Freiheit für Roger Waters!

Roger Waters, 2018. Bild: Andrés Ibarra, CC BY-SA 4.0

Kaum jemandem fällt auf, wie skurril die Debatte über den Pink-Floyd-Gründer verläuft. Und welche Gefahren sie birgt. Ein Telepolis-Leitartikel.

Es geht um ein fliegendes Schwein, einen Ledermantel auf der Bühne, eine Armbinde mit gekreuzten Hämmern: Die Debatte um die Konzerte des Pink-Floyd-Gründers Roger Waters ist an Skurrilität kaum mehr zu überbieten. Man könnte sie mit einem müden Schulterzucken abtun – offenbarte sie nicht eine ebenso autoritäre wie revisionistische Tendenz.

Immerhin ermittelt jetzt sogar die Polizei der ehemaligen Reichs- und heutigen Bundeshauptstadt Berlin gegen den 79-jährigen Briten. Es bestehe der Anfangsverdacht, wird berichtet, dass der Auftritt des Musikers in einem langen schwarzen Ledermantel, der an SS-Uniformen erinnern soll, geeignet sei, "die Würde der Opfer des Nationalsozialismus zu verletzen, den Nationalsozialismus zu verherrlichen und den öffentlichen Frieden zu stören".

Moment mal! Haben die wirklich geschrieben "... den Nationalsozialismus zu verherrlichen"?

Man kann Waters einiges vorwerfen. Einen gewissen Altersstarrsinn etwa, wenn es um seine Kritiker geht, die ihn anscheinend nur zu noch heftigeren Äußerungen provozieren.

Eine plumpe politische Argumentation, wenn er die 16-jährige Anne Frank, die 1945 von den Nazis ermordet wurde, mit der palästinensischen Journalistin Shireen Abu Akleh vergleicht, die 2022 von israelischen Soldaten erschossen wurde.

Fehlenden politischen Instinkt, wenn er sich mitten im Krieg gegen die Ukraine von der russischen UN-Delegation in den UN-Sicherheitsrat einladen lässt.

Aber haben die in Berlin wirklich geschrieben: "... den Nationalsozialismus zu verherrlichen"? Weil der Alt-Linke Waters mit schwarzem Mantel und einer Armbinde mit gekreuzten Hämmern auftritt? Also in einem Kostüm, das schon im „Victoria and Albert“-Museum in London ausgestellt wurde?!

Wer auch immer in der Berliner Justizbehörde diese Formulierung und diesen Vorwurf zu Papier gebracht hat, beweist damit allenfalls seine (oder ihre) Unkenntnis der Musikgeschichte. Denn beide Stilmittel sind der Figur "Pink" aus "The Wall" von 1979 entlehnt, einem fiktiven faschistoiden Rockstar. Und schon im Video zu "The Wall" marschierten die Hämmer mit – wenig missverständlich – Stilen in Schwarz und Rot.

Wer auch immer meint, daraus einen strafrechtlichen Vorwurf der Verherrlichung – nicht nur Verharmlosung! – des Nationalsozialismus abzuleiten zu können, versteht von Sujet so viel wie Milli Vanilli von Gesang. Und im Grunde müsste diese Einlassung der Berliner Justiz wegen des offensichtlichen Ehrdelikts selbst einer strafrechtlichen Prüfung unterzogen werden.

Fakt ist, dass Kunst und Künstler immer wieder faschistische Symbolik aufgegriffen und dekonstruiert haben. Harald Schmidt als Adolf Hitler etwa. Art Spiegelman mit dem Hakenkreuz auf dem Cover seiner preisgekrönten Graphic novel "Maus". Und vielleicht sogar – darüber wird bis heute diskutiert – für Jonny Buchardt beim Kölner Karneval 1973.

Hessische Staatskanzlei als "Zivilgesellschaft"?

Roger Waters kann Gleiches für sich reklamieren. Und doch ist etwas anders. Vielleicht, weil er sich für den politischen Gefangenen Julian Assange einsetzt. Vielleicht, weil er sich mit der Rüstungsindustrie anlegt. Ganz sicher, weil er zu einem der international exponiertesten Kritiker der israelischen Besatzungspolitik zählt.

Es grenzt schon an Zynismus, dass der Unterstützer der israelkritischen BDS-Kampagne sich nun sozusagen einer proisraelischen BDS-Kampagne gegen sich selbst ausgesetzt sieht.

Aufgeworfen werden muss an diese Stelle zwingend die Frage, weshalb die künstlerische Auseinandersetzung mit NS-Symbolik im Fall Waters problematisiert wird, während auf Straßen und Plätzen westlich der russischen Grenze seit dem 24. Februar 2022 der Nationalsozialismus fast täglich relativiert wird.

Wenn nämlich Politiker unterschiedlicher Couleur Moskau einen "Vernichtungsfeldzug" gegen die Ukraine unterstellen und damit den singulär-verbrecherischen Charakter des Unternehmens Barbarossa der Hitler-Wehrmacht systematisch abschwächen.

Oder wenn die Söhne, Enkel und Urenkel von Verbrechern der Wehrmacht endlich, ihrer familiären und historischen Schuldgefühle befreit aufatmend, auf "Putler"-Plakaten ihren eigenen historischen Diktator mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin gleichsetzen – was an Perfidie den Anwürfen der Berliner Justiz gegen Waters recht nahekommt.

Was bis hierhin bleibt, ist, lässt man alle Nuancen beiseite, dass das Land der Täter dem linken Briten Waters medial, juristisch und aktivistisch ein Vergehen vorwirft, dass es bei den eigenen, tatsächlichen NS-Wiedergängern von NPD bis KSK nicht in den Griff bekommt oder zu bekommen willens ist.

Nicht nur dies wird in der laufenden Debatte geflissentlich übergangen. Ignoriert wird auch, dass sich unter dem Deckmantel des Antifaschismus ein neuer Autoritarismus durchzusetzen droht, in dem staatliche Vertreter der Kunst unumwunden und politisch motiviert ihre Freiheit nehmen wollen.

Das gilt für den CDU-Politiker und Israel-Lobbyisten Uwe Becker, der – für sein Wirken von der Hessischen Staatskanzlei mit Steuermitteln bezahlt – am Rande des Waters-Konzerts eine Gesetzesänderung forderte, um Kulturveranstaltungen künftig leichter verbieten zu können.

Das sagt wenig über Waters, aber viel über Politiker wie Becker aus. Die Stadt Frankfurt war mit dem Ansinnen, das Konzert des Pink-Floyd-Gründers zu verbieten, nämlich zuvor vor dem städtischen Verwaltungsgericht krachend gescheitert.

Waters zog aus dem Streit seine Konsequenz. Er änderte in Frankfurt die Bühnenshow und nahm zu Antisemitismus und Faschismus Stellung – auch in Reaktion auf das Frankfurter Urteil.

Der hessische Berufspolitiker Becker forderte indes vor einigen hundert Demonstranten eine Gesetzesänderung zur weiteren Einschränkung der Freiheit.

Das hatte mehr mit Israel zu tun, als ihm und der kleinen Gruppe Demonstranten vor der Frankfurter Konzerthalle bewusst war.

Tausende in der Konzerthalle haben das verstanden.

Hunderttausende Demonstrierende in Israel verstehen es ohnehin.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.