Gipfel der Worthülsen?

Der 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft im November 2005 in Tunis sollte zu einem ”Summit of Solutions” werden. Aber drei Wochen vor dem Gipfel sind die Lösungen in weite Ferne gerückt

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Der erste Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) im Dezember 2003 in Genf wurde allgemein als ein Erfolg angesehen. Immerhin hatten sich 190 Regierungen auf elf Grundprinzipien für die globale Informationsgesellschaft geeinigt und einem ziemlich umfangreichen Aktionsplan verabschiedet mit konkreten Zielen bis zum Jahr 2015 (Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel). Bis dahin soll jedes Dorf dieser Erde und die Hälfte der Menschheit, d.h. mehr als drei Milliarden Bürger, Zugang zum Internet haben. Konkretere Abmachungen für die etwas nähere Zukunft hatte man in Genf ausgeklammert. Dem ”Gipfel der Prinzipien” sollte im November 2005 der ”Gipfel der Lösungen” folgen.

Je näher aber der Tunis-Gipfel aber heranrückt, desto mehr entrückt die Bereitschaft der einzelnen Regierungen, mit dem gespitzten Mund nun auch zu pfeifen. Das betrifft insbesondere die drei konkreten Fragen, die man in Genf auf die lange Bank geschoben hatte:

  1. Wie soll die ”Digitale Solidaritätsagenda” finanziert werden?
  2. Wer soll die Einhaltung der Genfer Beschlüsse kontrollieren?
  3. Und wie soll zukünftig das Internet verwaltet werden?

Kreative Finanzierung?

Bei der Finanzierungsfrage stieß der von Senegals Präsidenten Wade unterbreitete Vorschlag, einen ”Digitalen Solidaritätsfonds” zu gründen, von Anfang an auf Ablehnung des Westen (Nach Mitternacht ging es nur noch ums Geld). Auch die bei WSIS I gegründete ”Task Force for Financial Mechanisms” brachte keine Änderung und wiederholte in ihren Empfehlungen nur das, was die potentiellen Geberländer schon immer gesagt hatten (Bezahlt doch Euer Internet alleine!): Anstelle neuer Instrumente sollte man einerseits die bestehenden Finanzierungsmechanismen für die neuen Herausforderungen der Informations- und Kommunikationstechnologien fit machen, also vorhandene Mittel umschichten und andererseits sollten die potentiellen Nehmerländer eine transparente, stabile und wettbewerbsfreundliche politisch-rechtliche Rahmenordnung schaffen. Das würde privates Kapital ins Land holen und den Weg frei machen für kreative Finanzierungsmodelle.

Immerhin aber hatte der Westen seinen Widerstand gegen die Schaffung eines ”Digitalen Solidaritätsfonds” aufgegeben, allerdings nur unter der Bedingung, dass sich der Fonds auf dem Prinzip der Freiwilligkeit konstituiert. Im März 2005 wurde in Genf tastsächlich dieser Fonds geschaffen. Er basiert auf dem so genannten „Prinzip von Genf“ demzufolge ein Prozent des Gewinns, den I&K Unternehmen aus Aufträgen des öffentlichen Sektors generieren, an den Fonds überwiesen werden soll (Rollt oder rollt er nicht, der WSIS-Rubel?). Bislang gehören dem Fonds ein Dutzend Regierungen – davon als westliches Land allein Frankreich – und etwa zwanzig Regionen und Stadtverwaltungen an. Nach rund sechs Monaten hat der Fonds gerade mal eine zweistellige Millionensumme zusammen, aber immerhin, besser wie gar nichts.

Dass diese Situation die Entwicklungsländer nicht befriedigt und sie bei PrepCom3 mehr konkrete Zusagen aushandeln wollten, ist verständlich. Aber trotz des engagierten Einsatzes der südafrikanischen Vorsitzenden Linda Shope Malfone gelang es in den zwei Genfer Wochen nicht, auch nur annähernd die Hälfte des diskutierten Texts, der schon allgemein genug ist, unterschriftsreif zu machen.

Gipfel ohne Folgen?

Ebenso unklar ist die Situation beim Follow Up und der Beschlusskontrolle. Die ursprüngliche Idee, im Jahr 2010 eine Überprüfungskonferenz (WSIS III), zu veranstalten die genau nachgeschaut hätte, was denn die einzelnen Länder zur Erfüllung der Genfer Beschlusse getan haben, fand nur wenig Beifall. Auch andere Vorschläge wie die Schaffung eines speziellen Implementierungsmechanismus für jede der elf Bereiche des Genfer WSIS-Aktionsplanes – koordiniert jeweils von einer UN-Spezialorganisation in Kooperation mit der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft – fiel durch. Das sei viel zu aufwendig und trage das Risiko des Entstehens neuer Bürokratien in sich.

Der Vorschlag, das ganze ”Follow Up” der UN Information and Communication Technology Task Force (UNICTTF) zu übertragen, ist zwar noch nicht vom Tisch, hat aber auch viele Gegner. Das Mandat der UNICTTF läuft im Dezember 2005 aus. Die Idee, daraus eine ”Global Digital Alliance” zu machen, gerät aber auch ins Mahlwerk differierender Interessen zwischen der New Yorker und der Genfer UN-Bürokratie. Am Genfer See schaut man genau darauf, dass nicht zu viel an den East River wandert, obwohl dies zumindest sachlich geboten scheint, denn eine nachhaltige Stabilisierung des WSIS-Prozesses wird es wohl nur geben, wenn er mit den Millenium Development Goals der UNO verbunden wird. Die so genannten ”Jahrtausendziele” werden im Informationszeitalter nur erreicht werden, wenn man sich dabei der neue Informations- und Kommunikationstechnologien bedient.

