Frankensteins Fingerabdrücke

In den USA wurde die zweite Handverpflanzung vorgenommen, deutsche Kliniken wollen diesen Eingriff noch in diesem Jahr vornehmen

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Die Transplantationsmedizin, die allerdings nicht unumstritten ist, macht enorme Fortschritte. Die Verpflanzung einer Hand fand 1998 das erste Mal statt und wurde viel diskutiert, weil die Öffentlichkeit sich offensichtlich an Dr. Frankenstein erinnert fühlte.

13-stündige Operation

Während Herz-, Leber- oder Nierentransplantationen heute grundsätzlich akzeptiert sind, entbrannte die Debatte ausgerechnet über ein im Grunde entbehrliches Körperteil. Diese Transplantationen sind nicht lebenswichtig, umso sorgfältiger muss ihr Sinn geprüft werden. Blanke Ironie ist es, dass sich der erste Empfänger einer fremden Hand, Clint Hallam, diese vor wenigen Tagen in London wieder amputieren ließ. Im Gegensatz zu einem inneren Organ ist die Hand ein Stück des eigenen Körpers, auf das der eigene und fremde Blicke automatisch und immer wieder fallen. Ein fremder Teil des Selbst, der sich nicht unter der Haut versteckt. Und nicht zuletzt sind unsere Fingerabdrücke etwas, das wir für unveränderliche Kennzeichen unserer Identität halten.

Der Neuseeländer Hallam bekam im Sommer 98 von einem Chirurgenteam in Lyon die Hand eines verunglückten Motorradfahrers. Zuerst verlief das Anwachsen und die Entwicklung der Funktionalität gut, aber der Patient bekam zunehmend körperliche und psychische Probleme. Er empfand seine neue Hand als Fremdkörper und verweigerte die Einnahme der Medikamente zur Immunsuppression, die nötig sind, um eine Abstoßung des Fremdgewebes zu verhindern. Das Pionierteam der allogenen Handverpflanzung um den Chirurgen Jean-Michel Dubernard hat nach Clint Hallam im vergangenen Februar einem Patienten gleich beide Hände anoperiert. Dubernard fühlt sich, so sagte er der Zeitung Le Progrès von Hallam "ausgenutzt", er sieht die Amputation als "medizinische Niederlage", obwohl er dankbar sein, dass er durch ihn Medizingeschichte geschrieben hat.

Handtransplantationen sind auch unter Handchirurgen umstritten, denn die Erfolgschancen werden bezweifelt und die seelische Belastung für den Patienten, der mit den Händen eines Toten leben muss, ist sehr groß. Zudem haben die Immunsuppressiva heftige Nebenwirkungen, sie können z.B. Leber oder Niere schädigen und bei den meisten Patienten - die diese Medikamente nach einem derartigen Eingriff ein Leben lang nehmen müssen - schränken sie die Lebensqualität erheblich ein.

Selbst eine Eigenhand-Replantation ist ein kritischer Eingriff, der von vielen Variablen bestimmt wird. Eine wichtige Voraussetzung ist eine möglichst glatte Wundoberfläche, davon hängt die spätere Durchblutung entscheidend ab. Bei Ausriss-Verletzungen haben die Chirurgen nur schlechte Chancen, selbst bei sofortigen Wiederannähen der eigenen Hand, die ursprüngliche Funktionsfähigkeit auch nur annähernd wiederherzustellen. Zudem bleiben diese replantierten Gliedmassen oft besonders empfindlich, wetterfühlig und werden manchmal sogar wieder amputiert, weil die Patienten unter Dauerbeschwerden leiden.

Trotzdem wurden und werden die Fremd-Transplantationen fort gesetzt, erfolgreich auch in Österreich, Malaysia, China, Italien und in den USA (Handtransplantations-Homepage). Der neueste Patient, Jerry Fischer, der am 17.2. operiert wurde, hatte seine eigene Hand durch die Explosion von Feuerwerkskörpern 1996 verloren und bekam von einem 18köpfigen Ärzte-Team eine Spenderhand angenäht. Er ist auf dem Weg der Rekonvaleszenz. Der erste US-Handempfänger, Matthew Scott, leidet zwar unter Bewegungseinschränkungen, es geht ihm aber sehr gut, er spielt Schlagzeug und kann sich seine Schuhe selbst zubinden. Der Skandal um seine Operation entstand, als sich nachträglich heraus stellte, dass sein Spender eigenhändig jemanden getötet und sich dann im Gefängnis das Leben genommen hatte.

In Deutschland wollen jetzt auch 3 Kliniken Handverpflanzung vornehmen: Die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in Ludwigshafen (BGU) mit der Universität Heidelberg, die Rhönklinik Bad Neustadt/Saale mit der Universität Würzburg und das Münchner Klinikum Rechts der Isar. Prof. Ulrich Lanz von der Rhönklinik betont dabei das Verständnis und die sorgfältige Betreuung des Patienten:

Die Hände sind die einzigen Gliedmaßen, die man immer vor Augen hat, und sie sind eng mit der Identität verbunden.

Ärztezeitung

Psychologische Beratung und Begleitung denken alle Kliniken an, um ein Debakel wie im Fall des Neuseeländers zu vermeiden. Die Geheimhaltung zwischen Spender und Empfänger wird bei Gliedmassen nie in dem Ausmaß zu gewähren sein, wie z.B. bei einer Herztransplantation. Wichtig ist, dass die Hand möglichst viele Übereinstimmung mit dem Körper des potentiellen Empfängers aufweist, dabei sollen Psychologen evaluieren, wie viel Abweichung der Patient ertragen kann. Voraussetzung für die Transplantation sind, dass der Patient beide Hände vor nicht länger als fünf Jahren verloren hat. Die Person sollte unter 45 Jahre alt sein und eine gute seelische Stabilität haben. Für die Vermittlung zwischen Spender und Empfänger soll in Zukunft die Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in Neu-Isenburg zuständig sein.