Frankreich: Der FN triumphiert bei der Europawahl

Die rechten Nationalisten sind stärkste Partei; Sozialdemokraten, Grüne und die Konservativen verlieren

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Der Sieg der Nationalisten des Front National ("für die Franzosen, mit den Franzosen") bei den Europawahlen war vorausgeahnt und von Umfragen angekündigt. Und doch: Dass der FN, dem man noch vor nicht allzu langer Zeit das Adjektiv "rechtsextrem" ganz selbstverständlich voranstellte, als stärkste Partei Frankreichs aus der Wahl hervorgeht, wird als eine Erschütterung und Irritation wahrgenommen. Das wird einige Zeit dauern, dies zu fassen. Der Politiker der Zentrumspartei, François Bayrou, brachte das Signal der gestrigen Wahl auf den Punkt. Die Ergebnisse würden zeigen, dass die Ordnung des bisherigen politischen Lebens in Frankreich in Auflösung begriffen ist. Der Begriff, den er verwendet, lautet "décomposition".

Die Wahlbeteiligung lag laut Stand der Hochrechnungen um 23 Uhr leicht über der Rekord-Nichtbeteiligung der letzten Wahl von 2009. Damals blieben 59,4 Prozent der EU-Wahl fern. Gestern waren es 57 Prozent, noch immer die Mehrheit. Von den 43 Prozent (18, 5 Millionen Stimmen von 43 Millionen Wahlberechtigten), die sich zu den Wahlokalen begaben, haben etwa ein Viertel für den FN gestimmt.

Die zwei Prozent Unterschied in der Wahlbeteiligung sind ein kleiner Wert, wenn man auf den Sprung sieht den der FN vom Ergebnis der EU-Wahlen 2009 zum gestrigen Ergebnis gemacht hat: Von 6,3 Prozent auf über 25 Prozent.

Angst vor der Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen

Daran können die großen Parteien im französischen Parlement nicht vorbeisehen; zwar lässt sich die Forderung des extremen Rechtsauslegers und FN-Parteigründers Jean-Marie Le Pen nach einer Auflösung des Parlaments leicht als abseitig vom Tisch wischen, aber die modifizierte Forderung seiner Tochter, wonach der Staatspräsident aus der Wahl Konsequenzen ziehen müsse, die die Volksversammlung "nationaler" machen, wird sich in den Gesprächsrunden anders festhaken. Auch diese Formulierung ist pathetisch und leer, aber man weiß was gemeint ist, Marine Le Pen ist nun als Präsidentschaftskandidatin für 2017 ernstzunehmen und mit ihr "nationale" Themen.

Marine Le Pen, bei einer Wahlkampfveranstaltung 2012. Bild: Gauthier Bouchet; Lizenz: CC BY-SA 3.0

"Abreibung" für die Regierung

Für die regierenden Sozialdemokraten kündigte Staatspräsident Hollande für Montagvormittag eine Krisensitzung an, um Lehren aus der Lektion zu zielen. Medienberichte werteten die erneute Lektion nach der "kalten Dusche" bei den Kommunalwahlen als "Abreibung".

Der PS kam auf einen Anteil zwischen 14 und 15 Prozent. Das lediglic h um ca. 2 Prozent weniger als 2009 (16,8%), aber ein unbestreitbar klares Votum gegen die Regierungspartei. Umso mehr als sie im Wahlkampf auf europäische Themen setzte und damit bei denen, die überhaupt wählen wollten, völlig daneben lag. Es ging den europamüden Franzosen um französische Themen.

UMP: nur mehr die älteren Konservativen attraktiv

Dass die einfache Rechnung, Fischen im rechten Wählerspektrum und Anti-Hollande, nicht aufgeht, um Stimmen zu gewinnen, damit muss sich die konservative UMP auseinandersetzen. Auch sie hat verloren. Sie kam auf 20 bis 21 Prozent, 2009 erzielte sie fast 28 Prozent. Führungsstreitigkeiten, Korruptionsaffären haben die Wahrnehmung der Partei in den letzten Wochen geprägt.

So ist auch sie affiziert vom Phänomen des Überdrusses an den etablierten Parteien. Nur die älteren Wähler blieben ihr treu; die derzeit attraktivere Partei, rechts von ihr, der FN hat vornehmlich bei den Jüngeren hinzugewonnen.

Linke können sich nicht von der Regierung kenntlich absetzen

Dass auch die Angestellten und Arbeiter, die wählen gingen, in großer Zahl für den FN votieren, ist nicht nur für den Präsidenten Hollande, der laut ankündigte, sich um die Jugend und die Jugendarbeitslosigkeit prioritär zu kümmern, ein Problem, sondern auch für die Linken, die vom neoliberalistisch beflügelten "Modernisierungs"-Schwenk der Mannschaft Hollandes auf eine arbeitgeberfreundliche Politik à la Schröder nicht profitieren konnten.

Der Unterschied zu den regierenden Sozialdemokraten sei nicht deutlich geworden, kommentierte der Chef der Front de Gauche, Jean-Luc Mélenchon, das Ergebnis. Das Bündnis bleibt in etwa beim Wert von 2009, laut Hochrechnungen erreicht es einen Anteil zwischen 6 und 7 Prozent.

Verlierer Grüne und möglicherweise Erfolg für eine neue Partei

Zu den Verlieren gehören auch die französischen Grünen, die 2009 mit einem Überraschungsergebnis von über 16 Prozent aufhorchen ließen. Gestern kam EELV (Europa Ökologie-Die Grünen) ungefähr auf die Hälfte, auf einen Wert zwischen 8 und 9 Prozent.

Die neugegründete Zentrumsparteien UDI schaffte 10 Prozent der Stimmen.

Interessant ist, dass laut Hochrechnung von 21 Uhr (Le Monde) die erst im Novmber 2013 gegründete Partei Nouvelle Donne auf 3 Prozent kam. Bei der Parteigründung fungierte der auch in Deutschland bekannte Stéphane Hessel ("Empört euch") als Inspirationsquelle.