Gaza-Konflikt eskaliert

Grenzzäune sind keine wirkliche Hilfe. Bild: Geplanter Sicherheitszaun an der Grenze zu Gaza. Quelle: IDF

Über 600 Raketen und Granaten wurden nach Israel abgefeuert; die israelische Armee greift im Gazastreifen an

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Über 600 Raketen und Granaten sollen inzwischen aus dem Gazastreifen nach Israel abgefeuert worden sein; zwei Drittel davon sollen auf leeren Felder aufgekommen sein; aber es gab drei Tote auf israelischer Seite, wie gemeldet wird.

Insgesamt wurden nach Angaben von Israel Times 13 Personen in Israel von den Angriffen getroffen. Genannt werden zwei Schwerverletzte und sechs leichter Verletzte infolge dieser Angriffe. 12 weitere Personen sollen leichtere Verletzungen erlitten haben, als sie sich in Schutzräume flüchteten. 66 Personen mussten wegen Panikattacken durch die Angriffe behandelt werden. Laut dem Liveblog der Zeitung geht der Beschuss weiter.

Die israelische Armee hatte laut Tagesschau am Sonntagmorgen 220 Ziele im Gazastreifen angegriffen. Gemeldet wird vom palästinensischem Medium Electronic Intifada, dass am Freitag und Samstag alleine 8 Palästinenser ums Leben kamen.

Die Zahlen sind alle vorläufig, wahrscheinlich stimmen sie schon beim Erscheinen dieser Meldung nicht mehr (Nachtrag: Später meldete Electroni Intifada mindestens 25 Tote unter Palästinensern). Derzeit ist kein Ende der Auseinandersetzungen in Sicht. Wie die Eskalation zu stoppen ist, ist nicht vorhersehbar. Ihr Beginn traf in bereits laufende Verhandlungen zwischen israelischen Vertretern und solchen der Hamas über Regelungen, die eine längere Dauer haben sollten. Ägypten vermittelt. Auch bei den Unterhändlern wird es hektisch und nervös zugehen.

Denn es steht, wie auch der genannte Bericht von Electronic Intifada schon im Titel hervorhebt, der Eurovision Song Contest in Tel Aviv an, eine der größten TV-Shows der Welt, wenn nicht gar die größte, wie Fans sagen. Das Finale ist für den 18. Mai angesetzt, die Halbfinale sollen am 14. Mai beginnen, die Proben laufen schon. Die Abläufe sind eng getaktet. Eine Störung, die dazu führt, dass der Song Contest nicht zum vorgegebenen Datum in Tel Aviv stattfinden kann, hätte ein großes internationales Aufsehen zur Folge, so viel kann man sicher sagen.

Die militärische Eskalation, die sich auf der Grundlage eines seit Monaten verstärkt schwelenden Konflikts an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel entzündet hat, ist noch von weiteren wichtigen Ereignissen umgeben. In Israel versucht Netanjahu eine neue Regierung zu bilden, am 9. Mai steht aus israelischer Sicht der Unabhängigkeitstag an und aus palästinensischer Sicht der Tag der Nakba, der Katastrophe der Vertreibung.

Im Vorfeld dieser symbolischen Tage zeigt sich, dass der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, der die letzten Jahre öffentlich mehr in den Hintergrund geriet, weil sich die Aufmerksamkeit deutlich stärkere auf andere Konfliktzonen, hauptsächlich in Syrien richtete, alles andere als ruhiggestellt ist, dass die "Pulverfässer" allesamt noch da sind und sie jederzeit angesteckt werden können. Zwar unterliegt die Analyse dessen, wer zuerst angefangen hat und mit welchem Recht wer wie handeln darf, nach wie vor einer großen Mühe, um sich durch den traditionellen Dschungel tendenziöser oder interessensgefärbter Berichterstattung zu arbeiten, wie etwa hier zu verfolgen ist, aber es hat sich im Lauf der Jahre einiges verändert. Die Pulverfässer sind nicht mehr genau dies selben.

So kam es zum Beispiel erst kürzlich dazu, dass sich Israels Regierung anlässlich von Protesten am Grenzzaun zwischen Gaza und Israel aufseiten der Hamas platzierte (Israel mal auf der Seite der Hamas). Der Grund dafür liegt darin, dass die Hamas der Adressat für die israelische Regierung ist, wenn es um den Gazastreifen geht und man dies weiter so halten will, angesichts einer wenig berechenbaren Konkurrenz, die der Hamas durch radikalere Gruppierungen im Gazastreifen erwachsen ist.

Die größte und bislang bedeutendste Gruppe aus mehreren Hundert ist der Islamische Dschihad, der für die Raketen, die seit zwei Tagen Richtung Israel gefeuert werden, als verantwortlich genannt wird. Das stellt ein paar Fragen, zum Beispiel: Woher so viele Raketen im Arsenal dieser Miliz kommen? Oder: Wie steht die Hamas dazu? Ist ein Machtkampf am Laufen oder agiert der Islamische Dschihad im Sinne von Teilen der Hamas? Oder entgleitet der Hamas in Gaza gar langsam die Macht?

Eine genaue Abgrenzung ist wie immer schwierig, wie sich allein schon daran zeigt, dass die israelische Armee derzeit gezielte Angriffe auf führende Hamas-Mitglieder unternimmt. Israel macht, wie man es in einigen Berichten lesen kann, die Hamas dafür verantwortlich, was im Gazastreifen vorgeht, weil die Hamas auch die größte Kontrolle über das Gebiet haben sollten. Gleichzeitig aber weiß man auch, dass die Konkurrenz zur Hamas, wie der Islamische Dschihad, an dessen Entstehung Irans Revolutionswächter bedeutend mitspielten (der augenblickliche Einfluss ist nicht so ganz klar), am Pulverfass sitzt.

Auch bei dem anderen Problem, das als Lunte zur gegenwärtigen Eskalation angeführt wird, sind die Verhältnisse nicht wirklich einfach, weil es Machtkämpfe an verschiedenen Stellen gibt. Dabei geht es ums Geld. Im Gazastreifen wartete man auf finanzielle Hilfen aus Katar, die dringend benötigt wurden, aber die Geldtransporter kamen angeblich nicht immer so durch, wie das gewünscht oder gebraucht wurde, der Geldnachschub, um Angestellte zu bezahlen und Versorgungen sicherzustellen, stockte.Verantwortlich dafür ist nach Ortskennern auch die palästinensische Autonomiebehörde, der es daran lag, auch ihre Position geltend zu machen.

Gerade beim Geld zeigt sich eine Verkettung, die, was die Palästinenser und ihre Stellung im Konflikt angeht, unglücklich verläuft, weil die Außenpolitik maßgeblicher Länder schlecht orientiert war. Ohne sich die Konsequenzen klarzumachen, haben auch europäische Länder beim planlosen Sperren von Geldern an Palästinensern mitgemacht, was zur Entstehung von Notsituationen beiträgt, die leicht kippen können und die Möglichkeit zur Eskalation bieten.