Global Game Utopia

James Der Derian, Privatdetektiv im Bereich der "Militärunterhaltung"

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James Der Derian, selbst ernannter Privatdetektiv im Military-Entertainment Complex und Gründer des Infopeace-Projekts am Watson Institut, war zur transmediale eingeladen, wo er an dem Panel "Global Game Utopia" teilnahm, bei dem es um die gesellschaftliche Rolle von Computerspielen ging.

Claus Pias, der Moderator dieses Panels, zeigte in seiner Einführung einmal mehr auf, dass damit nicht allein das Phänomen des Ego-Shooters oder die so genannte Nintendo Education gemeint ist, sondern auch die Funktion, die Computerspiele für Soziologen, Militärstrategen, Wirtschaftswissenschaftler und Architekten haben: Planungsinstrument und Modellierungswerkzeug zugleich. Pias erinnerte auch daran, dass der Terminus "Game" aus dem Wortschatz eben jener Nutzer verschwand und durch "Simulation" oder "Modellierung" ersetzt wurde, als Handhelds und die ersten Konsolen in den 1980ern den Markt zu erobern begannen.

Das NASA-Kontrollzentrum diente als technisches Vorbild für Buckminster Fullers "World Game", dessen Ziel es sein sollte, vorhandene Ressourcen der Erde im Sinne einer ökologisch sinnvolleren und sozial gerechteren Weltordnung neu zu verteilen. Nasa, 1964

James der Derian, der neben Birgit Richard, Jutta Zaremba, Jackie Stevens und Natalie Bookchin eingeladen war, vermochte diesen blinden Fleck aufzudecken. Bevor er mit einer psychoanalytischen Betrachtung des bevorstehenden Golf-Krieges, den er als ein ausgemachtes Deja-vu-Erlebnis bezeichnete, schloss, entlarvte er eloquent semantische Untiefen in den Kriegsreden von Wolfowitz & Co. Auch wenn sie stets beteuern, dass es sich bei der gegenwärtigen Irak-Krise keineswegs um ein Spiel handelt, können sie offenbar nicht mehr zwischen "War" und "Game" unterscheiden. Der Derian machte überdies deutlich, wie sich Kriege immer mehr der Spiellogik auch deswegen nähern, weil sie vermeintlich mit immer weniger Todesopfern auszukommen scheinen.

Der Derian arumentierte mit einer Brillanz, die Leser seines Buches "Virtuous War: Mapping the Military-Industrial-Media-Entertainment-Network" (Westview Press, 2001) von ihm gewohnt sind. Hier kommt auch sein wissenschaftlich-politisches Engagement zum Ausdruck, das während des Vietnamkrieges inmitten der Antikriegsbewegung seinen Lauf nahm und das nicht zuletzt den Versuch darstellt, seine eigene Biografie aufzuarbeiten: Seine Vorfahren starben in den zahlreichen Kriegen, die sich in Amerika ereigneten und an denen sein Heimatland beteiligt war.

Der Derian, der glaubt, dass eine ordentliche Dosis Paranoia dieser Tage zum Überlebenselixier gehört, nimmt in "Virtuous War" die einzelnen Bereiche des im Untertitel aufgezeigten "Netzwerks" als Fixpunkte auf einer Karte wahr, die er durch investigative Recherchen, einem Reisenden gleich, miteinander zu verbinden versucht. Die Reise entlang des Military-Industrial-Media-Entertainment-Networks ist jedoch nicht nur metaphorisch zu verstehen. Aufgesucht hat Der Derian Orte in der Mojave Desert, an der San Francisco Bay, in den Hügeln von Süddeutschland, gegenüber von Disneyworld und im Herzen von Hollywood, wo die US-Armee die Kriege der Zukunft in spielerischen Szenarien testet. Das Ganze liest sich wie ein essayistisches Reisetagebuch, garniert mit zahlreichen Interviews, die er mit den verantwortlichen Ingenieuren und Planern geführt hat.

Die Fülle von Forschungsthemen, die Der Derian in seinem Buch andeutet, wird in seinem Infopeace-Projekt fortgeführt. Den Terminus "Information War" paraphrasierend, dient das Projekt als Anlaufstelle für Forscher, die an der Schnittstelle von Computer- und Politikwissenschaften arbeiten: ein Online-Archiv für Texte und Nachrichten, das mit einem Diskussionsforum ausgestattet ist. Veranstaltet und dokumentiert werden auch Ausstellungen wie The Perplexities of Security, digitale Filmwettbewerbe oder Symposien wie "War Games: The Dis/Simulation of Future", das diesen Frühling/Sommer stattfinden soll.