"Für die Zukunft"

Christine Prayon. Bild: privat

Christine Prayon erhielt den Dieter-Hildebrandt-Preis der Stadt München, prangert den Ausstieg der Stadt aus dem Open-Source-Projekt LiMux an und spendet das Preisgeld an die Free Software Foundation Europe

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Wortlaut der Dankesrede von Christine Prayon, bekannt auch als "Birte Schneider" aus der heute show, anlässlich der Verleihung des mit 10.000 Euro dotierten "Dieter-Hildebrandt-Preises" 2019 der Stadt München "für anspruchsvolles politisches beziehungsweise dezidiert gesellschaftskritisches Kabarett", überreicht durch den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am 14. Mai 2019 im Festsaal des Alten Rathauses in München. Die Veranstaltung war nicht-öffentlich und fand vor geladenen Gästen statt.

Die Jury schrieb in ihrer Begründung: "Sie verzichtet auf die Nennung von Namen und die explizite Benennung von Missständen, sorgt aber in ihrem künstlerischen Kontext dafür, dass wir wissen, wer oder was gemeint ist." In ihrer Dankesrede macht sie jedoch klar, dass sie durchaus keine Scheu hat, Namen und Missstände zu nennen. In München spießt sie den Ausstieg der Stadt unter Oberbürgermeister Reiter aus LiMux und den Rückgang zur proprietären Software von Microsoft auf - als nicht besonders zukunftsträchtig.

Vielen Dank für den Preis. Danke an die Jury, nicht nur dafür, sich für mich als diesjährige Preisträgerin entschieden zu haben - auch für die Begründung Ihrer Wahl, über die ich mich wirklich sehr gefreut habe. Das Eine ist ja das, was man sich dabei denkt, was man will, wenn man als Künstler auf eine Bühne geht, und das Andere ist, ob sich das überhaupt erzählt und einlöst. Vor zehn Jahren hab ich mein Solo in der Regel vor 20 Leuten gespielt und davon ist die Hälfte in der Pause gegangen. Heute verstehen die Leute zwar immer noch nicht, warum ich manchmal im Badeanzug auf der Bühne stehe, aber sie hauen auch nicht mehr gleich ab. Dass nun ausgerechnet das, was mir den Start schwierig machte, nämlich das Brechen mit Sehgewohnheiten, das Austesten von Schmerzgrenzen, sowohl der eigenen als auch der des Publikums, heute hier von der Jury als preiswürdig bezeichnet wird, das empfinde ich schon als eine große Wertschätzung. Eigentlich ein guter Zeitpunkt um aufzuhören. Vielleicht noch 'ne letzte Abschiedstour, mal schauen.

Der Dieter-Hildebrandt-Preis. Das ist schon was. Keine Sorge, ich werde jetzt nicht anfangen, über Dieter Hildebrandt zu dozieren. Ich werde auch keine Vergleiche zwischen seiner und meiner Arbeit anstellen und nach Überschneidungen oder Gemeinsamkeiten in Form und Inhalt suchen, um vor Ihnen, aber vor allem vor mir selbst rechtfertigen zu können, warum ich diesen Preis bekomme und um dann bescheiden damit zu schließen, dass die Fußstapfen ja viel zu groß sind, ich den Preis aber dennoch in Demut annehme RHABARBER RHABARBER.

Sie wissen alle, wofür Dieter Hildebrandt stand und immer noch steht. Ich denke, es gibt viele Kabarettisten, die ihr Handwerk beherrschen, aber eine Haltung lässt sich in diesem Sinne nicht erlernen. Die hat man oder nicht. Und wenn man die hat, kommt man nicht umhin, sich manchmal mit denen, die Entscheidungen treffen und die Macht haben, anzulegen. Das trauen sich dann nicht mehr so viele. Dieter Hildebrandt hat sich das immer getraut und das ist der Punkt, wo er mir ein großes Vorbild ist. Damit macht er mir Mut, konsequent zu sein. Insofern: Danke, Dieter Hildebrandt! Einen Preis mit Ihrem Namen zu erhalten, ist mir eine Ehre. Danke auch an die sehr geschätzten Kollegen Matthias Egersdörfer, Sebastian Rüger und Norbert Bürger. Ich liebe das sehr, was Ihr macht und Euer Wahnsinn beruhigt mich enorm. Es ist mir eine große Freude, dass Ihr heute hier mit mir feiert.

Danke auch an die Stadt München, insbesondere an das Kulturreferat. Ich bin froh, dass München mir einen Preis verleiht, weil ich in meiner Wahlheimat Stuttgart keinen mehr bekomme. Ich glaub, ich hab mich da zu oft in die Proteste gegen Stuttgart 21 eingemischt und ... vielleicht ein bisschen zu oft schlecht über die Grünen geredet. Hier hab ich noch nie was über die SPD gesagt, das ist vielleicht mein Glück ... Aber Sie haben auch kein Stuttgart 21! Sie haben ja nicht mal 'n Transrapid, seien Sie froh! Obwohl: Der hätte Sie ... vom Hauptbahnhof München... in 10 Minuten...ah, das erkläre ich jetzt nicht, ist zu kompliziert. Nee, in München hätte sich so was wie Stuttgart 21 nie durchsetzen können.

München ist ja viel weniger reaktionär als Stuttgart. Ich muss das jetzt an dieser Stelle wirklich mal sagen, auch wenn das wie Schleimen rüberkommt: Ich finde das so klasse, dass Sie hier in München angefangen haben, sich von einem Riesen-Konzern mit Monopolstellung unabhängig zu machen und Ihre komplette Verwaltung über ein freies System laufen zu lassen. Das ist absolut vorbildlich, weil die Verwaltung damit ja selbst bestimmen kann, was dieses freie System tut und das ist ja in so 'ner zunehmend digitalisierten Welt die Grundvoraussetzung dafür, dass Demokratie funktioniert!

