Genetische Regelkreise

Erstmals wurde ein "Schalter" zum Ein- und Ausschalten von Genen entwickelt - und die Wissenschaftler träumen von zellulären Nanorobotern

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Für viele Zwecke könnte es höchst praktisch sein, wenn man nicht nur Gene in Körperzellen einpflanzen kann, sondern sie auch nach Bedarf ein- oder ausschalten könnte, wie das ja auch natürlicherweise geschieht. Einen ersten Erfolg bei der Entwicklung eines solchen von außen steuerbaren "genetischen Schaltkreises", dessen gezielte Steuerung zahlreiche Anwendungen eröffnen würde, haben jetzt Wissenschaftler des Center for BioDynamics (CBD) an der Boston University erzielt.

Gene sind nicht nur Informationseinheiten, die Befehle enthalten, etwa ein bestimmtes Protein oder eine RNA zu produzieren, sondern es gibt auch die Regulatorgene, die, oft genug in einer komplizierten hierarchischen Kaskadenabfolge, die Aktivität anderer Gene kontrollieren, indem sie diese entweder anschalten oder deren Aktivität unterdrücken, wenn bestimmte Proteine in der Zelle vorhanden sind. Diese Kontrollproteine, die von der DNA gebunden werden, können wiederum durch die Präsenz bestimmter chemischer Verbindungen oder auch durch die Temperatur aktiviert werden.

Bekannt sind bereits einige Möglichkeiten, wie sich durch die Anwesenheit von bestimmten chemischen Verbindungen manche Gene dauerhaft ein- oder ausschalten lassen. Für die meisten Fälle der Gentherapie kann aber nicht nur entscheidend sein, ein Strukturgen in das Genom von bestimmten Zellen einzuführen, da es meist auch darauf ankommt, dass das Gen die richtige Menge etwa an Proteinen zur richtigen Zeit produziert. Neu an der Entwicklung der Forscher, die sie in Nature beschreiben, ist gerade diese Möglichkeit, durch eine kurze Stimulation Gene wiederholt und beliebig aktivieren oder deaktivieren zu können.

Den "Schalter" haben die Wissenschaftler aus Genen des Bakteriums Escheria coli entwickelt, indem sie zwei Paare komplementärer Gene - Repressoren und Promotoren - so zusammenbanden, dass nur jeweils ein Gen in jedem Paar aktiv sein kann. Durch einen äußeren Einfluss, in diesem Fall die Anwesenheit von Tetracyclin oder die Erhöhung der Temperatur, ließ sich dann dieser genetischer Schalter betätigen. Um die Wirksamkeit zu überprüfen, führten die Wissenschaftler zusätzlich ein viel verwendetes Quallengen ein, das ein grün fluoreszierendes Protein erzeugt, wenn es "eingeschaltet" ist. Selbst wenn die chemische Substanz nicht mehr vorhanden oder die Temperatur wieder zurückgegangen war, blieb die Schaltung stabil: "Regelkreise, die sowohl auf der An- als auch auf der Aus-Position stabil sind, gibt es in natürlicher Form in sehr spezialisierten genetischen Systemen", erklärt James Collins, Direktor des CBD und Mitautor der Veröffentlichung. "Doch dies ist das erste Mal, dass man einen künstlichen bistabilen An/Aus-Schalter herstellen konnte, um die Expression eines Gens zu steuern." Der von den Wissenschaftlern entwickelte genetische Schalter lässt sich überdies angeblich bei vielen Genen in verschiedenen Organismen und auch bei menschlichen Zellen einsetzen.

Als nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler einen "genetischen Sensor" herstellen, um Gene ein- oder auszuschalten, wenn sich eine bestimmte Konzentration einer chemischen Substanz in der Zelle befindet. Entwickelt wird bereits ein genetische Sensor für Glukose, der zur Behandlung von Diabetes eingesetzt werden könnte. In der ersten Phase könnte so die Farbe einer kleinen Hautfläche verändert werden, wenn der Blutzuckergehalt eine bestimmte Konzentration überschreitet, um den Patienten daran zu erinnern, dass sie ihr Insulin einnehmen müssen. Letztendlich soll natürlich die zelluläre Insulinproduktion damit geregelt werden.

Doch die Wissenschaftler sehen eine Vielzahl von Anwendungen. So könnten die Schalter nach ihren Vorstellungen beispielsweise bei genetisch veränderten Bakterien zum Einsatz kommen, die zum biologischen Abbau bestimmter Substanzen eingesetzt werden. Bakterien, die Öl umsetzen können, ließen sich so programmieren, dass sie mit ihrem genetischen Sensor erkennen, welche Mengen an Öl noch abgebaut werden müssen, um so ihr Verhalten daran zu orientieren. Timothy Gardner, ein anderer Mitautor, meinte, man könne sie so programmieren, dass sie sich selbst abtöten, wenn kein Öl mehr vorhanden ist. Eingebaut in menschliche Zellen könnten die genetischen Sensoren, was noch mehr nach Science Fiction klingt, auch zur Erkennung von biologischen Waffen eingesetzt werden, um die Menschen zu warnen oder gar die Zellen zu stimulieren, ein Gegenmittel herzustellen. Da befände man sich dann wohl schon mitten in einer biologischen Aufrüstungsspirale.

Die Phantasien der Wissenschaftler gehen aber noch weiter: der genetische Schalter könne vielleicht auch als Element eines künstlichen zellulären Speichers dienen, um zellbasierte Computer herzustellen. Die könnten wiederum Grundlage für Nanoroboter in Form einer Zelle oder eines Netzwerks an Zellen sein: "Seit Richard Feynmans visionärem Vorschlag im Jahr 1959, submikroskopische Maschinen technisch zu bauen, hat die Vorstellung von Nanorobotern die Phantasie von Wissenschaftlern beflügelt", so Gardner. "In den letzten Jahren wurde diese Möglichkeit meist mit mikro-elektromechanischen Maschinen verbunden. Wir vermuten, dass Nanoroboter eine 'nässere' Form haben können, insbesondere die einer lebenden Zelle. Letztlich stellen wir uns eine Kombination von genetischen Schaltern, genetischen Sensoren, sequentiellen Expressionsnetzen und anderen Maschinen in einem 'genetischen Applet' vor, einem in sich abgeschlossenen und vollstädnig programmierbaren genetischen Netzwerk zur Kontrolle der Zellfunktionen."

Bis dahin wird der Weg noch lange sein. Den genetischen Sensor für Glukose wollen die Wissenschaftler allerdings bereits in einem Jahr realisiert haben.