Frankreich: 35-Stunden-Woche wird ausmanövriert

Entwurf für neues Arbeitsrecht wird von Gewerkschaften und Linken als "ultraliberal" kritisiert

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Noch haben die Reformvorschläge der französischen Arbeitsministerin, Myriam El Khomri, Hürden vor sich, den Ministerrat am 9. März und zuvor den Staatsrat, der neue Gesetze prüft. Danach kommt der Gesetzesentwurf vor die beiden Kammern. So ist nicht ausgeschlossen, dass an Details noch Veränderungen vorgenommen werden.

Aber die große Stoßrichtung wird bleiben und sie kommt den Arbeitgebern sehr entgegen. Weswegen die Reform schon jetzt große Wellen schlägt, bei den Gewerkschaften und dem linken Flügel der Regierungspartei, die für das Gesetz eine parlamentarische Mehrheit braucht oder einmal mehr auf den berüchtigten Artikel 49-3 der französischen Verfassung zurückgreifen muss, der die Annahme eines Gesetzes ohne Abstimmung in der Nationalversammlung vorsieht, aber gekoppelt an ein Misstrauensvotum.

Das war schon beim Reformgesetz Macron der Fall, wo es um Arbeitszeit-Regelungen ging. Diesmal ist die Aufregung noch größer, denn diesmal fällt der Angriff auf die 35-Stunden-Woche noch stärker aus.

Pro forma bleibt die 35-Stunden Woche nach den Vorschlägen von El Khomri zwar gesetzlich bestehen, aber den Unternehmen werden große Spielräume gegeben, um diese Begrenzung zu umgehen - wenn dies im Unternehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern so ausgemacht wird. Mit einem solchen Accord kann künftig die tägliche Arbeitsdauer auf bis zu 12 Stunden ausgedehnt werden und die wöchentliche auf 48 Stunden, in Ausnahmezeiten auf 60 Stunden.

Als Bedingung hierfür gelten laut Medienberichten eine "gesteigerte Aktivität" im jeweiligen Unternehmen, also eine entsprechende Auftragslage, oder, etwas vager und breiter angelegt: "Motive, die an die Organisation des Unternehmens geknüpft sind".

Schon nach den bisherigen Regelungen ist eine kurzzeitige Erhöhung der Arbeitszeiten möglich, aber eben in engeren Grenzen: Nur bis zu 44 Stunden und nur im Zeitraum von 12 Wochen. Jetzt sind es 48 Stunden für den Zeitraum von 16 Wochen. Die 60-Stunden-Woche, die zuvor nicht vorgesehen war, braucht den Nachweis von "außergewöhnlichen Umständen". Sie werden wie die Dauer dieser "außergewöhnlichen Umstände" in betriebsinternen Verhandlungen ausgemacht.

Die betriebsinternen Vereinbarungen zwischen Vertreter der Unternehmensleitung und der Belegschaft sind ebenfalls Gegenstand der Reformen und sie schaffen den nächsten Streitpunkt mit den Gewerkschaften. Bei dem accord d’entreprise sind zwar Gewerkschaften mit am Tisch - wenn sie 50 Prozent der Belegschaft repräsentieren. Trifft dies nicht zu, dann wird per Referendum mit einfacher Mehrheit entschieden.

Gut zu erkennen ist am Beispiel der Arbeitszeitregelungen, was unter "Flexibilität" verstanden wird, das ein großes Schlagwort der Unterstützer der Reform darstellt: Der enge Rahmen der 35-Stunden-Woche wird weitaus weniger verpflichtend. Präsident Hollande verweist in seiner Verteidigung der Reformen gegenüber seinen sozialdemokratischen Parteigenossen darauf, dass das Gesetz der 35-Stunden-Woche unangetastet bleibt, aber letztlich ist dies nur mehr bei der Bezahlung bzw. der Kompensierung der Überstunden von größerer Geltung.

Aber auch hier erwachsen den Unternehmen Möglichkeiten der Flexibilität, indem sie die Arbeitszeiten auf größere Zeiträume umrechnen können und somit die Zahl der Überstunden nivellieren. Die Spielräume hängen - in einem bestimmten gesetzlichen Rahmen - auch hier von betriebsinternen Absprachen ab. Nimmt man die Angst vieler Arbeitnehmer, ihre Stelle zu verlieren oder den Vertrag nicht verlängert zu bekommen, mit in den Blick, so wird klar, dass die Arbeitgeber bei solchen Absprachen einen starken Hebel in der Hand haben.

Im Reformpaket finden sich noch andere Regelungen - etwa zu den Deckelungen der Entschädigungszahlungen, den Kündigungsgründen und zur Vergütung von Bereitschaftsdiensten - von denen eindeutig gesagt werden kann, dass sich Unternehmer darüber auf keinen Fall ärgern werden, um es gelinde auszudrücken. Aber ganz sicher so mancher Arbeitnehmer.

Für Vertreter der linken Seite wie für Gewerkschaften gibt es keinen Zweifel daran, dass damit die 35-Stunden-Woche ausgehebelt wird. Die Zeitung Humanité spricht von einem "ultraliberalen Modell des Digitalzeitalters", das nun das Kommando übernommen habe.