Geschwindigkeitsrausch auf Verordnung

Drei Giganten der PC-Welt wollen das Internet beschleunigen - und alle machen mit

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Das Verlangen des Surfers nach Speed ist unersättlich. Selbst wer bereits in ein 56 Kilobit-Modem oder gar in eine ISDN-Leitung investiert hat, weiß trotzdem noch ein Lied von den Flaschenhälsen und Engpässen beim Zugang zum Web zu singen und wartet nur auf neue Techologien, die mehr, mehr und noch einmal mehr Geschwindigkeit bringen. Allen "Bandbreite-im-Überfluß-Theorien" von Techno-Utopisten wie George Gilder zuwider, ist das Internet aber nach wie vor weit von einem "Information Superhighway" entfernt, und der Alltag vor dem Bildschirm oft ernüchternd. Doch nun soll Abhilfe von unerwarteter Seite kommen: ein von den drei großen Stars im Computergeschäft - Compaq, Intel und Microsoft - angeführtes Konsortium will mit Hilfe neuer Netzwerktechnologien die unfreiwilligen Geschwindigkeitsbegrenzungen im Web niederreißen.

Das Zauberwort, mit dem die drei Computergiganten in Zusammenarbeit mit Telefongesellschaften das Netz beschleunigen wollen, heißt DSL (Digital Subscriber Line). Dahinter verbirgt sich eine Technologie, die aus den eigentlich schon abgeschriebenen normalen Telefonkabeln richtige Pipelines macht, durch die Daten mit einer Geschwindigkeit von bis zu 8 bzw. 9 Megabit pro Sekunde (Mbps) rauschen sollen. Möglich macht es die Aufteilung des zu übertragenden "Rohmaterials" durch DSL in Ton- und Datenanteile und die Nutzung von momentan brachliegenden Frequenzanteilen für den Datenverkehr. Das hat zugleich den Vorteil, daß Telefonieren und Surfen gleichzeitig möglich sind. DSL-Modems zeichnen sich außerdem durch das "always on"-Feature aus, die nervigen Einwahlzeiten bei herkömmlichen Modems fallen weg. Stehen also paradiesische Zustände für Netizens sowie für Anbieter von multimedialastigen Webinhalten vor der Tür?

My thesis is that bandwith is going to be virtually free in the next era in the same way that transistors are in this era ... The waster of bandwith will win rather than the people who are developing exquisite new compression tools and all these other devices designed to exploit some limited bandwith.

George Gilder in WIRED 1.3 (9-10/93)

Tatsächlich scheint DSL wie geschaffen, mehr Bandbreite in Privathaushalte und kleinere Unternehmen zu bringen. Doch nicht alle werden von der Technologie profitieren können: die Telefonkabel können die hochfrequenzigen Datendurchsätze nämlich nur rund 3 bis 4 Kilometer durchhalten, die Daten müssen bis dahin also durch ein Gegenmodem bei einer Telefonvermittlungsstelle in Empfang genommen werden. In den Vereinigten Staaten bedeutet das faktisch den Ausschluß von rund 40% der Bevölkerung in Suburbs und ländlichen Gebieten von DSL. In Ballungszentren dürfte dem Bandbreitenrausch allerdings nichts mehr entgegenstehen, falls eine örtliche Telefongesellschaft den Service - zu einem erschwinglichen Preis - anbietet.

Gerade am Angebot von DSL hat es in der letzten Zeit allerdings gemangelt. Die meisten Telefongesellschaften und ihre Bürokratien schreckten vor den Installations- und Investitionskosten in neue Gerätschaften wie Modems oder dem Fehlen eines Standards für die gar nicht mehr so junge Übertragungstechnologie zurück, gibt es DSL doch in den verschiedensten Ausführungen und Unterversionen. Als am leichtesten zu implementieren hatte sich allerdings schon recht bald die asymmetrische Variante (ADSL) herausgestellt, die höhere Down- als Uploadgeschwindigkeiten ermöglicht. Trotzdem war DSL bisher kaum zu bekommen und außerdem teuer: lokale Telefongesellschaften verlangten in der Regel zwischen 60 und 200 Dollar für den Premiumservice.

Doch nun haben Compaq, Intel und Microsoft sich der Sache angenommen. Die bereits im PC-Markt so eng zusammenarbeitende und erfolgreiche Allianz ist bekanntlich immer für die Setzung von marketinggerechten Standards gut. Bereits einzeln sind die Unternehmensgrößen jeweils Führer in ihren angestammten Fertigungsbereichen - und in geballter Form kann sich ihrer Marktbedeutung schon gleich gar kein Unternehmen in allen mit dem Internet zusammenhängenden Industriebereichen entziehen. Bereitwillig einigten sich innerhalb weniger Wochen denn auch Carrier und Netzwerkfirmen von GTE über Sprint bis zur 3Com Corp. auf einen neuen Standard, der von der International Telecommunication Union (ITU) bereits so gut wie abgesegnet ist, und gründeten die Universal ADSL Working Group (UAWG).

This represents a major evolution of the Internet to become an essential source of consumer information, entertainment and commerce.

