Front National: Der Rassismus lebt in der Partei

Nach Enthüllungen über schockierende Äußerungen aus den Reihen der nationalistischen Partei reagiert die Vorsitzende Le Pen mit Suspendierungen

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"Rassismus, Antisemitismus, Homophobie: Die Kandidaten des FN ohne Maske" übertitelt das französische Wochenmagazin L’Obs (früher ,Le Nouvel Observateur’) seine aktuelle Ausgabe. Es reiche nur die Augen aufzumachen . In Frankreich wird am übernächsten und am darauffolgenden Sonntag gewählt, und der Front National bietet von allen größeren Parteien die meisten Einzelkandidaten auf.

Einige davon sind alles andere als vorzeigbar. In seiner Papierausgabe zitiert das Wochenmagazin etwa Jean-François Etienne, Kandidat im französischen Zentralmassiv. Er hatte sich bei Facebook beispielsweise dafür ausgesprochen, "ein oder zwei dieser Abfallschiffe zu versenken", und dazu Bilder von afrikanischen Migranten auf überfüllten Flüchtlingsbooten gezeigt.

Über die amtierende Justizministerin Christiane Taubira, eine Karibikfranzösin und Hassfigur der extremen Rechten ließ er sich mit den Worten aus, man werde "sie zu finden wissen, wenn die Revolution ausbricht". Am Tag nach dem Erscheinen des Magazins legte L’Obs im Internet bereits mit weiteren Enthüllungen über schockierende Aussprüche oder Facebook-Veröffentlichungen von Kandidaten nach.

"Marine, Du bist die Reinkarnation von Adolf Hitler!"

Dies ist beileibe noch nicht alles. Andere Presseorgane hatten schon in den Wochen zuvor ähnliche Vorfälle ans Tageslicht befördert. Und dadurch deutlich belegt, was noch immer die politische Tiefennatur des FN ausmacht: die einer Partei, die Paranoide, Verschwörungstheoretiker, Rassisten und Hitlerfans anzieht wie das Licht die Motten. Kostproben: Eine Kandidatin in den Westpyrenäen schlägt vor, "die Araber auf ein Schiff zu setzen und (dieses) zu versenken".

Ein Kandidat im südwestfranzösischen Bezirk Aveyron schreibt neigt ebenfalls zu einfältigen groben politischen Ideen, gespickt mit Massenmord und Rechtschreibfehlern: "Die Juden verdienen, getötet zu werden, wie sie Jesus getötet haben." Sein Kreisverband schloss ihn aus der Partei aus.

Ein Kandidat in Narbonne spricht sich, angeblich "im Scherz", für "Treibjagden auf Wildschweine, Wölfe, Luchse und auf Araber" aus. Ein stellvertretender Kandidat im Bezirk Ardèche erklärte seiner Parteichefin: "Marine, Du bist die Reinkarnation von Adolf Hitler!" . Was in diesem Falle als Kompliment gemeint war.

Auf die drohende Imageschädigung reagierte die Parteiführung, indem sie am Donnerstag Abend bekannt gab, dass sie die Mitgliedsrechte von zehn besonders umstrittenen Bewerbern "suspendierte", also aussetzte und auf Eis legte.

Umfragen sagen Wahlsieg bei den Bezirksparlamentswahlen voraus

Die nächsten Bezirksparlamentswahlen, die in ganz Frankreich (mit Ausnahme von Paris und Lyon, wo Rathaus- und Bezirksregierung in eines fallen) am selben Tag stattfinden, nahen heran (22. und 29. März). Die Stimmbeteiligung dürfte eher geringfügig ausfallen, im Augenblick wird eine Wahlenthaltung in Höhe von 57 Prozent prognostiziert, das wäre ähnlich hoch wie bei der Europaparlamentswahl 2014 in Frankreich.

Als Sieger zeichnet sich ab - sofern die in den letzten Wochen angefertigten Umfragen und die dabei benutzen diversen Umrechnungsmodalitäten denn die Realität widerspiegeln: der rechtsextreme Front National (FN), dem je Umfrage 29 Prozent, 30 Prozent respektive 33 Prozent der Wahlabsichten winken Darüber hinaus hat er erhebliche Chancen darauf, zur stimmenstärksten Kraft zu werden, wie bereits bei der Europaparlamentswahl im Mai 2014, damals mit knapp 25 % der abgegebenen Stimmen.

