Frankreich: Basis wendet sich von Sozialdemokraten ab

Die Kommunalwahlen als kalte Dusche für Hollande: Seine Partei verliert die großen Städte; die Wahlenthaltung ist auf Rekordhöhe

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In voraussehbarer Regelmäßigkeit wählen die Franzosen wieder ab, wen sie zuvor gewählt haben. Schon zu Mitterands Zeiten setzte es zwei Jahre nach dem euphorischen Sieg 1981 eine kalte Dusche bei den Kommunalwahlen. Gestern erfuhren die regierenden Sozialdemokraten eine deutliche Wählerabsage auf kommunaler Ebene. Mit Ausnahme von Paris verloren sie die wichtigen großen Städte an die konservative UMP. Die kommunale Basis des PS, die Hollande als Generalsekretär zwischen 1997 und 2008 aufgebaut hatte, ist verloren. Der Präsident steht nun unter öffentlichen Druck; erwartet wird, dass er die nächsten Tage eine Kabinettsumformung bekannt gibt, möglicherweise auch mit einem neuen Ministerpräsidenten.

Ein Debakel für den PS, ein Triumpf für die UMP und mindestens zehn Bürgermeister aus den Reihen der Rechtsnationalisten FN, so wird das Ergebnis des gestrigen Abstraf- oder Protestvotums heute morgen in Medien auf eine kurze Formel gebracht. Die landesweiten Anteile der traditionell nach links und rechts aufgeteilten politischen Landschaft Frankreichs werden nach Hochrechnungen mit 40,6 Prozent für die Linke (PS plus kleinere Parteien), knapp 46 Prozent für die UMP plus kleinere Parteien und 6,6 Prozent für die "extreme Rechte" angegeben.

Auffallend bei der zweiten Runde war aber noch ein anderes Phänomen: der Anteil der Nichtwähler. War er schon im ersten Wahlgang mit offiziell über 36 Prozent rekordverdächtig, wie vergangene Woche notiert wurde, so gingen in der zweiten Runde, wo man eigentlich damit rechnete, dass der PS Wähler für die Stichwahl gegen die Rechten mobilisieren würde, sogar noch weniger Wähler zu den Wahllokalen.

Laut Hochrechnungen von Ipsos-Steria liegt der Anteil der Nichtwähler bei über 38 Prozent, was tatsächlich ein historischer Rekord in der Geschichte der V. Republik darstellt.

Bislang wurde dem in Analysen noch nicht viel Rechnung getragen. Noch ist die Öffentlichkeit vor allem mit der Niederlage des PS und dem Erfolg des FN beschäftigt (wobei angemerkt wird, dass der FN schon Mitte der 1990er Jahre ähnliche Erfolge schaffte). Interessant wäre, wer genau den Wahlen den Rücken gekehrt hat, ob es vor allem Jüngere sind? Die Jugendarbeitslosigkeit ist ein großes Problem in Frankreich, dem keine relevanten politischen Rezepte gegenüberstehen. Auch in den ersten Reaktionen auf die Niederlage der PS wurde kaum darauf eingegangen, warum so viele Wahlberechtigte der Wahl den Rücken gekehrt haben.

Den Spekulationen zufolge, die gestern Abend in Kreisen der Sozialdemokraten zirkulierten, werde in der Regierung darüber nachgedacht, die steuerlichen Belastungen für die ärmeren Haushalte zu senken. Die zunehmenden Abgaben der Haushalte hatten in den vergangenen Monaten für unüberhörbare Unzufriedenheit im Land geführt. Geht es nach der ersten Stellungnahme des Ministerpräsidenten Jean-Marc Ayrault, so habe die Regierung der Bevölkerung ihren Kurs nicht genügend erklären können, zuletzt begründete Ayrault die Schwierigkeiten auch mit den Finanzmärkten, welche die "Politik Frankreichs diktieren".