Globale Ausweispflicht

In nur wenigen Ländern, allen voran USA und UK, gab es bisher noch keine Ausweispflicht, doch das soll sich ändern

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Was Deutsche längst gewöhnt waren, nämlich per gesetzlicher Verpflichtung immer einen Ausweis bei sich tragen und ihn auf Verlangen von Ordnungshütern vorzeigen zu müssen, soll nun auch in Ländern zur Norm werden, die bisher stolz auf ihre liberalen Traditionen waren, die sich mit einer Ausweispflicht nicht vertrugen. Doch im Kontext des "Kriegs gegen Terrorismus" ist derzeit eine hohe Akzeptanz auch in den Bevölkerungen der USA und Großbritanniens gegeben.

30 Jahre hat Großbritannien den Terror der IRA ausgehalten, ohne eine Ausweispflicht einzuführen. Doch nun ist laut einer Mori-Umfrage für das Sensationsblatt News of the World gleich eine überragende Mehrheit von 85% für die Einführung von Personalausweisen. Fast noch erschreckender sind die Details der Umfrage. Dass Informationen zu Geburtsdatum, Augenfarbe und ein Foto auf dem Ausweis enthalten sein sollen, ist jeweils für mehr als 95% eine Selbstverständlichkeit. 85% würden aber auch zustimmen, wenn ihr Fingerabdruck auf der Karte enthalten sein soll, 75% sprechen sich für die Einbeziehung von DNA-Informationen aus.

Der neue britische Innenminister David Blunkett sagte gegenüber der BBC, dass keine Überraschungsankündigungen bezüglich der allgemein verpflichtenden Einführung eines Personalausweises zu erwarten seien, doch das Thema habe für ihn "ausgesprochen hohe Priorität" in Ministeriums-internen Erwägungen. Herr Blunkett sagte auch, dass er "instinktiv" dazu neigen würde, der Terrorbekämpfung nun den Vorzug zu geben und dass diese durch eine allzusehr am Buchstaben des Gesetzes hängende Interpretation des "Human Rights Act" nicht behindert werden solle. Das Vereinigte Königreich hatte seine Rechtsprechung erst im vergangen Jahr an EU-Standards angeglichen, indem die Europäische Menschenrechts-Charta zum Bestandteil britischen Rechts gemacht wurde. Mit seiner Aussage ließ Blunkett zugleich durchsickern, dass Abänderungen an der Human Rights Charta nicht ausgeschlossen sein sollten.

Laut der Financial Times hätten Mitarbeiter des Geheimdienstes MI5 erklärt, beim Innenminister mit keinen Ansuchen für erweiterte Befugnisse vorstellig geworden zu sein. Existierende Befugnisse würden ihnen erlauben, nachrichtendienstliche Ermittlungen zu führen und diese im Einklang mit der Menschenrechts-Charta zu gestalten, berichtete die FT. Eine Verschärfung der Gesetze bezüglich der Auskunftspflicht für Banken über Terrorismus-Verdächtige, wie sie in Nord-Irland besteht, könne allerdings wünschenswert sein, sollen einzelne Beamte gemeint haben.

Eine heftige Debatte über Personalausweise tobt nun auch in den USA. Ausgelöst wurde diese durch ein Interview, das Oracle-Boss Larry Ellison am Freitag gegeben hatte. Der Segel-Fan und 15 Milliarden Dollar schwere Chef der weltgrößten Datenbankfirma erklärte gegenüber San Jose Mercury News, dass Fingerabdrücke enthaltende Personalausweise eingeführt werden sollten. Die notwendige Datenbanksoftware würde er gratis zur Verfügung stellen.

Auf Bedenken über Eingriffe in die "privacy" (notdürftig übersetzbar als "Privatsphäre") angesprochen, erklärte Ellison, "privacy" wäre im Computerzeitalter ohnehin eine Illusion. Jeder könne ins Internet gehen und z.B. herausfinden, wieviel der Nachbar verdient und wann er zum letzten Mal seine Kreditkarte überzogen hat und "Tonnen von weiterem Material".

Wie sehr sich auch in den Vereinigten Staaten im Anschluss an die Terrorangriffe vom 11.September die Stimmung gewandelt hat, zeigte eine Umfrage des San Jose Mercury News in der San Francisco Bay Area. Auch dort befürwortet derzeit eine deutliche Mehrheit, 69%, die Einführung eines landesweiten Systems von Personalausweisen. Noch unter der Regierung Clinton war eine diesbezügliche Initiative am Widerstand konservativer Gegner gescheitert. Damals wollte man für Nutzer des öffentlichen Gesundheitssystems Chipkarten einführen, auf denen ihre Krankengeschichte gespeichert sein sollte.

Gegner der Idee finden sich neben bekannten Verfechtern von Bürgerrechten, wie die American Civil Liberties Union (ACLU) vor allem unter konservativen und bei ultralibertären Kreisen. Das Recht eine Waffe zu tragen und keinen Ausweis bei sich haben zu müssen, geht für sie Hand in Hand. Befürchtungen gegen Personalausweise reichen von Missbrauch, dass die Polizei z.B. die Bewegungen von Leuten verfolgen könne, bis hin zu Bürgerrechtsbedenken. Leute mit abweichenden Anschauungen, aus ethnischen und religiösen Minderheiten, könnten damit leichter Opfer von Diskriminierung werden.

Ähnliche Bedenken gibt es auch in England. Im Zweiten Weltkrieg eingeführte Personalausweise waren von Sir Winston Churchill 1953 abgeschafft worden. Die Pflicht, einen Ausweis bei sich tragen und auf Verlangen einem Polizisten zeigen zu müssen, würde bei der Bevölkerung eine negative Strimmung gegenüber der Polizei erzeugen, lautet eine weit verbreitete Befürchtung. Das würde eher zu einer Behinderung der Polizeiarbeit führen, als die Bereitschaft sie zu unterstützen, zu fördern. In der derzeitigen Situation würden vor allem Briten asiatischer Abstammung Gefahr laufen, häufig von der Polizei angehalten und nach ihrem Ausweis gefragt zu werden, meinte der Kriminologe Michael Levi gegenüber der Zeitung The Guardian. Verkompliziert werde der Umstand noch dadurch, dass Polizeidatenbanken zwischen 20 und 30 Prozent an Datenschrott enthielten, sagte Levi. Bei willkürlichen Checks auf der Straße könnten sich dadurch viele Unschuldige diskriminiert fühlen.

Die Stimmung ist derzeit ganz auf rechtsstaatlichen Aktionismus eingestellt. Doch dass die Ausweispflicht in Großbritannien und den USA tatsächlich eingeführt wird, ist deshalb noch lange nicht entschieden. Während man sich in Deutschland (unter Deutschen) scheinbar einig ist, dass Personalausweise mit Fingerabdruck für Einbürgerungswillige eingeführt werden sollen, gibt es dagegen in den anglo-amerikanischen Staaten eine tiefer sitzende Antipathie auch in weiten Teilen des Establishments. Auch ist es alles andere als sicher, ob Personalausweise die Terroranschläge vom 11.9. verhindert hätten. Falls es noch weiterer Argumente gegen die Ausweispflicht bedarf, so hat die Bürgerrechtsorganisation Privacy International schon vor Jahren eine Studie zu dem Thema in 40 Ländern durchgeführt. Auszüge daraus sind im Netz einzusehen und sprechen eine beredte Sprache: Je repressiver das Regime, umso gefährlicher kann ein Personalausweis sein, ob man ihn nun bei sich trägt oder auch nicht.