Entwicklung von Teilchenbeschleunigern zur Untersuchung des Mikrokosmos ermöglichte neue Einblicke in die subatomare Strukturen. Die Daten von Protonen-Kollisionen verblüfften die Physiker. John P. Ralston von der University of Kansas erklärt:

Sie sollten sich nicht drehen, aber sie drehten sich am Ende. Es ist, als würden sie flach werden wie mit Wasser gefüllte Ballons. Das ist die einzige bekannte Vorstellung, um die Daten zu erklären.

Im Beschleuniger Thomas Jefferson National Accelerator Facility beschossen im Jahr 2000 Wissenschaftler Protonen mit Elektronen und beobachteten die Reaktionen. Jeder erwartete, dass die elektrischen und die magnetischen Eigenschaften des Protons die selbe Art von Kollision verursachen würden. Das war aber nicht der Fall. Gerald A. Miller von der University of Washington war genauso verblüfft wie seine Kollegen:

Einige Physiker dachten, dass etwas an dem Experiment falsch war und ich dachte das am Anfang auch. Aber dann erinnerte ich mich, dass die Resultate mich an etwas erinnerten, was ich ebenfalls für falsch gehalten hatte.

Seine Gruppe war 1995 zu ähnlichen experimentellen Daten gekommen und vermutete damals einen Berechnungsfehler, weil die Ergebnisse so unwahrscheinlich und im Gegensatz zu den gängigen Theorien waren.

Als er sich die Resultate der Experimente nochmals genau anschaute, entdeckte Miller, dass ein Proton wie ein Ball geformt sein kann, wie es die gängigen Physik-Schulbücher darstellen. Es ist aber ebenso möglich, dass es wie eine Erdnuss geformt ist, wie eine Wassermelone oder sogar wie eine Schmalznudel.

Im Proton befinden sich drei Quarks, zwei davon Up und eins Down (vgl. Quarks). Miller erkannte, dass die Form der Protonen von der Geschwindigkeit und der Richtung des Spins der Quarks in ihrem Innern abhängt. Er entwickelte ein Modell, um das Verhalten der Quarks und die daraus resultierenden verschiedenen Umrisse des Protons vorherzusagen. Die schnellsten Quarks, die sich fast mit Lichtgeschwindigkeit im Proton bewegen, bewirken die Ausformung ähnlich einer Erdnuss. Wenn sich die Quarks langsam bewegen, nimmt das Proton die Gestalt eines Rugby Balls an; die langsamsten bringen es in die Form eines Balls. Eine Rolle spielt aber auch der Spin, die Drehrichtung. Schnelle Quarks, die sich dem Proton entgegengesetzt drehen, führen zu einer flachen, an den Rändern gewölbten Form, die an eine Schmalnudel erinnert.

Miller dazu:

Die Quarks sind wie Sträflinge, die einer Gefängniszelle herum gehen. Sie laufen sehr schnell und wenn sie zu einer Wand kommen, müssen sie umdrehen. Wir können das indirekt sehen und messen.

Das Proton, nach den Erkenntnissen der Messungen des Elektron-Proton-Speicherrings HERA: Ein dichter Brei aus Quarks, Antiquarks und Gluonen, Bild: Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY

Ob nun gleich die Abbildungen in den Lehrbüchern geändert werden, muss sich erst erweisen. Das Proton besteht neben den Quarks auch noch aus Anti-Quarks und dem Klebstoff, der es zusammen hält, den Gluonen. Vieles an dem Zusammenwirken ist noch nicht völlig verstanden.

Es ist als würde man in ein schwarzes Loch schauen. Alles wirbelt mit superhoher Energie durcheinander.

John P. Ralston

Das Verhalten des Teilchen im Proton wird mit der weitgehend akzeptieren Theorie der Quantenchromodynamik (Quantenchromodynamik) beschrieben. Aber die Formeln sind extrem komplex, weswegen Physiker vereinfachen, indem sie die herum wirbelnden Teilchen in Gruppen zusammenfassen und dann als Einheiten behandeln. Auf dem so genannten naiven Bild des Protons, das aus den drei bezeichneten Quarks besteht, basiert Millers Ansatz zur Beschreibung der verschiedenen Formen.

Die Wissenschaftler am Thomas Jefferson-Beschleuniger hoffen in ein paar Jahren so weit zu sein, dass sie Kollisionen von Protonen mit Elektronen höherer Energie verursachen können, um dann eine Art Foto des Vorgangs und der Formen zu erhalten.