Fragile Sicherheit

Irak: Gated Communities statt nationaler Einheit und neuerlicher Anstieg von Gewalt

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Gestern haben Gespräche zwischen den USA und dem Irak über die Zukunft der Besatzung begonnen. Zur Verhandlung stehen in den Worten des irakischen Außenministeriums: "Vereinbarungen und Arrangements über langfristige Zusammenarbeit und Freundschaft, einschließlich Abmachungen zur befristeten Präsenz der amerikanischen Truppen im Irak". Etwas weniger diplomatisch formuliert geht es darum, wie lange die amerikanischen Truppen in welcher Stärke im Irak bleiben und ob sie permannete Militärbasen einrichten wollen.

Das UN-Mandat, unter dem die Amerikaner und ihre Verbündeten offiziell abgesegnet im Irak operieren, endet dieses Jahr. An seine Stelle sollen, was die USA angeht, bilaterale Abmachungen treten. Schon Mitte November letzten Jahres haben sich Premierminister Maliki und US-Präsident Bush darüber verständigt, man kann davon ausgegehen, dass die bilateralen Verhandlungen noch eine geraume Zeit in Anspruch nehmen werden. Letzte Worte werden also noch lange nicht gesprochen, weswegen die überraschend forsche Einlassung Malikis, wonach die Rechtfertigungsgründe für die amerikanische Präsenz durch das frühere Regime ja weggefallen seien, unter Verhandlungspoker eingereiht werden kann. Vieles spricht dafür, dass die USA länger im Irak bleiben als Maliki an der Macht.

Bislang war Irak nicht das erwartete große Thema im amerikanischen Wahlkampf. Das könnte sich aber ändern. Zwar mögen die gesunkenen Anschlags-und Opferzahlen, die das Pentagon gestern dem Kongress berichtete, die Erfolgsgeschichte bestätigen, welche die amerikanische Führung seit einiger Zeit vom Irak erzählt.

So meldet der aktuelle vierteljährliche Bericht des Verteidigungsministeriums, dass die Anschläge auf US-Truppen im Juni 2007 noch bei 180 lagen, während sie im Januar dieses Jahres auf durchschnittlich 60 gesunken sind. Die Zahl der Opfer von bürgerkriegsähnlicher Gewalt ist demnach um 90 Prozent seit dem Bericht vom Juni 2007 gesunken, die Zahl der zivilen Toten und der Toten der Koalitionstruppen ist um über 70% gefallen.

Doch mahnte der Bericht an, dass die verbesserte Situation nicht unumkehrbar sei und die Sicherheitslage fragil bleibe. Die letzten Tage bestätigten dies. Die Zahlen steigen wieder: Gestern wurden über 40 Tote aus dem Irak gemeldet, darunter drei amerikanische Soldaten. Auch der Bericht aus dem Verteidigungsministerium notierte die Tendenz, dass es seit Januar wieder mehr Gewalt gebe. Als Gründe werden mehr offensive Operationen der US-Truppen gegen Widerständler in Nineveh und Diyala genannt.

Während Mitglieder der Regierung den Erfolg, das Nachlassen der Gewalt im Irak, der amerikanischen Strategie zuschreiben, warnen Beobachter davor, wesentliche Faktoren für die relative Ruhe zu übersehen. Diese sei vor allem auch Muktada as-Sadrs Waffenstillstand zuzuschreiben, die Kooperation der sunnitischen Awakening-Gruppen – ein weiterer Faktor – sei eine temporäre und ziemlich fragile Sache, die zudem keine Gewinne erbracht habe, was die innere Einheit Iraks angehe. Die Sunniten würden von einer iranischen Regierung sprechen, wenn sie die Regierung Maliki meinen. Viele Stadtviertel in Badgad seien zu gated Communities geworden, zu ethnisch gesäuberten Zonen, so Nir Rosen, ein Journalist, der für seine Reportagen aus dem Land bekannt ist. Die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen haben demnach nicht nachgelassen.

You have what Americans call gated communities, effectively a Somalia-alike situation, where you have different neighborhoods surrounded by walls, controlled by a militia or a warlord. And they're sectarianally pure, all Shia, all Sunni. There's no reconciliation between the two communities.

Auch über die negative Wirkung der Besatzung dürfe man sich nicht täuschen, gab Rosen bei einem TV-Auftritt zu verstehen, selbst wenn man nicht leugnen kann, dass die amerikanische Präsenz möglicherweise einige Gewalt verhindere:

A foreign occupation is never a positive thing. It's a systematic violence that's imposed on an entire nation. Now, the American occupation was much more brutal the first few years, that's true. Abu Ghraib-like scandals aren't happening anymore. They've slightly softened their approach, but they're still killing innocent Iraqis everyday. They're dropping bombs on Iraq. They have 24,000 Iraqis in American-run prisons. They haven't been charged with anything. They haven't been found guilty of anything. So still a very oppressive, systematic violence that Iraqis are enduring. However, it's true that the American presence does mitigate some of the violence that would otherwise occur between Iraqis.