Einbruch in die früheren Domänen der Linken

Je nach Umfrage rangiert der FN derzeit auf dem Platz der stärksten Partei oder er teilt sich diesen Platz mit dem konservativ-wirtschaftsliberalen Parteienbündnis UMP/UDI, auf gleicher Höhe mit ihm. Bemerkenswert: Während in einer Umfrage des Instituts IFOP 29 Prozent der Befragten "den Sieg des FN wünschen", erklären dies dem Institut zufolge 50 % der befragten Arbeiter.

Tatsächlich tut der FN alles, um mit ausgeprägter sozialer Demagogie in die frühere Domäne der Linksparteien einzubrechen. Und fordert mittlerweile in seinen Wahlkampfauftritten sogar die traditionell stark dort verankerte Gewerkschaft CGT auf den Werften von Saint-Nazaire heraus.

Anfang März erschien eine weitere Umfrage des Instituts Odoxa, welche ihrerseits den FN bei 33 % der Stimmabsichten ansiedelt, das Parteienbündnis der bürgerlichen Rechten UMP/UDI bei 27 %, und den regierenden Parti Socialiste (PS) bei 19 %.

Das bedeutet noch nicht, dass er auch zur an Sitzen stärksten Partei werden wird: Die Mandate in den insgesamt rund 100 Bezirksparlamenten (Conseils départementaux; bis zur jüngst erfolgten Gebietsreform hießen sie noch Conseils généraux) werden nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben. Und dabei findet zwischen den beiden Wahlgängen eine Sammlung unterschiedlicher Kräfte auf beiden Seiten des politischen Spektrums statt, die i.d.R. zu Lasten des FN gehen dürfte, da dieser über keine stärkeren Verbündeten verfügt, mit welchen er sich vor der Stichwahl zusammenschließen könnte.

Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen: Amtsenthebungen drohen

Nichtsdestotrotz gilt der FN als nicht unwahrscheinlicher Anwärter auf die Übernahme der Bezirksregierung in vier französischen Départements oder Verwaltungsbezirken: Var (um Toulon), Vaucluse (um Avignon), Aisne (um Laon, in der Picardie) sowie Pas-de-Calais (in Nordostfrankreich, mit Verwaltungssitz in Arras). In jedem dieser Départements zählt die extreme Rechte derzeit ein oder mehrere von ihr regierter Rathäuser, seit den letzten französischen Kommunalparlamentswahlen vom März 2014.

In einem Falle allerdings, dem des rechtsextrem geführten Rathauses von Le Pontet (Vorort von Avignon, 17.000 Einwohner) wird die Wahl in wenigen Wochen wiederholt werden müssen. Am 25. Februar 15 annullierte der Conseil d’Etat, das oberste Verwaltungsgericht in Frankreich, die Wahl des dort amtierenden 32jährigen FN-Bürgermeisters Joris Hébrard. Es könne nicht ausgeschlossen werden, schlussfolgerte das Gericht aus den ihm vorliegenden Beweiselementen, dass die Wahl durch Unregelmäßigkeiten beeinflusst worden sei.

Bei der Rathauswahl im März 2014 lagen Joris Hébrard und sein damaliger konservativer Gegenkandidat von der UMP nur um insgesamt 17 Stimmen auseinander. Angesichts unleserlicher Unterschriften von Beisitzern in Wahlbüros, die möglicherweise nachträglich eingefügt wurden - während es die Aufgabe der Beisitzer/innen ist, für einen regulären Ablauf der Stimmabgabe zu garantieren - ist die Unverfälschtheit des Endergebnisses letztendlich nicht garantiert.

Die Einwohner zumindest eines der rechtsextremen Rathäuser müssen also demnächst an den Wahlurnen über seine Amtsführung befinden, und könnten ihm bei Unzufriedenheit die Quittung geben. Normalerweise müsste der FN ein solches Szenario fürchten. Allerdings wohl nicht, wenn die lokale Wahl in Le Pontet von einem möglichen Triumph des FN bei den französischen Bezirksparlamentswahlen überschattet wird.

