Geheimsache Prüfung

Weil die Fragen vorher im Internet standen, ist die Abschlussprüfung der IT-Berufe am 15. Mai teilweise abgesagt worden – vor der Wiederholungsprüfung am Mittwoch liegen die Nerven blank

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Köln am 31. Mai. Sicherheitsstufe 1 in einem Kölner Tagungsraum. Der Aufgabenerstellungsausschuss der IHK hat sich versammelt. Heute werden die Aufgaben für die Prüfung der Fachinformatiker beschlossen. Mitschreiben ist nicht erlaubt - wie einst im Kanzlerbungalow zu besonders vertraulichen Anlässen. Am Schluss kommt das einzige Exemplar der Prüfungsunterlagen in einen Aktenkoffer. Den bekommt ein vertrauenswürdiger Mitarbeiter mit Handschellen ans Handgelenk gekettet. Draußen wartet schon der Polizeiwagen, der den Geheimnisträger mit Blaulicht zur Druckerei bringt.

So die Realität, wie sie sich in einschlägigen Foren darstellt. Dutzendfach kommen Informationen "aus absolut sicherer Quelle".

Für "übertrieben" hält Andreas Baehre diese Darstellung. Er ist Leiter der Zentralstelle für Prüfungsaufgaben der IHK in Nordrhein-Westfalen (ZPA) und kennt die Maßnahmen, mit denen sich die Industrie- und Handelskammern vor einer erneuten Blamage schützen wollen. Beim ersten Versuch hatten die Industrie- und Handelskammern Tausende von angehenden Fachinformatikern vor der schriftlichen Abschlussprüfung nach Hause geschickt, weil die Prüfungsfragen einen Tag vorher im Internet zu sehen gewesen seien. Die Notmassnahme brachte die Handelskammern in Erklärungsnöte – schließlich wurden die Prüfungen in Hannover und Bayern gewertet, der Rest des Bundesgebietes schaute in die Röhre.

Jetzt kann sich die IHK keine weitere Panne erlauben. So werden die Prüfungsunterlagen erst kurz vor Prüfungsbeginn ausgeliefert, beim letzten Mal gab es eine Vorlaufzeit von einigen Tagen. Weiter ins Detail will Baehre nicht gehen. Auf alle Fälle ist er sicher, dass diesmal nichts durchsickert – auch ohne Handschellen.

Trotzdem sind die Prüfungen wieder im Netz, kein Zweifel – zumindest, wenn man nach der einhelligen Meinung in den Foren geht. Zum Beispiel Ortega, nicht registrierter Benutzer des Forums auf u-a-c.de hat sie schon gesehen. Schreibt er. Niemand hat Grund, daran zu zweifeln. Dutzende von Prüflingen posten ihre Hotmail-Adressen, um ein Exemplar der vermeintlichen Prüfungsfragen zu bekommen. "Capt. Kimme" geht aufs Ganze: "1000 bar cash".

Echtes Angebot oder nicht? Auch die ZPA verfolgt die Diskussionen in den Foren. "Wir haben einen vollständigen Überblick", meint Baehre. Die bisher veröffentlichten angeblichen Prüfungen seien reine "Ratespiele". Wie genau die Prüfer das Geschehen verfolgen, weiß niemand. Vielleicht steckt hinter "Capt. Kimme" ja ein IHK-Mitarbeiter. Oder die Prüfer versuchen es ganz subtil: "wer kan mir auch die Dokumenten schiken? ich werde alles schweigen!!!"

Verlierer der Misere sind die Prüflinge. Wer besteht, ist als potenzieller Schummler entlarvt. Wer nicht besteht, war nicht mal schlau genug, die Lösungen im Netz nachzuschauen. Dabei war er vielleicht nur im falschen Kammerbezirk. Die Kritik an der Relevanz der Prüfungsfragen ist nie verstummt.

Diesmal scheint wenigstens die Geheimhaltung zu klappen. 10 Stunden vor der Prüfung sind noch keine Scans der aktuellen Prüfung aufgetaucht. Oder vielleicht doch? Die einschlägigen Seiten sind kaum noch zu erreichen – erst um 10 Uhr werden wohl die letzten die Suche im Netz aufgeben, wenn der Prüfungsbogen vor ihnen liegt.