Geblitzt

Irak: Operation Lightning

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Mehr als 700 Tote im letzten Monat durch Anschläge seit der Bekanntgabe der neuen irakischen Regierung: Man wolle nicht länger in der Defensive bleiben, ließen Regierungsvertreter am vergangenen Donnerstag verlauten und kündigten eine Großoffensive gegen die "Insurgents" an. Am Sonntag hat die "Operation Lightning" gegen Widerstandsnester in Bagdad und Umgebung begonnen.

Es soll der bislang größte Einsatz irakischer Soldaten (und paramilitärischer Polizisten) gegen den Widerstand sein, mit 40.000 Mann will man zunächst gegen "Insurgent-Bastionen" in den Bagdader Vierteln, Abu Ghraib, Amarija und Khudra vorgehen; später soll die Offensive auf das Umland der Hauptstadt und andere Provinzen ausgedehnt werden. Für die Operation wird Bagdad in zwei große Bezirke aufgeteilt, Karkh im Westen und Rasafa im Osten. Als natürliche Grenze der beiden Bezirke dient der Tigris. Während der kleinere und bevölkerungsärmere Bezirk im Westen in 15 kleinere Areale aufgeteilt wird, soll der größere östliche Bereich in 7 Unterbezirke unterteilt werden. Die disproportionale Aufteilung, mutmaßt die US-kritische Bloggerin und Bewohnerin Bagdads, Riverbend, könnte damit begründet werden, dass die kleineren Hälfte die "Green Zone" beherbergt. Alle Zufahrten zu Bagdad würden strengen Kontrollen unterworfen, etwa 675 Checkpoints sollen installiert werden.

Es ist jetzt schon schwierig genug, in Bagdad herumzukommen, mehr Checkpoints machen die Dinge noch schwieriger. Der Plan sieht 40.000 irakische Sicherheitskräfte vor und das beunruhigt die Leute. Die Männer von der irakischen Nationalgarde sind keine angenehmen "Gentlemen-Bürger" - wenn Tausende von ihnen in Bagdad versammelt sind, um dort Autos aufzuhalten und möglichweise Zivilisten zu schikanieren, dann ist das beängstigend. Wir haben hier auch einige Angst vor Hausdurchsuchungen.

Riverbend

Wie es bislang aussieht, haben sich die Guerillas in Bagdad von der großen Zahl der Einsatzkräfte nicht beeindrucken lassen und mit mehreren Blitzangriffen auf die angekündigte Operation reagiert. Am ersten Tag der "Operation Lightning" wurden 20 Menschen (darunter Zivilsten) getötet. 14 davon bei einem länger anhaltenden Gefecht bei einem Gefangenlager in Amarija. Laut einem New York-Times-Bericht wurden am Sonntag außerdem mehrere Polizeistationen von Guerillas angegriffen. Der Versuch der irakischen Sicherheitskräfte, Bezirke abzuriegeln, sei von einer ganzen Folge von Angriffen seitens der Widerständler beantwortet worden. Nach Auffassung von Beobachtern gelang es den Widerständlern die irakischen Kräfte mehrmals zu überraschen, was den Schluss nahe legt, dass sie über die Vorgehensweise der Operation gut informiert waren.

Nach diesem Bericht ist das Vertrauen der Bevölkerung in den entscheidenden Sieg der Regierungstruppen nicht allzu hoch. Das riskante Vorgehen der irakischen Regierung, die, wie manche meinen, ihre Zahlen maßlos übertreibt, wird darüber hinaus von Gerüchten begleitet, wonach vor allem schiitische Kämpfer den Großteil der Truppen stellen würden: die Badr-Brigade, ausgebildet im Iran und nach wie vor unter dem General-Verdacht der Unterstützung durch das Nachbarland. Das Vertrauen der Bevölkerung in die irakischen Sicherheitskräfte scheint nicht allzu hoch: Die irakische Armee würde jeden Rekruten akzeptieren, ohne zu wissen, wer er sei, "sie haben nur seinen Namen" wird ein Bewohner Bagdads von einer amerikanischen Reporterin zitiert. Tatsächlich mussten die irakischen Truppen am Sonntag einige Male auf Unterstützung durch US-Truppen zurückgreifen; 10.000 US-Soldaten der 3ten Infantry Division sind in Bagdad an der Operation beteiligt.

Einige Rätsel gibt die Verhaftung des Führers der sunnitischen Irakischen Islamischen Partei (Iraq Islamic Party) Muhsen Abdel Hamid durch amerikanische Soldaten in West-Bagdad am Montagmorgen auf. Der Politiker wurde mit seinen Söhnen gefesselt in Handschellen abgeführt. Mittlerweile räumten die Amerikaner ein Missverständnis ein und setzten al-Hamid auf freien Fuß (jedoch nicht seine Söhne) - nachdem der irakische Ministerpräsident Dschafari gegen die Verhaftung von al-Hamid persönlich protestiert hatte. Die Irakisch Islamische Partei gilt als eine der großen sunnitischen Parteien im Irak; sie hatte im Januar die Wahlen boykottiert. Zuvor hatte sie als einzige der bedeutenden sunnitischen Partei mit den Amerikanern kooperiert, al-Hamid gehörte zum Interims-Regierungsrat, der von Bremer berufen wurde. Ungeachtet der Spekulationen darüber, inwieweit die Verhaftung mit dem komplizierten Hintergrund der Streitigkeiten zwischen sunnitischen und schiitischen Repräsentanten zusammenspielt, entspricht auch die Notstandsregelung im Irak nicht dem Vorgehen der amerikanischen Truppen, die offensichtlich weiterhin größte Schwierigkeiten damit haben, Widerstandskämpfer vom Rest der Bevölkerung zu unterscheiden.