Gott ist geil, irgendwie

Die katholische Kirche schminkt sich wieder jung - was ist das Kölner Happening wirklich?

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Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Katholizismus sei wieder groß in Mode. Hunderttausende versammeln sich derzeit beim Weltjugendtag, jubeln und feiern, singen und reden, manche beichten und beten sogar, und manche Mutigen gönnen sich zur Freude der Kölner Schankwirte auch mehr als ein oder zwei Kölsch. Nun ist auch noch "Benny X Vau Iiih", wie manche den obersten Hirten des rechten Glaubens mit gewohnt katholischer Lässigkeit getauft haben, in der Stadt. Wir alle sind endgültig Papst, und der spontane Feuilletonkatholizismus der Medien nach Wahl des neunten deutschen Papstes seit Erschaffung der Welt und des ersten seit den Tagen Martin Luthers wird ergänzt durch allerlei interessierte Interviews mit Religionsexperten, beflissenen Analysen der angeblichen "Wiederkehr des Glaubens" und tiefschürfenden Kommentaren über die öffentliche Funktion christlicher Werte.

Doch wenn alle das gleiche sagen, ist es noch lange nicht richtig, im Gegenteil: Skepsis ist angebracht angesichts der Einheit der allzuvielen Stimmen. Was wird wirklich von den Ereignissen dieser Tage bleiben, wenn die jetzigen Worte des Papstes an die Jugend der Welt, die inbrünstigen Gebete, das Lachen und Singen längst vom Wind verweht sein werden? Wird die christliche Botschaft in der zeitgenössischen multikulturellen und multireligiösen Welt überhaupt noch verstanden? Und akzeptiert? Aber vielleicht sind das auch völlig überflüssige Fragen.

Schnupperchristen, Patchworkreligiosität und Bindestrich-Kulturen

Auf den zweiten Blick lassen sich allerdings die Verwerfungen und Widersprüche im schönen bunten, blitzblank polierten Bild des Weltjugendtages nicht übersehen. Kommunistisch tiefrot ist das Weltjugendtags-Halstuch, anarchistisch pechschwarz das aufgedruckte Logo, mittel- und dunkelblau der Pilgerrucksack, der Kataloge von Discountern ebenso enthält wie give-aways (Wasser, Touristenkarten).

Und so bunt und kommerziell wie dieses Überlebensarsenal ist auch die Veranstaltung. Ein großes Geschäft zunächst einmal, für das Steuergelder in zweistelliger Millionenhöhe verbraten, allerdings später auch in indirekter Form durch die Ausgaben der vielen Gäste zurückerwartet werden. Daneben ein durchaus weltliches Fest der Weltkulturen, ein Multikulti-Markt der Glaubens- und Sinnangebote, auf dem Schnupperchristen und Patchworkreligiosität dominieren. Jesus ja, Paulus nein, Petrus vielleicht, dazu ein bisschen Buddhismus, etwas Esoterik, eine Prise Judentum, und, ja klar: "Den Islam muss man besser verstehen lernen."

Dieses diffuse Bild ist durchaus repräsentativ für das Denken vieler Gläubiger, nicht nur im vermeintlich durchsäkularisierten Europa, angeblich der großen Ausnahme im globalen Bild der religiösen Renaissance, und nicht nur der Christen. Die Anhänger des Christentums, insbesondere die jüngeren, teilen jedenfalls mehrheitlich die Überzeugung, dass der eine eben diesen, der andere einen anderen Weg gehe, dass die Menschen selbstverantwortlich ihr individuelles Glaubenspaket zusammenschnüren.

Glaubt man den Statistiken, dann ist es mit der Kirchentreue der individuellen Überzeugungen nicht weit bestellt: Mehr Kirchenmitglieder glauben an Engel als an einen leibhaftigen Gott. 70-80 Prozent der Kirchenmitglieder teilen fundamentale Glaubensüberzeugungen - etwa den Glauben an einen personalen Gott – nicht. Wer überhaupt an Gott glaubt, sieht diesen mehrheitlich "in der Natur", denn personal. Längst hat auch ins Feld der Religionen das Einzug gehalten, was man in den "Postcolonial Studies" als "Hybride" bezeichnet - Bindestrich-Kulturen, die heute die eigentlichen Subjekte der Globalisierung sind.

