Frankreich, Holland, Irland?

Trotz massiven Propagandaaufwands sinken in der irischen Republik die Zustimmungsraten für den Vertrag von Lissabon

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Irland ist das einzige Land in dem über die "Verfassungsvertrag" oder "Vertrag von Lissabon" umbenannte EU-Verfassung mit einer Volksabstimmung entschieden wird. Die irische Verfassung schrieb solch ein Referendum zwingend vor.

Termin für die Volksabstimmung, die auch gesamteuropäische Bedeutung hat, ist der 12. Juni. Obwohl der irischen Regierung gesetzlich jede Werbung für das Referendum verboten ist, tourt seit Monaten ein Politikerzirkus durch die Insel, der "gute Stimmung" machen soll. Die ganze Insel wurde mit Werbeveranstaltungen überzogen, für die airbusweise Politiker aus dem ganzen Kontinent eingeflogen wurden. Europaminister Dick Roche versprach seinen Kollegen eine "Kampagne zu fahren wie bei einer Parlamentswahl." Allein sein Ministerium hat für den Propagandafeldzug fünf Millionen Euro eingeplant.

Dass der Ministerpräsident öffentlich äußerte, ein "Nein" im Referendum sei ein "Desaster" für die Inselrepublik, lässt sich zwar schlecht mit der Pflicht zur "neutralen Information" in Übereinstimmung bringen, zu der die Regierung eigentlich gesetzlich verpflichtet wäre – es schadet aber der amtierenden Koalition insofern nicht, als die großen Parteien sich allesamt Vorteile vom Lissabonner Vertrag versprechen und deshalb für die Zeit bis zum Referendum einen "Waffenstillstand" geschlossen haben. Oppositionsführer Enda Kenny übt deshalb seit Monaten trotz eines Korruptionsskandals nur relativ verhaltene Kritik an der Exekutive und konzentriert sich stattdessen auf die Vertragsgegner, die sich im Libertas-Bündnis sammeln: Deren Argumente sind teilweise sehr verschieden, haben aber eines gemeinsam: Würde der Vertrag durchgehen, dann könnten die ihnen nahe gehenden Fragen in Zukunft nicht mehr vom irischen Volk entschieden werden – weder in der einen, noch in der anderen Richtung.

Allerdings könnte sich die Hilfe ausländischer Politiker möglicherweise ähnlich unvorhergesehen auswirken wie die Wahlempfehlungen europäischer Intellektueller gegen George W. Bush. Dazu trugen auch Interna bei, welche die Tageszeitung Irish Times im April öffentlich machte. Sie drehen sich um ein Briefing Dan Mulhalls, des Direktors der EU-Abteilung im irischen Außenministerium. Und sie gaben Einblick, wie Politiker aus den EU-Ländern ein "Ja" in Irland erreichen wollen. Unter anderem geht es um einen britischen Diplomaten, der eine Strategie zum Besten gab, wie die irische Bevölkerung zu einer Zustimmung zum Vertrag gebracht werden könnte. Das weckte Erinnerungen an die ausgesprochen problematische Politik der Kolonialmacht auf der Insel.

Die irische Regierung sollte den Interna zufolge den "Focus der Kampagne" auf die EU allgemein und nicht auf den Vertrag legen. Den Gesetzesentwurf zu lesen, der "für Laien weitgehend unverständlich" sei, hätten die meisten Iren ohnehin keine Zeit, weshalb sie bei der Abstimmung "den Politkern folgen, denen sie vertrauen."

Außerdem ist davon die Rede, dass Margot Wallström dem irischen Außenminister Dermot Ahern zusicherte, dass die EU-Kommission gewillt sei, für eine Zustimmung zum Lissabon-Vertrag "nicht hilfreiche Nachrichten herunterzuspielen oder zu verschieben." Kathy Sinnott, eine der wenigen irischen Politikerinnen, die dem Vertrag offen kritisch gegenüberstehen, gab sich "wenig überrascht" von dieser Strategie und meinte, die ans Licht gekommenen Vorgänge zeigten "welche Demokratie wir erleben werden, wenn der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt."

In den Interna wird auch erklärt, warum das Referendum auf den Juni gelegt wurde: Zu einem späteren Zeitpunkt fürchtete das Außenministerium offenbar ein erhebliches Risiko neuer Militäreinsätze durch die im Juli beginnende französische EU-Präsidentschaft. Nicolas Sarkozy wird darin als "völlig unberechenbar" eingeschätzt.

Potentielle Gefahren für eine Annahme des Vertrags sieht das Außenministerium den durchgesickerten Informationen zufolge unter anderem in einem vom EU-Kommissars Peter Mandelson vorangetriebenen WTO-Abkommen über landwirtschaftliche Lizenzen, das große Agro-Konzerne zu Ungunsten der bäuerlichen Landwirtschaft begünstigt. Aus diesem Grund weigerte sich auch Padraig Walshe, der Vorsitzende des irischen Bauernverbandes, der Werbekampagne für ein "Ja" anzuschließen.

Nur bedingt hilfreich für die Vertragsbefürworter war auch, dass sich der bis 6. Mai amtierende Regierungschef Bertie Ahern als so korrupt herausstellte, dass er schließlich seinen Platz räumen musste. Neuer Partei- und Regierungschef wurde Brian Cowen, der bisherige Finanzminister. Neben dem Korruptionsuntersuchungsausschuss, dem Mahon Tribunal, hatte Ahern auch noch das Finanzamt am Hals – nicht nur wegen Steuerhinterziehung, sondern auch wegen Betruges.

Dadurch, dass sich in dem Inselstaat die lange Zeit positive wirtschaftliche Entwicklung mit der EU-Mitgliedschaft in zeitliche Verbindung bringen ließ, sahen die Politiker Irland eigentlich als sichere Bank für ein positives Votum. Inwieweit es allerdings die Auswirkungen der EU waren, die das Land zum "keltischen Tiger" machten, ist fraglich: Die tatsächlichen Gründe liegen wohl eher darin, dass die Insel mit niedrigen Steuern amerikanische Investoren anzog und (ähnlich wie Bayern) kaum über industrielle Altlasten verfügte, welche den Strukturwandel bremsen und erschweren hätten können.

Doch seit kurzem hat sich der wirtschaftliche Wind gedreht. Die Konjunktur lahmt, die Jugendarbeitslosigkeit stieg ebenso wie die Lebenshaltungskosten - Verbraucherausgaben und Immobilienpreise begannen dagegen erstmals seit langem zu sinken. Und die Politik hat nun Angst, dass der beginnende Abstieg ebenso "magisch" der EU zugeordnet werden könnte, wie der Aufstieg.

Tatsächlich scheint mit den Negativmeldungen auch die Zahl der Gegner des Lissabon-Vertrages zu wachsen: In einer monatlich durchgeführten Umfrage der Wochenzeitung Sunday Business Post wollten Ende April nur mehr 35 Prozent der Befragten für eine Annahme des Vertrages votieren. 31 Prozent gaben an, dagegen stimmen zu wollen und weitere 34 Prozent hatten sich noch nicht entschieden. Im Februar war die Zustimmungsrate noch bei 43% gelegen, damals erklärte sich nur ein knappes Viertel als Vertragsgegner.