John Cahill, Executive Director von BellSouth und Vorstandsmitglied der UAWG

Die von dem Konsortium vorangetriebene ADSL-Version - Universal ADSL oder DSL lite - läßt sich quasi von heute auf morgen in Betrieb nehmen, da keinerlei Installationen von seiten der Telefongesellschaften beim Nutzer nötig sind. Die New York Times (26.1.98) schätzt zwar, daß Telekoms trotzdem pro Telefonleitung noch rund 1000 Dollar in neue Gerätschaften investieren müssen. Bei einem erwarteten Preis von 40 Dollar pro Monat für das neue Angebot - der Preis für eine normale Leitung schwankt zwischen 11 und 15 Dollar - könnten die Kosten allerdings schnell wieder eingefahren werden, wenn der Service passend für das Weihnachtsgeschäft tatsächlich schon Ende des Jahres starten soll. Daten können mit der "Lite-Version" allerdings "nur" mit Geschwindigkeiten bis zu 1,5 Mbps aus dem Netz gesaugt werden, für Uploads stehen maximal 1,1 Mbps zur Verfügung. Die Downloadgeschwindigkeiten sind damit aber immer noch rund 30 mal höher als bei einem 56 Kilobit-Modem.

Neben den Telekoms wollen auch die Promoter des neuen Standards selbst durch Erweiterungen ihrer Absatzmöglichkeiten an der wundersamen Bandbreitenvermehrung verdienen. Alle drei setzen darauf, daß mehr Geschwindigkeit im Netz auch den Wunsch nach größeren, schnelleren und softwaremäßig besser ausgestatten Computern weiterhin lebendig hält und eine neue Runde im ewigen Upgrade-Prozeß einläutet. Da momentan eine gewisse Unlust bei vielen Nutzern zu verspüren ist, sich dem Diktat des Wintelco-Triumvirats im beständigen Wechselspiel von stärkeren Prozessoren, fetteren Betriebssystemen und dadurch insgesamt fast gleichbleibend teuren PCs zu unterziehen, muß zusammen mit mehr Bandbreite das Interesse an neuen Applikationen und neuen Rechnergenerationen geweckt werden. Andererseits können die rasanten Wachstumsraten der drei Giganten nicht aufrechterhalten werden, was zu fallenden Gewinnspannen und sinkenden Börsenwerten führt. Intels Reingewinne sackten beispielsweise von 1,9 Milliarden Dollar im vierten Quartal 1996 auf 1,7 Milliarden im Verlgeichsquartal 1997 ab. Microsoft versucht sein Wachstum derweil durch Einkäufe in alle irgendwie mit dem Internet zusammenhängenden Industriebereiche aufrecht zu erhalten, und Compaqs Aufkauf von Digital für die Rekordsumme von 9,6 Milliarden Dollar dürfte ähnlich motiviert gewesen sein.

Essentially, Compaq, Intel and Microsoft want the computers to be able to talk faster. In the short run, users will be encouraged to buy faster computers. In the long run, the companies will also determine how the computers talk to one another, giving them control over standards that in turn could give them significant leverage of future markets.

Seth Schiesel in der New York Times vom 26.1.98

Sollten die Rechnungen der drei Giganten sowie die Erwartungen des von ihnen angeführten Konsortiums aufgehen, dürfte zugleich auch der lange Kampf zwischen Kabel- und Telefongesellschaften um die Basisinfrastruktur des Datenhighways zumindest für die nächsten Jahre zugunsten der letzteren entschieden sein. Noch bis vor kurzem waren Kabelmodem-Serviceprovider wie @Home - zu dessen Eignern u.a. Comcast gehört, der Kabelfernsehanbieter, in den Microsoft Mitte vergangenen Jahres 1 Milliarde Dollar investiert hatte - als die Retter aus der Bandbreitenmisere gehandelt worden. Tatsächlich bieten Kabelmodems theoretisch deutlich höhere Downloadgeschwindigkeiten als Universal ADSL - bis zu 30 Mbps, auch wenn Surfern mit @Home in der Regel realistisch 1,5 bis 3 Mbps zur Verfügung stehen - zu fast demselben Preis. Doch Kabelanschluß ist trotz erheblicher Marketingbemühungen der entsprechenden Betreiber in den USA längst noch keine Selbstverständlichkeit - und viele Kabelgesellschaften wie etwa der Marktführer TCI (Tele-Communications Inc.) fangen erst langsam an, Internetzugang anzubieten.

Ob das nun favorisierte DSL lite allerdings langfristig die Bandbreitenwünsche der Netzgemeinde befriedigen kann, ist fraglich. Wenn anstatt Emails und ASCII mehrheitlich Videotelefonate und multimediale Onlinespiele über das Internet übertragen werden, dürfte selbst bei weiterer Aufrüstung der Internet-Backbones die letzte Meile zum Nutzer bald wieder verstopft sein. Mehr Bandbreite erhöht langfristig nur den Bedarf an noch mehr Geschwindigkeit, da kurzfristige Vorteile schnell durch größere Anwendungen wieder aufgefressen werden. "Ein Erfolg auf einem Gebiet", so der Analyst Howard Anderson von der Yankee Group, "bringt Spannungen und Probleme auf einem anderen." Das Verlangen des Surfers nach Speed ist unersättlich...