Zwar droht auch noch einem zweiten Bürgermeister in einem FN-geführten Rathaus die gerichtliche Amtsenthebung, nämlich dem 35jährigen Fabien Engelmann (Lothringen) wegen des Vorwurfs illegaler Finanzierung seiner Wahlkampfkosten. Allerdings müsste er in seinem Falle nur die Amtsgeschäfte an ein anderes Mitglied der vom FN gestellten Mehrheit im Kommunalparlament übergeben. Letzteres würde anders als in Le Pontet nicht aufgelöst, also kein Mehrheitswechsel stattfinden.

"Mauer quer durch ein Wohngebiet"

Nicht überall stehen die rechtsextremen Amtsinhaber vor einem solchen Scherbenhaufen, auch wenn mancherorts die Proteste zusammen, vor allem in Beaucaire (im Raum Arles/Nîmes), wo der FN-Bürgermeister jüngst harte Einschnitte bei Schulkantinen und Sozialzentren vorgenommen hat.

Aber mindestens einer von ihnen kann auch triumphieren. Steeve Briois, Bürgermeister von Hénin-Beaumont in Nordostfrankreich - und bis zum letzten FN-Parteitag in Lyon von Ende November 2014 auch Generalsekretär der Partei - verstand es, darauf zu achten, nicht allzu viel Wellen zu schlagen und unpopuläre Entscheidungen möglichst zu vermeiden. Auch wenn er unlängst zu dem spektakulären Mittel griff, eine Mauer quer durch ein Wohngebiet zu errichten, "um Diebe abzuhalten", was manche Anwohner nun zu erheblichen Umwegen (jedenfalls im Auto) zwingt, um ihre Kinder von der Schule abzuholen.

Am 27. Januar d.J. verlieh eine Journalistenjury, angeführt durch die prominente TV-Journalistin Arlette Chabot, ihm einen Preis, den für den "Lokalpolitiker des Jahres 2014". Dieser Preis wurde ihm an jenem Dienstag in der Residenz des Präsidenten der französischen Nationalversammlung übergeben, zeitgleich zur Preisüberreichung an andere preisgekrönte Politiker (unter ihnen Umweltministerin Ségolène Royal).

Parlamentspräsident Claude Bartolone selbst, der Inhaber der Räumlichkeiten, zog es vor, dem Ereignis fern zu bleiben - der Sozialdemokrat berief sich dabei ausdrücklich darauf, am Morgen desselben Tages habe er eine Ansprache zum Auschwitz-Gedenktag halten müssen, und beides passe nicht zusammen. Bei der Preisverleihung Anlass wurde, wie man im Nachhinein erfuhr, der Fernsehjournalist Gilles Leclerc durch die FN-Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen bedroht - mit den Worten:

Wir kriegen Sie! Aber wenn Ihnen das dann passiert, dann wird ihnen das sehr weh tun.

Erheblicher Aufwand bei der Bereitstellung von Kandidaten

Zu diesen Bezirksparlamenten tritt der FN fast flächendeckend an, in über 92 Prozent der Kantone (Wahlkreise in den Bezirken). Dies bedeutet rund 7.650 Kandidaturen von Einzelpersonen, im Vergleich zu 2.720 Kandidatinnen und Kandidaten des FN zu den Bezirksparlamentswahlen im März 2011. Ein erheblicher Aufwand für eine Partei, die zwar formal vorgibt, über rund 80.000 Mitglieder zu verfügen- in Wirklichkeit jedoch nur über die Hälfte davon, wie anlässlich des letzten FN-Parteitags im November 2014 in Lyon die Auswertung der Mitgliedervoten im Vorfeld belegte.

Deswegen tauchen auch dieses Mal - wie bei den Rathauswahlen im März 14 - vereinzelt Bewerber/innen auf, die unfreiwillig, also ohne ihr Zutun oder ohne klares Bewusstsein darüber zu haben, auf Listen des FN stehen. Beispielsweise eine sehbehinderte, über siebzigjährige Frau in der Auvergne, die inzwischen Strafanzeige erstattet hat. Es ist jedoch zu befürchten, dass dies zahllose Französinnen und Franzosen nicht von einer Stimmabgabe für diese Partei abhalten wird, ebenso wenig wie die oben erwähnten rassistischen Grobheiten.