Für einen Kugelschreiber macht man sich zum Affen

Schnäppchensammler auf der CeBIT

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Nur noch wenige Stände auf der CeBIT bieten den Besuchern keine Präsente. Früher wurde um Disketten gerungen, heute muss es schon eine CD-ROM sein. Obwohl die die Stände abgrasenden Kids auf der CeBIT wohl auch wegen der inzwischen hohen Eintrittpreise tagsüber fehlen, geht es nach den Informationen der Hersteller zu wie eh und je. Allerdings muss sich der Besucher sein Schnäppchen inzwischen auf einer Bühne vor Publikum verdienen.

Bestimmte Urinstinkte scheinen jede Evolutionsstufe zu überleben, der Mann bleibt Jäger und Sammler. Zumindest auf der CeBIT vermitteln viele Männer diesen Eindruck, denn an vielen Rucksäcken oder Händen baumeln gasgefüllte Luftballons zur Decke. Es muss zudem ein magischer Einfluss von diesen Ständen ausgehen, denn wer hat sonst schon gerne ein schwebendes "E" als Anhängsel dabei.

Magisch angezogen werden diese Leute auch von vollen Ständen. Frei nach dem Motto, da ist was los, da muss es etwas geben, werden diese Messestände sogleich umzingelt. Und oft wird ihr Jagdinstinkt nicht getrübt, denn entweder steht dort jemand, der gerade mal wieder die Ballons mit Gas befüllt oder sich einen Spaß daraus macht, mal eben eine Handvoll Kugelschreiber in die Menge zu werfen. Manche dieser Zuschauermagnete haben aber noch ganz andere Tricks drauf. Hier wird dem Jäger signalisiert, dass man eine Vollversion oder zumindest eine Demoversion ergattern könne. Doch zu Hause entpuppen sich solche CD-ROMs nur als einfach gestaltete Produkt- und Bestellkataloge. Vollversionen werden auf der CeBIT nun wirklich kaum noch verteilt, aber der Jagdinstinkt bleibt geweckt. Besonders geschickt ist es von diesen Rationsverteilern, die CD-ROM nur gegen Visitenkarten herauszurücken. Das hebt den Beschenkten doch gleich in den Status eines VIP-Beta-Testers. Doch wird er wohl kaum kontrollieren können, wo die Adresse seiner Visitenkarte überall landen wird. Noch schneller kommen die Hersteller an umfassende Adresslisten, wenn sie eines der unvermeidlichen Gewinnspiele anbieten. Doch wer um 17.30 Uhr nicht am Stand bei der Auslosung anwesend ist, verliert ggf. seinen Gewinn.

Der Infotresen auf den Messeständen wird im Zuge des CeBIT-Revierverhaltens systematisch abgegrast. Steht dort eine Schüssel, greift man ungefragt erst einmal hinein und steckt es schnell in die Tasche. Statt der so beliebten PINs finden sich dort leider nur immer öfter Bonbons oder Gummibär-Tütchen. Bescheidenheit gibt es bei diesem Handgriff nicht, schließlich hat man eine ganze Familie zu versorgen und möchte der familiären Meute in infantiler Freude eine umfangreiche Beute präsentieren. Die dreisten Profis umkreisen erst einmal diesen Tresen und versuchen einen Blick in die Regale zu erhaschen, um dann ganz zielstrebig nach dem Stofftier oder dem Buch zu fragen.

Doch die Aussteller schlagen zurück, denn wer gibt schon freiwillig seine Präsente heraus. Diese sind bei manchen Hersteller nur für besonders wichtige Business-Alphamännchen reserviert. Besonders begehrt waren in diesem Jahr Linux-PINs, diesen bekam man nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit in die Hand gedrückt, während andere im Anzug einen Stoffpinguin unter dem Jackett zu verstecken suchten. Manche Aussteller verteilen ihre Werbegeschenke nur im Rahmen einer Show. Hier mal die Frage zu beantworten, welche Standnummer der Messestand habe, grenzt dann wirklich schon an einen Intelligenztest. Deshalb wird der schnellste Antwortgeber mit einer Baseballmütze belohnt und der Rest der Menge mal eben mit einer Handvoll Kugelschreiber beglückt. Die Herren in Nadelstreifen werden in diesem Moment zu reißenden Wölfen, um ja eines der begehrten Stücke zu ergattern.

Und wirklich, an diesen Aktionen beteiligen sich ganz selten Frauen. Die haben das auch nicht nötig, denn ein Augenaufschlag oder ein bezauberndes Lächeln appelliert sofort an den Verteiler, dass er sich als Beschützer und Umsorgender zeigen muss. Hier begibt sich mancher dieser Propagandisten auch mal von der Bühne des Lebens, um einen Kugelschreiber oder auch schon einmal mit minimaler sexueller Anspielung ein Kuscheltier zu verteilen. Neben der Quizshow scheint sich aber ein neuer Typ von Gewinnspiel durchzusetzen, der Kandidat muss sich verkleiden oder im schlimmsten beobachteten Fall einen Pümpel auf den Kopf setzen lassen. Mit diesem Instrument gegen jegliche Art von Verstopfung im sanitären Bereich sieht jeder aus wie ein Idiot und wird prompt mit einem T-Shirt belohnt. Andere klemmen sich für ein Foto in die Kiste und bewerfen sich mit Konfetti, das hat zumindest in der Vorkarnevalszeit einen Sinn. Ein Mobilfunkhersteller verteilte auf Stöcken montierte Fahrradsättel, wobei manch Besucher nicht die Frage beantworten konnte, wann er diesen Stehsattel wohl das nächste Mal brauchen könnte. Begehrenswert waren diesmal auch Schneeschaufeln, da störte es die Jäger auch nicht, dass diese eher für Kinder geeignet waren. Mitgenommen wird einfach alles und wenn es nur ein Rettungsring ist. Wer weiß, in welches Unwetter man auf dem Nachhauseweg kommt.

Als Beobachter dieser Szenerie denkt man, dass der Zuschauer sich wirklich so eine Fernsehsendung wie "Big Brother" verdient hat, denn wer sich als Akteur so viel gefallen lässt, um mal eben einen Kugelschreiber oder ein T-Shirt zu ergattern, der darf sich auch 100 Tage am Elend anderer ergötzen. Auf die Spitze trieb es ein Hersteller aus dem Fotobereich mit den beiden "Aas" vorn und hinten im vier Buchstaben bestehenden Namen. Statt einer Tüte für das ebenfalls eingesammelte Prospektmaterial verteilten diese Pappkartonrucksäcke, die auch noch mit zwei Fähnchen drapiert waren. Den Waidmännern war auch dieses Präsent nicht zu schade, um es mit Luftballons, Schneeschaufeln oder Fahrradsätteln zu schmücken. Mit Stolz geschwellter Brust wird alles in die Straßenbahn gezerrt, wo dann schon einmal das erste Prospektmaterial auf den Fußboden aussortiert wird oder mit Rudelmitgliedern die Trophäen verglichen werden.

Am Ausgang stehen am Nachmittag die Kids und fragen, ob man seine Eintrittskarte noch habe. Kaum haben sie eine erhalten, gehen sie in pubertierenden Horden auf die Schnäppchenjagd. Dann heißt es wieder an den Infotheken: "Haben Sie Werbegeschenke?"

Fotos: Gerald Jörns mit Epson 850Z