Dienstleister für die Gläubigen

Insofern geht es in Köln den meisten "Christen" eher um das gesinnungsethische Labsal der Bestätigung eigener Überzeugungen, denn um ein ernsthaftes und selbstprüfendes Ringen um den richtigen Glauben. An höchster Stelle steht das Erlebnis der Begegnung mit den vielen Gästen aus aller Herren Länder, stehen spontane Erfahrungen wie der völkerverbindende One-Night-Stand mit dem hübschen Messdiener aus Polen oder die verzückte Entdeckung, wie toll es ist, "dass da bei den Kolumbianern nicht so viele intellektuellen Unterschiede im Glauben gemacht werden wie hierzulande. Irgendwie schöpfen die ihr Sinnlichkeitserlebnis aus anderen Dingen", so eine gläubige Maid im Deutschlandradio, worauf sich der Interviewer kurzerhand auf ihr Niveau herabschwang und leutselig fragte: "Ist das eine Frage der Mentalität in anderen Ländern oder ist da wirklich der Heilige Geist am Werk?"

Gegenüber so viel Glück und Diesseitigkeit kann natürlich eine muffige, von alten Männern und autoritärem Ansatz geprägte Kirche nicht mithalten. Zumal sie intellektuell unredlich mit ihren Quellen umgeht und die Auseinandersetzung mit dem Kuschelchristentum scheut. Ihre Funktion sinkt auf die eines Dienstleisters für die Gläubigen, die außer Hochzeit, Taufe und Beerdigung neuerdings eben auch Popveranstaltungen wie Papstbeerdigungen und Weltjugendtage organisiert.

So viele Divisionen hat der Papst

Aus Sicht dieser Kirche geht es allerdings sowieso um etwas ganz anderes. Es gibt eine Geopolitik der Religionen. Hier muss sich das Christentum bzw. in diesem Fall die Katholische Kirche mit anderen Weltreligionen auseinandersetzen, muss sich als Weltkirche präsentieren. Es muss den anderen Religionen zeigen: Hier stehen wir. So viele Divisionen hat der Papst. Nüchtern betrachtet ist der Weltjugendtag also keineswegs nur einfach das frisch-fromm-fröhliche Happening junger Menschen, sondern ein Akt der Verteidigung gegen andere konkurrierende Systeme. Ein Instrument zur Durchsetzung der Interessen der Organisation im Sinne des Selbsterhalts. Es sind die politischen, ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen, die die Akteure in bestimmte Richtungen drängen. Ökonomisch ist die Kirche der größte private Arbeitgeber Europas, auch Deutschlands.

Mit einem Umsatz von 125 Milliarden Euro allein in Deutschland stellen die beiden christlichen Kirchen Industriegiganten wie Siemens, DaimlerChrysler, oder die Telekom weit in den Schatten, mit 1,3 Millionen Beschäftigten ist man nach dem öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber der Republik. Durchaus lohnenswert also, die Marke zu verjüngen, ihr neuen Glanz und womöglich ein neues Design zu verpassen - durch Verlassen der Katakombenmentalität und neues Selbstbewusstsein.

Politisch gesehen verlagert sich das globale Unternehmen Kirche weg aus Europa - auch das teilt es mit anderen Weltkonzernen. Speziell für die katholische Kirche ist Deutschland "das" Missionsland. In einem Land, das mehr Konfessionslose (31,8 2003) hat als Katholiken, ist Re-Evangelisierung das Motto. Kaum ein Zufall also, dass der Weltjugendtag in Deutschland stattfindet, und wohl auch nicht wirklich ein "postmortales Wunder" (Josef Kardinal Meissner), dass ausgerechnet ein Deutscher zum Papst gewählt wurde. Insofern geht es um Mission in der westlichen Diaspora, darum, auf potentiell Gläubige zu wirken und attraktiv zu sein. Um emotionale Außendarstellungen und Bindung der eigenen Anhänger.

Da unterscheiden sich Massenveranstaltungen wie die Kölner kaum von Parteitagen - mit dem Unterschied, dass es auf dem Weltjugendtag nichts mitzubestimmen und zu entscheiden gibt, sondern nur zu fühlen. Allerdings machen sich die Klügeren unter den Theologen - und Papa Ratzi darf man jedenfalls dazu rechnen - keine Illusionen darüber, dass die Kirche als eine Organisation, die dem Einzelnen einen festen Ort in der Gesellschaft anweist, die Alltagsregeln aufstellt und über Einhaltung von Normen wacht, definitiv tot ist.