Deshalb hat ein neuer Vorschlag, der bislang eher im Verborgenen wirkenden ”Kommission für Wissenschaft und Technologie” des ECOSOC mit einem erweiterten Mandat neues Leben einzuhauchen, viele Befürworter. Das wäre keine neue Bürokratie und über den ECOSOC, einem der Hauptorgane der UNO in New York, wäre auch die Verbindung zu den Millenniumszielen, zu den UN Spezialorganisationen und auch zu den NGOs leichter herstellbar.

Wie dem auch sei, vier Wochen vor dem Tunis-Gipfel ist man jedenfalls immer noch am Uberlegen und auch dieser Textabschnitt der geplanten Tunis-Deklaration ist erst zur Hälfte fertig.

Heißes Eisen Internet Governance

Bleibt schließlich die Dauerkontroverse um Internet Governance (US-Regierung will weiter die Kontrolle über die zentrale Rootzone behalten). Hier hat sich die Lage trotz des allgemein positiv aufgenommenen Berichts der WGIG in den letzten Wochen eher noch zugespitzt (Explosives Endspiel). Nachdem die Europäische Union formell den Vorschlag unterbreitet hat, einen neuen zwischenstaatlichen Regierungsrat für das Internet zu schaffen, der für grundsätzliche Fragen, auch im Zusammenhang mit der Aufsicht über die Internet-Kernressourcen, zuständig sein soll, hängt nun auch der Haussegen zwischen den US und der EU schief. Das US-Außenministerium hat sich auf die Brüsseler Regierungsbürokratie eingeschossen und US-Kommentatoren nennen den transatlantischen Internet-Streit jetzt in einem Atemzug mit dem Kyoto-Protokoll, dem internationalen Strafgerichtshof und sogar dem Krieg im Irak.

All das verbessert nicht die Aussichten, in den kommenden vier Wochen einen Konsens zu erzielen, zumal sich die Regierung des Volksrepublik China noch gar nicht mit einem eigenen Vorschlag zu Wort gemeldet hat.

PrepCom3+ in Raten

Dem etwas verzweifelt wirkenden PrepCom Präsident Janis Karkelins aus Lettland, der immer wieder verkündet hatte, dass es eine PrepCom3+ diesmal nicht geben wird, blieb so gar nichts anderes übrig, als nun doch noch einmal eine Verhandlungsrunde anzuberaumen. Die findet jetzt in drei Etappen statt. Die ersten beiden Etappen unter Ausschluss der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft werden in Genf verhandelt, wobei dort alles außer Internet Governance zur Debatte steht.

Zum Thema Internet Governance lässt man erst einmal den Diplomaten in den Hauptstädten zu Hause Zeit, sich mit der hochexplosiven Materie auseinander zusetzen, bevor man dann drei Tage vor dem Gipfel in einem Hotel in Tunis zu einer letzten Runde zusammenkommt. Zu diesem Internet Governance-Endspiel sind jedoch Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft wieder zugelassen.

Ob bei diesen letzten Gefechten mehr als Worthülsen, die lediglich den Dissens verbergen, herauskommen, ist zweifelhaft. Wie sollte denn ein Kompromiss zum Thema Internet-Aufsicht aussehen, wenn die USA kategorisch erklärt haben, dass sie nicht die Absicht haben, andere Regierungen bei der Autorisierung der Publikation von Zone Files im Root mitreden zu lassen?

Angesichts dieser Konstellation bleibt als einzige Erfolgschance für den Gipfel eine Vereinbarung über die Fortsetzung des Dialogs. Das gleichfalls diskutierte ”Global Internet Forum” könnte dafür eine neutrale Plattform abgeben. Aber genauso wahrscheinlich ist es, dass es einige Regierungen darauf anlegen, es zum Schwur kommen und den Gipfel scheitern zu lassen. Das wäre zwar unhöflich gegenüber dem tunesischen Gastgeber, da aber die Reputation von Präsident Ali im Zusammenhang mit einem der Grundprinzipien der globalen Informationsgesellschaft, dem Recht auf freie Meinungsäußerung, nicht allzuhoch ist (Erholung von der Meinungsfreiheit), wird man darauf nicht gerade viel Rücksicht nehmen. Die WTO-Konferenz vom September 2003 in Cancun lässt grüßen. Damals platzte die jahrelang vorbereitete Konferenz weil sich der Westen und die G20 nicht über die nächsten Schritte bei der Entwicklung des Welthandels einigen konnten. Das Dilemma ist jedoch, dass das Scheitern von Cancun keiner Seite etwas gebracht hat. Der Handel ging weiter und die Probleme waren nachher dieselben wie vorher.

Die Regierungen werden den mit WSIS eingeleiteten Prozess nicht mehr entfliehen können. Und sie werden sich dabei zunehmend auch daran gewöhnen müssen, dass nicht nur andere Regierungen, sondern auch andere Stakeholder – Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft – mit am Tisch sitzen. Das macht die Sache nicht einfacher, aber ein Zurück gibt es nicht mehr. Insofern ist es auch nicht ganz so dramatisch, wenn die drei Gipfeltage in Tunis keine reiche Ernte bescheren. Der Weg in den Cyberspace ist noch lang und das Internet wird auch dann noch funktionieren, wenn man sich bei WSIS II auf kein Aufsichtsmodell einigen kann.