Für Sonnenenergie und Atomkraftwerke

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft legt eine neue Studie zum Thema Klimaschutz und Energieversorgung vor

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Mit der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls hat sich Deutschland verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis 2012 um 21% gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 zu senken. Die Chancen, dass dieses Vorhaben tatsächlich umgesetzt wird, stehen gut, denn bis dato wurden bereits 17% eingespart. Das nationale Klimaschutzziel, das 1995 auf die griffige Formel „Minus 25 Prozent Kohlendioxid bis 2005“ gebracht wurde, kann dagegen ad acta gelegt werden.

Trotz der massiven Förderung alternativer Energien konnte der Ausstoß von Treibhausgasen bezogen auf 1990 nur um 15% reduziert werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Die Untersuchung trägt den Titel „Klimaschutz und Energieversorgung in Deutschland 1990 – 2020“ und liegt nach Auskunft von DPG-Präsident Knut Urban bereits seit September vor. Mit Rücksicht auf die Bundestagswahl habe man die Veröffentlichung aber zurückgehalten. Das Thema sei „zu wichtig, um es hektischen Wahlkampfzeiten zu überlassen“, erklärte Urban und bekundete so sein durchaus nachvollziehbares Misstrauen in das Verantwortungsbewusstsein unserer politischen Führungsriege.

Trotzdem sind die Parlamentarier und vor allem die Mitglieder der neuen Bundesregierung gefragt, wenn Deutschland in puncto Klimaschutz weiter vorankommen soll. Nach Einschätzung von Walter Blum, der die Studie als Leiter des DPG-Arbeitskreises Energie entscheidend mitgestaltet hat, geht es nicht so sehr um die Aufstellung neuer Bestmarken als um die Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion der deutschen Klimaschutzpolitik. Um andere Länder mit deutlich höheren Treibhausgas-Emissionen zu verstärkten Anstrengungen motivieren zu können, sei es unumgänglich, dass Deutschland seine eigenen Zielvorgaben erreicht.

Wie das gelingen kann, erklärt die Studie auch – allerdings erst , nachdem die mangelnde Effizienz regenerativer Energieformen wie Photovoltaik, Windkraft, Biomasse oder alternative Treibstoffe ausführlich erläutert und das Thema Kernfusion ganz außen vor gelassen wurde, weil der Zeithorizont bis 2020 nicht überschritten werden sollte. Bleibt also – wer hätte anderes erwartet? – nur das Thema Kernenergie, dem die Untersuchung das entscheidende Einsparpotenzial attestiert.

Wenn der Atomausstieg, wie von der früheren rot-grünen Bundesregierung geplant, in den nächsten Jahren fortgesetzt würde, könnte der Ausstoß an Treibhausgasen bis 2020 nur um 26 Prozent gesenkt werden. Die Abschaltung der Kraftwerke bedeutet nach den Berechnungen der DPG pro Jahr rund 112 Millionen Tonnen an zusätzlichen Treibhausgasen - 2020 würde dann ein Gesamtausstoß von über 920 Millionen Tonnen erreicht.

Aus diesem Grund fordern die Physiker den vorläufigen Ausstieg aus dem Ausstieg. Schließlich sei die deutsche Reaktorsicherheit weltweit führend. „Aus physikalischer Sicht gibt es keinen Grund, an dem Fahrplan des beschlossenen Ausstiegs festzuhalten“, meint Walter Blum.

Doch auch im Kreis der einstweiligen Atomkraft-Befürworter findet die eine oder andere Zukunftsvision Unterschlupf. Auf Dauer könnten solarthermische Kraftwerke zu einer entscheidenden Reduzierung der schädlichen Emissionen beitragen, glauben die Wissenschaftler. In Südeuropa und Nordafrika sollen diese Anlagen Sonnenstrahlung mit Hilfe von Spiegeln so stark konzentrieren, dass Hochtemperaturwärme gewonnen und anschließend in konventionellen Dampf- oder Gasturbinen Strom erzeugt werden kann. Die Autoren haben dabei nicht nur die Energieversorgung in den jeweiligen Ländern vor Augen. Deutschland kann ihrer Einschätzung nach zum politisch und ökologisch korrekten Strom-Importeur werden, wenn die astronomischen Kosten nicvht gescheut werden, die für den Bau von Hochspannungstrassen oder Seekabeln zunächst investiert werden müssten, nicht gescheut werden. In diesem Fall sollen die ersten Stromimporte vielleicht sogar noch vor dem Zeithorizont 2020 in Deutschland eintreffen.

Bis 2030 Verdopplung des weltweiten Energiebedarfs und des Ausstoßes an Treibhausgasen

Ob die Prognosen der DPG zutreffend sind oder ob sie – was angesichts der eingeschränkten Perspektive und einer insgesamt hochdynamischen Entwicklung wahrscheinlicher ist – in dieser Form nicht eintreffen werden, sei einmal dahingestellt. Dass die Energiepolitik weltweit vor riesigen Problemen und Herausforderungen steht, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Zu dieser Erkenntnis gelangt auch der World Energy Outlook 2005, den die Internationale Energieagentur (IEA) bereits am Montag vorgestellt hat. Ihre Prognose für die weltweite Energiewirtschaft bis zum Jahr 2030 geht davon aus, dass noch 17 Billionen Dollar in Gewinnung und neuen Raffinierien investiert werden müssten, um die Energieversorgung der stetig wachsenden Weltbevölkerung sicherzustellen. Deren Bedarf, der vor allem durch Öl und Gas gedeckt werden dürfte, kann bei gleichbleibenden politischen Rahmenbedingungen im Vergleich zu heute um über 50% ansteigen, und diese Zahl gilt nach Berechnungen der Agentur auch für die CO2-Emissionen. Sollten die Förderländer im Mittleren Osten und in Afrika ihre Investitionspolitik allerdings nicht intensivieren oder die Verbraucherländer Energiegewinnung und -verbrauch grundlegend reformieren, sind auch andere Szenarien denkbar. Die Energieagentur hält eine Senkung des CO2-Ausstoßes um 16% gegenüber dem erwähnten Referenzmodell ebenso für möglich wie eine Reduzierung des Ölpreises auf 39 Dollar pro Barrell im Jahr 2030.

Eine Verschärfung der Energieprobleme scheint gleichwohl unausweichlich, aber es gibt auch positive Entwicklungen zu vermelden. Auf der internationalen Konferenz für erneuerbare Energien (BIREC 2005) in Peking konnte das Renewable Energy Policy Network for the 21st Century feststellen, dass noch nie so viel Geld in erneuerbare Energien investiert wurde wie im Jahr 2004. Insgesamt belief sich die Investitionstätigkeit auf 30 Milliarden US-Dollar, vermeldete die Untersuchung Renewables 2005: Global Status Report.

Zu den führenden Nationen in den einzelnen Bereichen gehören Brasilien (Biotreibstoffe), Dänemark (Wind), Deutschland (Wind und Photovoltaik), Indien (Wind, Sonnenenergie und Biomasse), Japan (Photovoltaik), Spanien (Wind), China und die Vereinigten Staaten. Dabei steht die Entwicklung energiepolitischer Alternativen erst am Anfang. China will bis 2020 mehr als 30 Prozent seines Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen erzeugen und könnte so eindrucksvoll demonstrieren, dass sich Klimaschutz ernsthaft und nachhaltig mit der Erschließung neuer wirtschaftlicher Potenziale verbinden lässt. Deutschland hat in diesem Bereich bislang eine führende Rolle gespielt – doch das sind die guten Nachrichten von gestern. Jetzt kommt es schon wieder darauf an, nicht den Anschluss zu verlieren.