Durch Veranstaltungen wie den Weltjugendtag versucht die Katholische Kirche auch die Re-Territorialisierung, die Wiedergewinnung des öffentlichen Raums. Die Kirche soll öffentlich mit Macht präsent sein, ein paar Tage lang die verlorene kulturelle Hegemonie wiedergewinnen. Die Gebete verwehen, aber zumindest bleibt der Eindruck, dass Religion irgendwie cool und Kirche irgendwie wichtig ist. Die Botschaft ist, mit den Worten von Stanislas Lalanne, Sekretär der Französischen Bischofskonferenz: "Man ist kein Idiot, wenn man Christ ist."

In der Spektakelgesellschaft wirkt eine Massenveranstaltung dieser Art wie ein Plebiszit. Es leistet Legitimationsschöpfung aus eigener Kraft. Die Kirche muss sich gar nicht mehr verjüngen, gar liberalisieren angesichts der Massen. weil sie mit ihnen demonstrieren kann, wie jung und locker sie ist. Die alten Männer und die strengen Hierarchien geraten in Vergessenheit. "Politik", schrieb Hannah Arendt, "besteht darin, Bilder zu erzeugen, und andere daran glauben zu lassen."

Bunte Schminke, alte Fratze

Aber lassen wir die Kirche im Dorf. Wie gesagt: Mit 31,8 Prozent Konfessionslosen gibt es in Deutschland mehr Konfessionslose als Katholiken - mit klar steigender Tendenz. Sie sind öffentlich vergleichsweise gering repräsentiert, da ein Weltjugendtag der Atheisten und Agnostiker undenkbar ist - trotz der "Heidenspaß"-Gegenveranstaltung der Konfessionslosen. Ihre Vielfalt und Skepsis macht ja gerade den diskreten Charme der Ungläubigen aus.

Aus liberaler Sicht gibt es freilich keinen Grund, falsche Kompromisse zu machen und dem Christentum die kulturelle Hegemonie zu überlassen. Wer glaubt, ist kein besserer Mensch, vielleicht sogar ein dümmerer. Denn weder der ontologische, noch der kosmologische oder der teleologische Gottesbeweis hält rationaler Prüfung stand. Vielleicht ist Religion nur ein Produkt des Narzissmus, der sich den Grenzen des eigenen Wissens nicht stellen will. Wer Wissenschaft, Kunst und Philosophie besitzt, der braucht nicht notwendig Religion. Man darf also Gott auch irgendwann einfach vergessen.

Ohne falschen Eifer darf man auch nüchtern darauf hinweisen, dass die Katholische Kirche weder die Kulturindustrie noch den Liberalismus erfunden hat, dass Kardinal Meissner und der Opus Dei das moderne Gebot der Reduktion von Komplexität offensichtlich überinterpretiert haben und den buntgeschminkten Katholizismus von Papa Ratzi und der Weltjugend um eine hässliche, alte Fratze ergänzen. Es gibt auch Gefahren, die von der Religion ausgehen und deren Chancen deutlich übersteigen.

Es gibt nicht nur islamischen Fundamentalismus, sondern auch christlichen. Ein Großteil der irdischen Konflikte ist durch Religion zumindest mitbedingt. Jedes Menschenrecht ist bis heute von Aufklärern gegen die Stimmen der Religion erkämpft worden. Religion und Politik, Kirche und Staat sind getrennt - wenn auch nicht klar genug. Und die Kirchen haben nur noch eine Stimme in der Stimmenvielfalt des öffentlichen Diskurses - wenn auch immer noch oft eine zu laute und schrille.

Lassen wir also die Kirche im Dorf. Haben wir Mitleid mit den genervten Kölner Freunden, die sich nach sicheren, wenn auch unrepräsentativen Informationen sogar "zu den Russen", sprich auf rechtsrheinische Ufer und vereinzelt sogar bis auf die breiten Wiesen von Mannheim geflüchtet haben. Und überschätzen wir nicht dieses Weltfest der Religion light. Veranstaltungen wie der Weltjugendtag, aber auch die Beerdigung des letzten Papstes sind ein Event. Sie leisten die Konstituierung der (Glaubens-)Gemeinschaft durch ein Fest - allerdings entspricht dem nicht umgekehrt eine Veranstaltung des Festes durch eine Gemeinschaft.

Die Institution funktioniert noch, aber ihre Anhängerschaft schrumpft und zweifelt - oder sie gehorcht einfach nicht. Der Lärm von Köln ist wie ein Johlen im Wald.