Entschuldigung, für die Nicht-Münchner, die das vielleicht nicht wissen: Ich rede von LiMux. Ein Wahnsinns-Projekt. Die Münchner haben nämlich als allererste Großstadt in Europa Windows einfach Tschüss gesagt und sich für Linux entschieden! Freie Software! Musste nix vom Konzern kaufen, damit die Kiste läuft, ist allen frei zugänglich, können alle mitgestalten, auch weil sich's von Hause aus der allgegenwärtigen Verkaufslogik entzieht. Wenn da Fehler auftauchen, biste nicht abhängig von 'nem Konzern, der allein den Quellcode kennt. Den kennen bei Linux alle, Sie, Sie, Sie, Sie, Sie .... Alle können gucken, warum da Fehler sind, alle können die reparieren. Das ist total progressiv. Das ist Zukunft.

Ich weiß, es gibt da jetzt ein paar ... Startschwierigkeiten. Irgendwie ist das jetzt grade bissl ins Stocken geraten. So ein Riesen-Projekt braucht ja auch Zeit. Da müssen alle umlernen. Da geht's manchmal einen Schritt zurück, bevor's wieder zwei Schritte vorwärts geht. Ist doch klar. Aber Sie haben sich hier auf den Weg gemacht - und das ist das Tolle! Wenn man das will, dann wird das!

Mein Sohn hat mir das erklärt. Der ist fünf. Der schwänzt freitags immer Kindergarten und geht demonstrieren. Für seine Zukunft! Der hat zu mir gesagt, als ich gerade am Computer saß und gearbeitet hab (war an so'm Gag dran über das Bindegewebe von Andrea Nahles und musste mich voll konzentrieren, weil ich nicht wusste, ist das noch Frauenkabarett - wegen Bindegewebe - oder doch schon politisches Kabarett - wegen Andrea Nahles? ... Und da fragt der mich, mein Sohn, warum ich IMMER noch Windows benutze und nicht Linux! Ob ich etwa KEIN Interesse an seiner Zukunft hätte. Es sei - Zitat - "absolut zwingend, das digitale Netzwerk von jeder Kontrolle durch privates Kapital oder der Macht des Staates freizuhalten. - Slavoj Zizek."

Hab ich ihn gefragt: Woher kennst du Zizek? Sagt er, Zizek wiederhole ja nur, wovor Julian Assange schon vor Jahren gewarnt habe. Hab ich ihn gefragt: Woher kennst du Julian Assange? Sagt er, weil es für sein Leben wichtiger sei, Julian Assange oder Edward Snowdenzu kennen als den Struwwelpeter oder den Grüffelo. Um zu verstehen, in welchem Ausmaß wir kontrolliert und manipuliert werden, müsse man sowohl die Verstrickungen privater Konzerne mit politischen Parteien als auch die von Daten verarbeitenden Unternehmen wie Google oder Facebook oder Microsoft mit staatlichen Sicherheitsbehörden erkennen.

Ich muss dann wohl so geguckt haben wie jetzt, weil er sagte: Mama, stell dir vor, die AfD hat das Sagen. Oder schlimmer noch: die CSU! Dann willst du nicht, dass die zusammen mit Microsoft an deine Daten rankommen. Hab ich zu ihm gesagt: O-keee, bist du ganz sicher, dass du jetzt nicht übertreibst? Ich meine ... wenn du unbedingt demonstrieren möchtest, dann mach doch gegen ... Nazis oder so. Das passt doch immer, hm? Sagt mein Sohn: Mama? ... Du hast echt nichts verstanden. Ich demonstriere für'ne bessere Welt. Ob es um Linux geht oder bezahlbaren Wohnraum oder darum, das Klima zu retten, ist doch im Grunde alles eins. Es geht um alternative Lebens- und Gesellschaftsformen, Mama! Und die braucht's langsam echt, wenn wir die Karre nicht komplett an die Wand fahren wollen! Du kannst ja weitermachen wie bisher, ICH geb' mein Taschengeld jetzt den Ehrenamtlichen, die für Linux arbeiten. - Welches Taschengeld? - Achso ja, hab ich vergessen zu sagen: Offiziell steht mir ab 6 Taschengeld zu. Ich will das aber jetzt schon haben, weil mein Entwicklungsstand durchaus dem eines 6jährigen entspricht ...

Er hat Recht. Scheiße, er hat mit allem Recht. Wir nennen das seine Greta-Thunberg-Phase... Naja. Geht auch vorbei. Vielen Dank nochmal für den Preis. Ich freu' mich riesig darüber! Das Preisgeld möchte ich der Free Software Foundation Europe spenden. Der Verein ist auf Spenden angewiesen, weil da hauptsächlich Ehrenamtliche arbeiten und dafür sorgen, dass freie Software wie Linux immer weiter verbessert und verbreitet wird. Ich möchte mich mit der Spende für diese unglaublich wichtige und großartige Arbeit bedanken. Ich tu das für meinen Sohn. Wegen Future und so.

Anmerkung: Ende 2017 hat der Münchener Stadtrat mit der Mehrheit der großen rot-schwarzen Koalition beschlossen, bis 2020 wieder vom Open-Source-Projekt LiMux aus der grün-roten Zeit auf Windows umzustellen.