Furcht vor dem Nahrungsmittel-Bioterrorismus: real oder Mittel zum Protektionismus?

Ein neuerliches Beispiel für die stille Notstandsgesetzgebung in den USA, die der 11. September beschert hat

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Kaiser und Könige hatten sie, die Potentaten dieser Welt werden nicht ohne sie sein: die Vorkoster, weil Nahrungsmittel töten können. Verständlich, dass der "Bioterrorism Act", vom amerikanischen Präsidenten am 12. Juni unterzeichnet, auch an die Gefährdung durch Nahrungsmittel denkt. Die US Food and Drug Administration (FDA) soll bis zum Ende des Jahres 2003 die Gesundheit im Detail festlegen. Verständlich auch, dass die National Food Processors Association (NFPA) diesem Marathon mit gemischten Gefühlen entgegensieht.

Wurde noch am 22. Mai 2002 zur "Bioterrorism Bill Food Provisions" rückhaltlos applaudiert, macht sich jetzt Ernüchterung breit. Da wird von einem extremely challenging task gesprochen, und Paul Wood, Mitglied des NFPA-Boards und zugleich Vizepräsident des Weltunternehmens Unilever stellt fest:

While the Bioterrorism Preparedness Act represents a broad expansion of FDA's food-related enforcement authorities, the Agency will need to be circumspect in how it invests its new resources to assure the most effective food security protections. ...If nothing else, the aggressive timeframe under which FDA must complete its work leaves little if any margin for error..

Die NFPA ist in ihrer Darstellung die bedeutendste "food trade association and the voice of the food processing industry on scientific and public policy issues involving food safety, food security, nutrition, technical and regulatory matters and consumer affairs." Sie spricht für 1.5 Millionen Beschäftigte, 21.000 Produkte und etwa 16.000 Produktionsstätten in den USA.

Woher kommt die Sorge? Das Gesetz ist zum Freibrief geworden, weil es die in der Vorlage noch beschränkten Rechte der FDA und des Secretary of Health and Human Services (HHS) über die Maßen gestärkt hat. So bedarf es jetzt keiner Deklaration eines Notstandes mehr, um die Behörden tätig werden zu lassen. Allein der Verdacht, dass "the article of food presents a threat of serious adverse health consequences or death to humans or animals" reicht für das Eingreifen und weitere Aktionen aus. Als besonders gefährdet werden Kinder und Operierte angesehen, womit die Richtschnur bei Bedarf hoch angesetzt werden kann. Bereits ein einfacher Angestellter der Behörde ist ermächtigt, ein Produkt für zunächst einmal 10 Tage festzusetzen, wenn er "credible evidence or information" hat, daß "the food presents a threat of serious adverse health consequences or death to humans or animals." Bei Importprodukten reicht dieser Schritt aus, um die Einfuhr durch die Zollbehörde zu untersagen. Die FDA darf die Blockade bis zu 30 Tagen verlängern und ggf. durch eigene Untersuchungen weiter protrahieren.

Deshalb ist bemerkenswert, dass der Hersteller im Falle einer fälschlichen Anschuldigung keinen Schadenersatz geltend machen kann. Ein weiteres Element, das an die Zulassung von Arzneimitteln erinnert, ist die Forderung nach der Registrierung aller Nahrungsmittelprodukte von in- und ausländischen Herstellern. Die einzureichenden Unterlagen müssen detailliert ausgefüllt werden und beinhalten mitunter schützenswerte Besonderheiten des Produkts. Die Beamten der FDA dürfen diese Informationen nicht weitergeben - solange nicht eine Gefährdung durch das Nahrungsmittel vermutet wird.

Der Knackpunkt ist die pauschal gefasste Gesundheitsgefährdung, die keines Notstandes bedarf. Kelly Johnston, Vice President for Government Affairs and Communications for NFPA, stellt deshalb zu Recht fest, dass es sich bei dem Gesetz um "the largest expansion of food related enforcement authorities in the history of the Federal Food, Drug and Cosmetic Act (FFDCA)" handelt. Das Diktat der Regierung ist auch im internationalen Vergleich einmalig.

Die Auswirkungen sind unkalkulierbar. Weil der amerikanischen Gesundheitsbehörde zugestanden wird, gesundheitsschädliche Produkte auszumachen und zu verbieten, werden die Beamten alles tun, um sich dem Vorwurf zu entziehen, sie hätten etwas unbeachtet gelassen. Das fördert unzweifelhaft den Protektionismus der landeseigenen Produzenten, weil die durch zusätzliche staatliche Regelungen und die US Rechtsprechung einfacher in den Griff zu bekommen sind als ausländische Hersteller. Schon jetzt besteht die Möglichkeit, dass sich die FDA vor Ort umsieht, um zu einer Meinung zu kommen. Andererseits bedeutet die Registrierung, dass exportierende ausländische Produzenten damit werben werden, auf dem US Markt zugelassen zu sein. So wird die US-Gesundheit stillschweigend zum allgemeingültigen Maßstab aufgewertet. Diese Befürchtung hat eine Parallele. Die FDA, primär zuständig für Arzneimittel, bewertet nach einem organisierten Schema und bringt nicht-standardisierten "natürlichen" Produkt besonderes Misstrauen entgegen. Nicht-normierte Nahrungsmittel, und das kann der organisch gewachsene Apfel sein, werden suspekt und animieren noch mehr als bisher zur Massenfabrikation von "genetisch reinen" Nahrungsstoffen.

Bei aller Fürsorge ist allerdings ein wichtiges Element vom amerikanischen Präsidenten vergessen worden! Das Gesetz sieht noch nicht das Recht vor, in ein fremdes Land einzufallen, um dort die Hersteller von Nahrungsmitteln präventiv einzusammeln und unter US Kriegsrecht zu stellen.