Freiheit durch Sicherheit?

Im Windschatten von Terrorangst und Klimakatastrophen boomt die Sicherheitsforschung

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An die tausend zeilnehmende Forscher, Politiker und Ökonomen aus den EU-Ländern beraten bis heute in Berlin über die Schwerpunkte der künftigen europäischen Sicherheitsforschung. Ein Forschungszweig, den zur Zeit keine Geldsorgen plagen müssen. Schließlich soll die Europäische Sicherheitskonferenz der Startschuss für das ambitionierte "Europäische Sicherheitsforschungsprogramm“ sein. Gleich zur Eröffnung erklärte Bildungsministerin Annette Schavan, dass die EU für die Sicherheitsforschung im Zeitraum von 2007 bis 2013 insgesamt 1,4 Milliarden Euro eingeplant hat. Von solchen Beträgen können andere Forschungszweige in Zeiten der leeren Kassen nur träumen.

Schavan skizzierte in ihrer Eröffnungsrede den politischen Kontext für diese großzügigen Geldspritzen. „Wir müssen uns vor den Gefahren durch Terrorismus, Kriminalität und Naturkatastrophen schützen und gleichzeitig unsere Freiheit und Rechtstaatlichkeit stärken“, so die Ministerin. Noch deutlicher heißt es auf der Konferenzhomepage: „Terrorismus, organisierte Kriminalität, Naturkatastrophen und Unfälle besonderen Ausmaßes machen an den Grenzen Europas nicht Halt. Daher verstärkt die Europäische Union ihre Aktivitäten im Bereich Sicherheitsforschung.“

Zu den Fragen, die die illustre Runde im Berliner Maritim Hotel diskutiert, gehören der Schutz der Bürger vor Terrorismus und Naturkatastrophen. Ausdrücklich wird die Verletzlichkeit von Infrastrukturen und Grenzen genannt. Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Frage, wie die Erkenntnisse über die Ursachen von Bedrohungen mithilfe von modernen Technologien zu mehr Sicherheit führen können. Auch der Wirtschaftsstandort EU wird nicht vergessen, schließlich boomt die Sicherheitstechnik, in die die US-Regierung nach dem 11.9. viele Milliarden Dollar investiert hat. Ein eigenes Panel widmet sich der Frage, wie die Sicherheitsforschung zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit beitragen kann.

Die Fragestellungen sind nicht neu. Auch ein Großteil der Konferenzteilnehmer dürfte sich von ähnlichen Veranstaltungen kennen. So gibt es kaum Unterschiede zwischen der Berliner Konferenz und der Future Security, die Anfang Juli 2006 in Karlsruhe stattgefunden hat.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Die Treffen werden auch in der kritischen Öffentlichkeit wenig wahrgenommen. So wurde von den Organisatoren (www.anti-eu.info/ - ) der EU-kritischen Demonstration, die am vergangenen Sonntag in Berlin stattgefunden hat, die Sicherheitskonferenz gar nicht erwähnt. Nur einige Datenschützer und Überwachungsgegner äußern schon länger Kritik. Sie verweisen darauf, dass das Feld der Sicherheitsforschung ein völlig unklarer Bereich ist, der von der Kameraüberwachung über elektronische Reisepässe und Grenzsicherheitsmaßnahmen bis zur Akzeptanzforschung reichen kann. Kennzeichnend ist der Versuch einer technokratischen Lösung von Problemen. Nicht gesellschaftliche Ursachen und ihre Veränderung stehen im Mittelpunkt, sondern die Entwicklung von Techniken und Verfahren, um scheinbar allen Risiken der modernen Gesellschaft zu beherrschen.

Klimaveränderungen und Sicherheitspolitik

Interessant ist die auf der Konferenz-Homepage erfolgte Verknüpfung von terroristischen Bedrohungen und der Klimaänderungen mit den Erfordernissen einer verstärken Sicherheitsforschung. Die Verbindung von Umweltthematik und Sicherheitspolitik muss zunächst überraschen. Wären die finanziellen Mittel nicht sinnvoller für die Erforschung umweltfreundlicher Technologien aufgehoben?

Doch diese Diskussionen unter dem Vorzeichen der Sicherheitspolitik machen auch deutlich, dass im Windschatten der gegenwärtigen Debatte über die Klimaveränderung vielleicht auch der Akzeptanz für mehr Überwachung und einer neuen Verbotspolitik der Boden bereitet werden kann. Die Frage, unter welchen Umständen in großen Teilen der Bevölkerung die Akzeptanz für Verbote und Restriktionen, die durchaus auch persönliche Einschränkungen implizieren, wächst, dürfte auch ein Feld der Sicherheitsforschung sein. Geht es darum, bei der Mehrheit der Bevölkerung die Zustimmung zu Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen, so soll gegen Minderheiten, die als Risiko für die öffentliche Sicherheit und vielleicht bald auch das Weltklima eingestuft werden, das technologische Know-how zur Anwendung kommen. So kann man sich unter dem Stichwort der Verletzlichkeit von modernen städtischen Infrastrukturen allerlei Maßnahmen zum Umgang mit potentiell Verdächtigen überlegen.

Die Kunst der wissenschaftlichen Sicherheitspolitik ist denn neben der technologischen Entwicklung die Verbindung dieser beiden Elemente. Die Mehrheit nimmt Einschränkungen besser in Kauf, wenn sie zur Überwachung und Fernhaltung potentieller Störer beitragen werden. Für diese Erkenntnis braucht man allerdings nicht unbedingt teure Sicherheitskonferenzen. Eine Künstlergruppe hat in Berlin mit dem Projekt European Borderwatch gezeigt, wie gut es klappt. Sie suchte Freiwillige für die individuelle Überwachung der EU-Außengrenzen nach texanischem Vorbild ganz bequem vom eigenen PC. Neben empörter Ablehnung gab es auch Zustimmung für diese unkonventionelle Feldforschung im Sicherheitsbereich.