Genveränderte Lebensmittel seit Jahrzehnten auf dem Markt

Tausende von Pflanzensorten sind seit den 60er Jahren durch "Mutationstechniken", d.h. durch radioaktive Bestrahlung, gezüchtet worden, was den Gentechnik-Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen wird

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Einen Skandal, zumindest aber eine große Ungereimtheit hat Udo Ulfkotte in der FAZ (8.5.2001) der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Der Großteil der deutschen Bevölkerung dürfte sicherlich davon nichts gewusst haben. Seit Jahrzehnten werden bereits Pflanzen durch radioaktive Bestrahlung genetisch verändert und dann, sofern das Ergebnis der unkontrollierbaren Mutation positives verspricht, mit bestehenden Sorten gekreuzt und auf den Markt gebracht, ohne dass in irgendeiner Form hier Kontrollen durchgeführt werden, eine Anmeldungs- oder auch eine Kennzeichnungspflicht bestehen würde. Während wir also seit Jahrzehnten gentechnisch veränderte Lebensmittelbestandteile im Getreide, Obst oder Gemüse zu uns nehmen, wird gleichzeitig heftig darum gestritten, wenn eine Pflanze, die gezielt gentechnisch verändert wurde, angebaut und anschließend auch in den Lebensmittelmarkt gebracht werden kann.

Eigentlich hätte man das alles ja wissen können. Das "Getreide aus dem Atomreaktor" entstand keineswegs im Geheimen. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA hat etwa eine eigene Abteilung für Pflanzenzucht und Genetik, die zusammen mit der Welternährungsorganisation (FAO) die Anwendung nuklearer Techniken für Lebensmittel und Landwirtschaft fördern. Man hilft, so steht es auf der Webseite, nationalen Pflanzenzüchtungsprogrammen, "Mutationstechniken und moderne Biotechnologien einzusetzen, um bessere Sorten von wichtigen und nicht voll ausgeschöpften Pflanzen für Lebensmittel oder industriellen Gebrauch zu entwickeln." Ziel sei eine "nachhaltige" Produktion durch die Verbesserung der Erträge und Qualität sowie die Stärkung der Artenvielfalt.

Durch Mutationstechniken, also radioaktive Bestrahlung, werde die Züchtung neuer Sorten beschleunigt. Während aber bei gentechnischen Veränderungen gezielt und kontrolliert nur einzelne Gene eingebaut oder ausgeschaltet werden, sind die "Mutationstechniken", also die Aussetzung von Pflanzen an radioaktive Strahlen in AKWs oder durch Kobalt-60-Kanonen oder Röntgenstrahlen auf Feldern, völlig unkontrollierbar. Bei jeder Bestrahlung ergeben sich bis zu 10.000 Mutationen. Mit diesem zufälligen Schrotschussverfahren entstehen hin und wieder Pflanzen, deren Mutationen Vorteile versprechen, weil sie höhere Erträge erbringen, weniger Wasser verbrauchen oder gegenüber Schädlingen resistent sind. Vielleicht sind sie noch vieles andere, aber das könnte sich erst später herausstellen. Die "verbesserten" Pflanzen werden schließlich mit vorhandenen Sorten gekreuzt und gegen ihre genetischen Eigenschaften weiter.

Die IAEA und die FAO haben zwar eine Datenbank angelegt, in der nach Sorten und Ländern unterteilt die seit 1963 durch Bestrahlung und andere Mutagene veränderten Pflanzen eingetragen sind, sofern dies die Züchter machen, denn es gibt keine Meldepflicht. In der Datenbank sind 2252 Pflanzensorten gesammelt, aber es werden vermutlich sehr viel mehr sein, zumal zumindest seit längerem die Züchter sicher nicht wollen, dass ihre Mutationstechniken für ihre Bohnen-, Äpfel-, Tomaten-, Gerste- oder Bananensorten bekannt werden. Die FAZ zitiert Wolfgang Schuchardt vom Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung: "Sie können davon ausgehen, dass viele Sorten, die heute ausgesät werden, auf Mutationszüchtungen beruhen, die auch mit Hilfe der Bestrahlung erfolgten. Doch wegen der Kreuzungen kann man heute kaum noch nachvollziehen, bei welchem Endprodukt welcher Anteil daher stammt." Da schützt auch der Gang in Bioläden womöglich nicht. Schuchardt meint gar, dass "ein Großteil der heute biologisch genannten Sorten solche Mutationszüchtungen" sind.

Seit Jahrzehnten also essen die Menschen Frankensteinfood, wie die Lebensmittel mit genveränderten Bestandteilen genannt werden. Die ganze Aufregung um die paar Gene, die in Sojabohnen oder im Mais eingebaut worden, scheint angesichts der wahllos angewandten Gentechnik in Form der Mutationstechnik gerade als lächerlich. Werden bei neuen genveränderten Sorten jahrelange Freilandversuche verlangt, sollen die aus den genehmigten Pflanzen stammenden Lebensmittel gekennzeichnet werden, so wurde hier unter den Augen der Öffentlichkeit ein Experiment nicht nur mit ihrer Gesundheit, sondern auch mit der Umwelt gemacht. Katastrophen scheinen sich daraus nicht ergeben zu haben, woraus die Gentechnik-Unternehmen jetzt zu Recht gegen die teilweise rigorosen Auflagen und Sicherheitsbestimmungen revoltieren können, während den Kritikern des Genfood die Argumente aus der Hand geschlagen sind.