Geschichten des Krieges

Ein Blick auf den Kampf um unsere Herzen und Köpfe

Wir sehen Drohnenaufnahmen der unfassbaren Zerstörung in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol; wir sehen Bilder von schwerstverletzten Kindern in ukrainischen Krankenhäusern, von verzweifelten Zivilisten, die in Plastiksäcke gewickelte Leichen in innerstädtischen Parkanlagen verscharren und von Artillerieangriffen auf Menschen, die für Grundnahrungsmittel Schlange stehen.

Wir sehen aber auch Bilder von russischen Soldaten, die Care-Pakete an die Bevölkerung von Mariupol verteilen und angeblich mit chirurgischer Präzision eine sogenannte "militärische Spezialoperation" führen.

Seit dem völkerrechtswidrigen Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine tobt im Osten unseres Kontinents ein blutiger Krieg, der nicht nur auf den ukrainischen Schlachtfeldern geführt wird, sondern in der globalen Medienlandschaft mit anderen Mitteln eine Fortsetzung findet. Im Rahmen eines solchen Konflikts ist mediales Ringen um die Deutungshoheit nichts Ungewöhnliches.

Die enorme Menge des verfügbaren Bildmaterials einerseits, seine gefühlte Unmittelbarkeit und Authentizität andererseits haben jedoch eine neue, so bisher nicht gekannte Qualität. Hinzu kommt die Möglichkeit, dem Grauen des Kriegsgeschehens in den sozialen Netzwerken quasi live und rund um die Uhr folgen zu können – noch nie zuvor konnte Krieg medial so intensiv miterlebt werden.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich, auch den um uns herum tobenden Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Selenskyj – Herr der Bilder

Viele westliche Beobachter sehen die Ukraine in diesem "Kampf" oder "Wettbewerb der Bilder" bisher klar im Vorteil, was sie – sicher nicht ganz zu Unrecht – primär auf den medialen Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zurückführen.

Zu offensichtlich ist der Kontrast zwischen den aufwendig produzierten und damit völlig aus der Zeit gefallenen Pressebildern Russlands auf der einen Seite, und Selenskyjs authentisch inszenierten, unser alltägliches Medienerleben imitierenden Handyvideos und Zoomschalten auf der anderen Seite.

Erstere zeigen uns einen mürrischen, ängstlichen Diktator, dessen Furcht vor Covid-19 durch die grotesk anmutende Distanz zu seinen Gesprächspartnern sofort ins Auge springt. Auf letzteren Bildern begegnen wir einem jungen, unrasierten, in militärische Funktionskleidung gewandeten Präsidenten, dessen Stellungnahmen den Eindruck erwecken, als würde er direkt aus dem Zentrum des Kiewer Kriegsgeschehens zu uns sprechen.

Der ukrainische Präsident liefert reihenweise ikonische Bilder und Zitate von mitunter Churchill'scher Qualität ("Der Kampf ist hier; ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit!"), den medialen Kampf führt er jedoch ebenso wenig allein wie den militärischen. Selenskyjs mediales Auftreten ist vielmehr eingebettet in ein komplexes Netz aus kleinen und größeren Geschichten, die sich zu einem Narrativ zusammensetzen, welches unsere Wahrnehmung von diesem Krieg determiniert, wenn nicht sogar konstituiert.

Der "Kampf der Bilder" ist genau genommen ein "Kampf der Geschichten". Wagen wir also einen kurzen, selbstverständlich unvollständigen Blick über Selenskyj hinaus auf einige dieser Geschichten, die, gerade in den ersten Tagen nach dem Überfall, die Wahrnehmung des Konflikts maßgeblich beeinflusst haben.

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