Gewinnspiele triggern die Lustzentren im Gehirn

Wissenschaftler glauben, das allgemein für Motivation, aber auch für Süchte verantwortliche Belohungs- oder Lustsystem im Gehirn entdeckt zu haben

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Geldscheine sind schmutzig und übersät mit Bakterien durchaus auch der gefährlicheren Art, weswegen das Verschwinden des Bargelds in der digitalen Ökonomie vielleicht gar nicht so schlecht wäre. Da Geld alles miteinander verbindet, können vielleicht über Scheine auch Krankheiten global verbreitet werden - und das ausgerechnet auch über die meist nach außen sich so sauber darstellenden Banken mit ihren wohlgekleideten Angestellten. Aber Geld hat noch andere Auswirkungen. Gewinnerwartungen beim Spielen aktivieren dieselben Lustzentren, die auch in Erwartung von Kokain oder anderen Genüssen stimuliert werden.

Von den Wissenschaftlern wurden an einem Kiosk bei einer Sportveranstaltung und in einem Lebensmittelgeschäft insgesamt 68 neue Ein-Dollar-Scheine gegen gebrauchte eingetauscht und dann auf Bakterien untersucht. Auf 5 Scheinen fanden sich Staphylococcus aureus and Klebsiella pneumoniae, die zu Infektionen führen können. Bei 59 konnten unter anderen Staphylococcus, Streptococcus, Enterobacter oder Pseudomonas entdeckt werden, die für kranke Menschen gefährlich werden könnten. Das heißt, dass nur vier Scheine frei von Bakterien waren.

Geld, gleich on in materieller oder digitaler Form, kann sich aber auch in anderer Weise beim Menschen körperlich niederschlagen. Wenn Menschen um Geld spielen, dann werden nach Analysen mit der funktionalen Kernspin-Tomographie (fMRI) dieselben sechs Belohnungszentren aktiviert, die auch bei Rauschmitteln wie Kokain oder anderen Lüsten zur Wiederholung des Genusses führen können.

Die Wissenschaftler vom Massachusetts General Hospital, dem Center for Studies in Behavioral Neurobiology der Concordia University und der Princeton University unter der Leitung von Hans Breiter beobachteten, wie sie in der Zeitschrift Neuron (30, Nr. 2 vom Mai 2001) schreiben, die neuronale Aktivität von 12 normalen Menschen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren, die bislang keine Probleme mit Glücksspielen hatten. Jede Versuchsperson erhielt 50 Dollar. In Intervallen von 12 Sekunden wurde ihnen auf dem Computerbildschirm von Glücksrädern Geldgewinne oder -verluste in Aussicht gestellt. Von den "guten" wurden meist Gewinnchancen bis zu 10 Dollar angeboten, die "bösen" drohten mit Verlusten bis zu 6 Dollar, die neutralen mit gemischten Chancen zwischen 2.50 Dollar Gewinn, keinem Gewinn oder einem Verlust von 1.50 Dollar. Zu Beginn jeder Spielrunde wussten die Versuchspersonen, ob sie eher gewinnen oder verlieren würden bzw. mit gemischten Ergebnissen rechnen mussten.

Die Gehirnaktivität wurde gemessen, sobald die Glücksräder auf dem Bildschirm erschienen bis zum Eintritt des Ergebnisses. Wenn das "gute" Glücksrad auftauchte, konnte bei den Versuchspersonen eine stärkere neuronale Aktivität registriert werden, natürlich auch, wenn sie gewonnen haben - und je höher der Gewinn ausfiel, desto stärkere Aktivität zeigte sich in einigen der Belohnungszentren. Intensiv reagierten sie allerdings auch, wenn das "böse" Glücksrad ihnen keinen Verlust bescherte. Wenn sie wenig verloren, aber davon ausgegangen waren, viel zu verlieren, wurde das Ergebnis als Gewinn vom Gehirn verbucht. Bei großen Verlusten allerdings stieg die Aktivität in der Amygdala an, einem Bestandteil des limbischen Systems, das für Angst zuständig ist.

Angeblich waren die Aktivitätsmuster des Gehirns beim Glücksspiel nicht von denen zu unterscheiden, die dann auftreten, wenn Menschen Kokain schnupfen. "Das zeigt", so Breiter, "dass wir die Systeme analysieren können, die für Belohnung verantwortlich sind und das Verhalten beim Menschen organisieren. ... Die Ergebnisse zeigen, dass eine für Menschen einzigartige Belohung - Geld - Muster der Gehirnaktivität produziert, die denen sehr ähnlich sind, die man zuvor in Reaktion auf andere Belohnungen beobachten konnte. Diese Ähnlichkeit legt nahe, dass unterschiedlichen Belohnungsweisen ein gemeinsamer Schaltkreis im Gehirn zugrunde liegt." Die Gehirnareale, die beim Glücksspiel aktiv waren, sind nämlich nicht nur beim Genuss von Kokain, sondern auch bei der Erwartung oder der Empfindung von angenehmen oder unangenehmen Geschmacks- oder Tastwahrnehmungen beteiligt. Alle beteiligten Areale werden durch Dopamin gesteuert, einem Neurotransmitter, von dem man annimmt, dass er bei Sucht und Lustgefühlen eine wichtige Rolle spielt. Möglicherweise besteht Sucht aus einem veränderten neuronalen Belohnungssystem.

Breiter denkt allerdings nicht nur an eine bessere Behandlung von Suchtkrankheiten, sondern auch daran, wie man die gezielte Aktivierung des Belohnungssystems auch anderweitig zu Gewinnzwecken nutzen könnte. "Stellen Sie sich die Implikationen für das Marketing vor", sagte er gegenüber The Boston Globe. "Das eröffnet das Feld der Vorlieben." Aber da müssten erst alle sich einmal der Kernspin-Tomographie unterziehen, um zu sehen, welche Belohnungen für wen attraktiv wären, was mit den bislang existierenden Geräten doch ein bisschen aufwendig wäre.

Noch ist auch die unterschiedliche Rolle der sechs von den Wissenschaftlern untersuchten Gehirnareale nicht klar. Breiter kündigt an, die einzelnen Funktionen der Belohungs- oder Lustzentren und deren Zusammenspiel in Zukunft näher zu erforschen. Breiter ist der Überzeugung, damit das Zentrum der Verhaltenssteuerung vor sich zu haben: "Das ist der Information Backbone für die Motivation."