Geschossförmig ins Nichts

Ausgerechnet wo unser Sonnensystem durchs Weltall kreuzt, stellt sich das interstellare Magnetfeld quer. Das verraten Daten der zwei Voyager-Raumschiffe, die US-Astronomen in einer Computersimulation verarbeitet haben.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Aus größerer Entfernung betrachtet, erinnert unser Sonnensystem an einen Kometen: Ein Kollektiv aus Stern, Planeten und kleineren Teilchen schießt mit 220 Kilometern pro Sekunde durch das All und legt dabei jedes Jahr rund das Vierfache der Entfernung zwischen Erde und Sonne zurück. Alle 200 Millionen Jahre komplettiert unser System damit einen Umlauf um das Zentrum der Milchstraße. Mit uns reisen nicht nur Mars, Venus, Jupiter und so weiter, sondern auch ein stetiger Teilchenstrom, der die Sonne verlässt. Dieser Sonnenwind spannt die so genannte Heliosphäre auf, eine riesige Blase, die den Einflussbereich unseres nächsten Sterns markiert.

So beeinflusst das interstellare Magnetfeld die Gestalt unseres Sonnensystems (Bild: Opher et al)

Zunächst vermutete man, dass dieses Gebiet allmählich in den interstellaren Raum übergeht. Dem ist aber nicht so: Der Übergang verläuft so abrupt, dass er sogar einen eigenen Namen bekommen hat - Heliopause. In diesem Bereich, den Voyager 1 gerade durchquert hat, passieren, so vermuten die Wissenschaftler, viele spannende Dinge. Der Solarwind interagiert hier mit dem vor allem aus Wasserstoff und Helium bestehenden interstellaren Teilchenstrom. Dabei wird er gebremst - dabei aber heißer und dichter, „wie bei einem Wasserfall, wenn er auf den Fluss trifft“, beschreibt die Astrophysikerin Merav Opher von der George Mason University in Fairfax / Virginia die Verhältnisse.

Allerdings findet sich so weit draußen im All keine starre Wand - alle Beteiligten sind ja in ständiger Bewegung. Mit dem flotten Vormarsch der Sonne wird die Heliosphäre verzerrt - wie es einem Kometen passiert, der sich seinem Zentralgestirn nähert. Wie genau diese Verzerrung aussieht, hat ein Forscherteam um Opher aus Daten der beiden Voyager-Raumsonden ermittelt.

Im Wissenschaftsmagazin Science stellen sie ihre Ergebnisse vor. Demnach bewegen wir uns geschossförmig durch die Zentralebene der Milchstraße. Das liegt vor allem daran, dass das interstellare Magnetfeld in unserer Nähe verzerrt ist. Seine Linien stehen im Winkel von 60 bis 90 Grad zur gedachten Ebene der Milchstraßenscheibe. Bisher war man davon ausgegangen (und hatte durch Polarisationsmessungen an Sternen in unserer Nähe nachweisen können), dass das Magnetfeld parallel zur galaktischen Ebene ausgerichtet ist - und das ist im Mittel auch der Fall.

3D-Darstellung der Heliosphäre von einem Blickpunkt außerhalb des Sonnensystems. Die Feldlinien des interstellaren Magnetfelds schmiegen sich an die Kontur der Heliosphäre an (Bild: Opher et al)

Die offensichtlich lokal vorhandenen Turbulenzen konnte man mit bisherigen, auf eine Entfernung von einigen Lichtjahren mittelnden Verfahren nicht zeigen. Praktischerweise stehen nun aber die Messdaten der Voyager-Raumsonden bereit, die mittlerweile genau an Ort und Stelle sind. Zunächst hatten diese darauf hingewiesen, dass die Heliosphäre asymmetrisch sei - mit einer Delle in der südlichen Hemisphäre. Der Grund für diese Asymmetrie scheint nun gefunden. Anscheinend verhält sich das (Beinahe-)Nichts zwischen den Sternen weit turbulenter als vermutet. So ist das galaktische Magnetfeld zwar im Großen und Ganzen gut ausgerichtet - lokale Störungen (wobei „lokal“ hier Dimensionen von ein bis zehn Parsec umfasst) können die Feldlinien aber durchaus mal senkrecht zur mittleren Ebene stellen.

Aber warum interessiert uns überhaupt, was über 100 Astronomische Einheiten entfernt passiert? Die Ausdehnung und Form der Heliosphäre hat unmittelbare Auswirkungen auf ihre Wechselwirkung mit der kosmischen Strahlung - die auch das Weltraumwetter rings um die Erde mitbestimmt, erklärt der Astrophysiker Randy Jokipii in einem begleitenden Science-Artikel.