Geheimer Datenschrott

Informationssysteme des schweizerischen Bundesamtes für Polizei

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Wieviele Personen sind im OK-Informationssystem JANUS, wieviele in der Staatsschutz-Datenbank ISIS gespeichert? Auf eine parlamentarische Anfrage des sozialdemokratischen Genfer Parlamentariers Nils de Dardel liefert der Bundesrat, die Regierung der Eidgenossenschaft, einmal genaue und einmal flaue Daten.

"Personen, die in den Informationssystemen JANUS und ISIS erfasst sind, haben weder Zugriff auf Daten, die sie betreffen, noch haben sie das Recht zu erfahren, ob sie erfasst sind. Aus diesem Grund ersuche ich den Bundesrat, zumindest das Parlament über den Umfang und die Art der gespeicherten Daten zu informieren", so heißt es in der Einleitung der Anfrage, die Nils de Dardel in der Sommersession des Parlaments gestellt hatte. Dieser Aufforderung ist die Landesregierung mit ihrer Antwort vom 5. September auf unterschiedliche Weise gefolgt.

Relativ genau äusserte sie sich zu JANUS. Zum 1. Juli 2001 waren dort rund 62.500 Stammdaten "über verdächtige, beschuldigte, angeklagte oder verurteilte Personen" registriert. In JANUS waren ein Jahr zuvor die drei bis dahin getrennt geführten Informationssysteme der kriminalpolizeilichen Zentralstellen zusammengefasst worden: die seit 1993 aufgebaute Drogenhandelsdatenbank DOSIS, das 1998 in Betrieb genommene Informationssystem zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ISOK und das 1999 gestartete System FAMP, das Daten aus den restlichen Zuständigkeitsbereichen des Bundes im kriminalpolizeilichen Bereich - Falschgeld, Menschenhandel und Pornographie - enthält. Seit der Reorganisation des Bundesamtes für Polizei im vergangenen Jahr wird das nun integrierte System JANUS unter der Regie der Hauptabteilung Bundeskriminalpolizei betrieben. Daran angeschlossen sind die jeweiligen Spezialdienste der kantonalen Kriminalpolizeien, die dadurch in die Lage versetzt werden sollen, Ermittlungen gegen dieselben Personen oder am gleichen Fall zusammenzufassen oder zu koordinieren.

Sowohl die drei ursprünglichen Datenbanken als auch das heutige integrierte System JANUS folgen dem gleichen technischen Muster: In einem personenorientierten Subsystem - "Personen und Vorgänge (PV)" - werden an die Stammdaten, d.h. die Personalien der eigentlichen Zielperson, "Vorgänge" angehängt, die detaillierte Informationen auch über unverdächtige Drittpersonen enthalten: Am 1. Juli 2001 "13'500 Kontaktpersonen zu mutmaßlichen Tätern, 13'000 Angaben zu Telefonabonnenten (Name, Vorname, Adresse) und 90'000 Telefonnummern ohne oder mit nur fragmentarischen Angaben zu Personen" verzeichnet, heißt es in der Antwort auf De Dardels Anfrage. Neben diesen Informationen, die offensichtlich zum größten Teil aus Telefonüberwachungen stammen, können auch Daten über Fahrzeuge und deren Halter, Firmen, Bankkonten, Finanztransaktionen, Ausweis- oder Passnummern, Adressen, Reisebewegungen sowie gegen die Zielperson ergriffene Zwangsmaßnahmen gespeichert werden. Im zweiten Subsystem "Journal" sind die Zwangsmaßnahmen und sonstigen Operationen selbst dokumentiert. Hier können ganze Protokolle von Telefonüberwachungen oder Berichte von V-Leuten und Informanten eingegeben werden.

Die nun vom Bundesrat vorgelegten Zahlen über Neuregistrierungen und Löschungen ermöglichen erstmals einen Überblick über den Datenumsatz in JANUS und seinen drei Vorgängerdatenbanken. Von 1996 bis Mitte 2001 waren in den drei Systemen 88'090 neue Stämme angelegt worden. Allein 30'000 entfallen dabei auf das Jahr 1996. Im August 1996 war die Pilotphase für DOSIS, während der nur acht der 26 Kantone angeschlossen waren, zu Ende gegangen. Zu diesem Zeitpunkt waren in dem System rund 56'000 Stammdaten erfasst. Die Aufschaltung der weiteren Kantone dürfte zu größeren Nacherfassungen geführt haben. Nach einer ersten Gesamtüberprüfung im November 1996, so ergab damals eine Anfrage von SP-Nationalrat Paul Rechsteiner, verblieben noch ca. 33'000 Stämme.

