Gaza: Welche Lektion?

Netanjahu setzt weiter auf militärische Operationen

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Der Beschuss geht weiter auch am fünften Tag weiter. Die Operation Pillar of Defense, die Angriffe der israelischen Armee auf Ziele in Gaza, wird fortgesetzt und israelische Medien melden heute ein "Trommelfeuer von Raketen", die auf israelischem Gebiet einschlugen, abgefeuert aus Gaza. Das Bild, das vermittelt wird, legt großen Wert auf Ausgeglichenheit: "Mehr als 70 Raketen wurden seit Samstag auf Israel abgefeuert und die IDF hat eine ähnliche Anzahl von Zielen im Gazastreifen angegegriffen."

Wie soll das weitergehen? Wie sieht der politische Plan hinter dem militärischen aus? Welche Vorstellungen hat die Regierung Netanjahu für die Zukunft des Gaza-Streifens? Die Fragen stellen sich von Tag zu Tag lauter, von einer nicht-militärischen Antwort ist noch nichts zu hören.

Waffenstillstand wird es erst geben, wenn aus dem Gaza-Streifen keine Raketen mehr abgefeuert werden, antwortete Netanjahu US-Präsident Obama, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem italienischem Premierminister Mario Monti. Sollte der ägyptische Druck auf die Hamas kein Ergebnis bringen, und weiter Raketen auf Israel gefeuert werden, werde Israel gezwungen sein, mit Bodentruppen in Gaza einzumarschieren, übermittelt die Tageszeitung Ha'arez die derzeitigen Absichten Netanjahus. Alle Aufmerksamkeit ist auf den Mann gerichtet, der im Wahlkampf ist.

Kritik an dem Politiker, der seinen Ruf mit Härte begründet und zur ultima ratio neigt, ist im Kriegslärm nicht zu hören. Bislang wird Netanjahu von wichtigen westlichen Regierungen gestützt; die internationale Öffentlichkeit hält sich ebenfalls zurück. Doch wird sich das ändern, und die Wellen von einer anderen Seite kommen, gibt der israelische Beobachter Chemi Shalev zu bedenken. Ab jetzt könnte es bergab gehen, auch wenn die israelische PR bisher gut funktioniert hat

Shalev stützt seine Vorhersage auf eine Reihe von historischen Vorläufern - den ersten Libanon-Krieg, 1982, die Operationen Grapes of Wrath (1996), Defensive Shield (2002), den zweiten Libanon-Krieg (2007) und schließlich die Operation Cast Lead (2008), ebenfalls im Gazastreifen. Die Abläufe der öffentlichen Wahrnehmung der Aktionen würden sich in wesentlichen Stationen gleichen.

Zu Anfang würde die Weltöffentlichkeit in großen Teilen den ersten Militäraktionen zugestehen, dass es gute Gründe gebe, da es sich bei den Gegner um Terroristen handele. Der Erfolg der ersten IDF-Aktionen werde, wenn sie sich als chirgurgisch herausstellen, nicht angezweifelt. Im Gegenteil "militärische Connaisseure" zeigen sich beeindruckt und die Weltöffentlichkeit bleibe gewöhnlich ruhig.

Doch würde manchmal schon sehr schnell darauf die nächste Phase folgen: erste Meinungsartikel, die nach den Motiven der israelischen Regierung fragen und die exzessive Anwendung militärischer Gewalt zum Thema machen. Das könne sich binnen 72 Stunden drehen, sobald zivile Opfer von Palästinensern oder eine fehlgschlagene Operation ans Licht kommen. Es dauere dann nicht mehr lange bis zur internationalen Verurteilung, bis das "David gegen Goliath"-Bild die öffentliche Wahrnehmung dominiere.

Wenn es nicht bald zum Waffenstillstand käme, würde Israel wie in den vorangegangenen Konflikten genau bei diesem Ergebnis landen. Nur mit dem Unterschied, dass die öffentliche Meinung in den arabischen Ländern seit den Aufständen 2011 eine andere politische Relevanz und Wirkung und Mobilisierungsfähigkeit hat. Womit Shalev andeutet, dass Netanjahu Reaktionen hervorrufen kann, die aus dem Momentum, das gerade für Israel spricht, etwas ganz anderes machen könnte, wenn er auf dem Kurs der militärischen Härte bleibt: einen unerwünschten Aufruhr.

Lektionen auf der anderen Seite

Bislang sind die Nachrichten über eine Unverhältnismäßigkeit der israelischen Angriffe noch selten zu vernehmen. Aber es gibt sie. So berichtet die arabische Zeitung al-Akhbar von 500 Angriffen israelischer Kampfflugzeuge auf Ziele im Gaza-Streifen in den letzten 48 Stunden. Das ist eine andere Zahl, als jene die von der IDF angegeben wird. 54 Palästinenser sollen getötet worden sein, 530 verletzt. Mit ähnlichen Zahlen und Fotos versucht Electronicintifada.net auf die andere Seite aufmerksam zu machen. Das wird, aufgrund der einschlägigen Positionierung der beiden Publikationen, in westlichen Medien als Propaganda abgetan.

Palästinenser und andere Araber sehen dies jedoch mit einem anderen Blick, sie richten den Propagandavorwurf gegen die Darstellungen, die im Westen dominieren. Die beiden Lager-Wahrheiten werden den Krieg weiter unversöhnlich begleiten.

Kippt die Stimmung im Westen, so wird Netanjahu Schwierigkeiten bekommen. Bislang täuschen die Erfolge der IDF, deren Öffentlichkeitsarbeit, die Demonstration chirurgischer Schläge darüber hinweg, dass man politisch kein Jota weitergekommen ist. Dass die Situation grundsätzlich assymmetrisch ist. Dass die israelische Regierung nichts Entscheidendes unternimmt, um palästinensischen Forderungen nach Freiheit und Gerechtigkeit entgegenzukommen. Ihren Aktionen nach zu urteilen, ist es für die Regierung Netanjahu akzeptabler, Gaza anzugreifen, als dem Palästinensergebiet die Unabhängigkeit zu geben.

Erfahrungsgemäß, so ein anderer israelischer Kommentator, der auch auf die Geschichte des Konflikts zurückblickt, waren die israelischen Regierungen nur dann zu Konzessionen bereit, wenn ihnen wie bei der Intifada Schmerzen zugefügt wurden:

If history has taught us something, it’s that in those rare occasions when the other party is able to inflict too much pain and discomfort on Israelis - thus making the status quo "less tolerable" - concessions are finally made. This is the way the First Intifada led to Oslo and the second one to the disengagement (much in the way the 1973 war lead to the peace treaty with Egypt). In all these cases, the Palestinians (or Egyptians) paid a heavy price - much heavier than Israel - but they were able to move Israel out of its comfort zone.

Die Lektion, die israelische Führer Palästinensern zu lehren vorgeben, führt laut Noam Sheizaf eher dahin, dass man in Wirklichkeit nichts, also kein politisches Entgegenkommen, über wenig Gewalt, sondern nur über eine Menge Gewalt bekommt. Israel verfolgt eine Gaza-Politik, so Sheizaf, nämlich die Lage so zu halten, wie sie ist.