Ein weiterer Höhepunkt der Erfassungstätigkeit zeigt sich 1998, dem Jahr der Inbetriebnahme von ISOK. Seit dem vergangenen Jahr hat sich die Zahl der neu erfassten Stamm-Personen bei jährlich ca. 10.000 eingependelt. Konkret heißt dies, dass die schweizerischen Kriminalpolizeien jedes Jahr ca. 10'000 Menschen in den Dunstkreis der "organisierten Kriminalität" rücken. Die meisten der in JANUS gespeicherten Daten beziehen sich dabei weiterhin auf den Verdacht des Drogenhandels. 32'500 Stammdaten, die im vergangenen Jahr in JANUS überführt worden waren, kamen aus DOSIS. Zum Vergleich: die Zahl der abhängigen KonsumentInnen harter Drogen (Kokain und Heroin oder Mischcocktails) wird in der Schweiz auf ca. 30'000 geschätzt.

Aussagekräftig sind aber nicht nur die Zahlen der neu eingegebenen, sondern auch die der gelöschten Daten. Von 1996 bis Mitte 2001 mussten 31'400 Datenstämme aus dem System entfernt werden - meistens weil seit der Speicherung keine weitere Bearbeitung erfolgte, oder anders ausgedrückt, weil es sich um unbrauchbaren Datenschrott handelte. Die Tatsache, dass allein in den letzten anderthalb Jahren 19'600 Personenstämme gelöscht wurden, zeigt wie wenig fundiert die Verdachtsgründe sind, die zu einer Speicherung in JANUS führten.

Spätestens drei Jahre nach Eingabe oder bei Löschung der Stammdaten müssen auch die Informationen über Drittpersonen aus dem System verschwinden. Diese Gnade des Vergessens erleben gemäß der Antwort des Bundesrates auf De Dardels Anfrage jährlich ca. 26'000 Personen.

Staatsschutz bleibt geheim

Wesentlich schweigsamer gibt sich die Landesregierung hinsichtlich der Staatsschutzdatenbank ISIS, die beim "Dienst für Analyse und Prävention" des BAP (früher: Bundespolizei) geführt wird. Das Informationssystem wurde 1994 in Betrieb genommen, seit 1999 sind auch die Kantone online angeschlossen. Das 1997 verabschiedete Staatsschutzgesetz - das Bundesgesetz über Maßnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit - erlaubt den Schnüfflern des Bundes und der kantonalen Nachrichtendienste die "Beobachtung" aus rein präventiven Gründen. Die Volksinitiative "SoS - Schweiz ohne Schnüffelpolizei", die die präventive politische Polizei gänzlich abschaffen wollte, scheiterte 1998 in einer Volksabstimmung.

In ISIS seien "rund 50'000 Personen registriert", heißt es in der bundesrätlichen Antwort. Wie sie sich auf linke, rechte oder ausländische Extremisten verteilen, will man nicht bekanntgeben. "Man hat den Eindruck, dass nicht einmnal der Bundesrat selbst an den Aktivitäten seiner geheimen politischen Polizei interessiert ist", kommentiert Nils de Dardel. Die Zahl von 50'000 möglicherweise gefährlichen Personen sei für die kleine und friedliche Schweiz äußerst hoch und genauso unscharf, sie habe sich in den letzten fünf Jahren nicht geändert. Auch bei der Frage nach den jährlichen Neuerfassungen und Löschungen bleibt die Antwort des Bundesrates nebulös: Angaben über Drittpersonen, "die seit über drei Jahren ohne eigenen Stamm registriert sind, würden bei den "laufend" stattfindenden Gesamtüberprüfungen gelöscht. "Ca. zwei Drittel der Datensätze" würden dabei "ganz oder teilweise" entfallen. Warum verzichtet die Regierung hinsichtlich ISIS auf genaue Zahlen? Für Catherine Weber von der Stiftung Archiv Schnüffelstaat Schweiz (ASS) ist das Motiv klar:

"Aus diesen Zahlen hätten wir ablesen können, wie viele Personen jährlich durch die Mangel der Schnüffler gedreht werden."

Sie befürchtet, dass nach den Protesten in Genua und den Anschlägen in den USA die staatsschützerische Schnüffelei erneut zunimmt. Sie erinnert daran, dass die damalige Bundespolizei sich 1991 bei Ausbruch des Golf-Krieges Listen arabischer EinwohnerInnen aus den lokalen Melderegistern hat erstellen lassen. Dieses Vorgehen war seinerzeit bekannt geworden, weil ein Informatiker eines kommunalen Rechenzentrums in der Ostschweiz sich an die zuständige Kontrollkommission des Parlaments, die Geschäftsprüfungsdelegation für den Sicherheitsbereich, gewandt hatte. Wegen dieser "Indiskretion" hatte der Mann damals seinen Job verloren. Im vergangenen Jahr wurde er für seinen Mut mit dem "Winkelried-award", dem Positiv-Preis des Schweizer Big-Brother-Awards, ausgezeichnet.