Gourmet-Führer für MP3-Freunde

Tonspion: Start Up mal anders - nicht Pleite

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Es gab Zeiten, da gründete jeder zweite BWL-Heini ein Start-Up, kassierte von völlig euphorisierten Geldgebern ein paar Milliönchen, und ballerte diese für tolle Lofts, große Partys und unnötige Werbekampagnen aus dem - sagen wir mal - Fenster. Man trifft diese Heinis heute oft im Arbeitsamt, auf entwürdigenden Pink-Slip-Feten oder mit der Zunge klebend an den blank gewichsten Schuhen höhnisch grinsender Old Economy-Bosse. Wer übrig blieb, hatte Glück oder war schlau, wie Udo Raaf. Auch er gründete einst ein Start Up - aber anders. (Vgl.MP3: Gratis, legal und qualitativ wertvoll)

Irgendwann im Jahr 1999 dachte Udo Raaf ungefähr so: "Immer mehr Menschen wollen sich MP3-Dateien aus dem Netz laden. Hm. Aber wer weiß schon, wo die alle sind?" Am-Kopf-kratz. "Und wenn ich die MP3s finde und den anderen zeige, wo sie stehen? Hm. Ja. Ja!" Im Januar 2000 gründete er dann Tonspion - so etwas wie ein Gourmet-Führer für MP3-Freunde. Dafür brauchte er keine Venture-Millionen sondern lediglich einen handelsüblichen Kredit. Eine Party gab es nicht, denn Raaf hatte zu viel zu tun und keinen Platz. Als Büro diente eine Ein-Zimmer-Wohnung in Köln. Hinterm Schreibtisch stand das Bett. Ein 40 Quadratmeter-Loch statt des riesigen Yuppie-Lofts.

Mittlerweile ist der gebürtige Stuttgarter mit seinem Unternehmen nach Berlin gezogen, hat neun Mitarbeiter und expandiert: Vor einigen Wochen wurden die englischen Tonspion-Seiten offiziell gelauncht. Denn was in Deutschland hervorragend funktioniert, soll nun auch weltweit klappen. Und das geht so:

Tagtäglich surfen der 31-jährige Raaf und seine Mitspione durch das Web und suchen das, was die Musikindustrie am liebsten verboten wüsste: MP3-Dateien. Allerdings begeistern sich die Späher nur für jene Datenhäufchen, die legal sind, also vom Musiker oder der Plattenfirma abgesegnet. Die MP3s auf irgendwelchen weißrussischen Hacker-Seiten interessieren sie ebenso wenig, wie das Angebot bei Morpheus, Gnutella und Konsorten. Der bekennende Studienabbrecher Raaf begreift die virtuellen Songs als "Appetitanreger und nicht als CD-Ersatz." Deswegen werden nur jene Dateien erwähnt, die legal auf Websites von Künstlern, Plattenfirmen und etablierten Online-Plattformen wie Amazon, Launch oder MTV zu finden sind. Und derer gibt es in rauen Mengen. Derzeit drängen sich auf den Tonspion-Seiten mehr als 1.000 Download-Tipps - untergliedert in Musikgenres und fundiert kommentiert. Da finden sich rare Songs von Elvis Costello bis Sinead O`Connor, neue Stücke von Surrogat bis Shantel. Und weil die Spione lediglich spionieren aber nicht klauen, stehen auf den Seiten der Berliner keine MP3-Dateien sondern Links, die direkt zu den begehrten Daten führen.

Ein simples Prinzip mit großem Erfolg. Aus der mickrigen Homepage der Anfangstage ist mittlerweile ein riesiger Auftritt geworden, der ständig aktualisiert und gut besucht wird. Jeden Monat surfen etwa 50.000 Nutzer auf die Seiten von Raaf und Co. Zahlreiche Magazine haben über die Tonspione berichtet und in einigen Web-Charts steht ihre Homepage an der Pole-Position. Dabei setzen Raaf und seine neue Geschäftspartnerin Dagmar Schmidt auf Qualität und Mundpropaganda statt auf teure Werbekampagnen. Und weil das in Teutonien so gut funktioniert, wurde expandiert - global. Tonespy heißt der Ableger mit Sitz in London. Nun gibt es dort das selbe wie auf der Mutterseite - nur eben im englischen Weltsprech. Eine Handvoll freier Schreiber wühlt sich von London aus über die Datenautobahn und sucht nach tonalen Perlen. "Das Internet ist nun mal global, warum soll man uns dann nicht weltweit nutzen?", fragt Raaf und kündigt so ganz nebenbei noch einen neuen Auftritt in spanischer Sprache an.

Bleibt nur noch eine Frage: Wie verdienen die Tonspione Geld? Mit Bannerwerbung? "Nein. Das ist lediglich ein kleines Zubrot, nichts, worauf man ein Unternehmen aufbauen kann", sagt Raaf und verweist auf zahlreiche Start Up-Heinis, die genau an dieser Misere scheiterten. Udo Raaf ist schlauer und lebt von den Schwächen vieler Online-Plattformen. Die haben zwar meist teure Technik und tolle Ideen aber keine hochwertigen Inhalte, nichts was Surfer längerfristig auf ihre Seiten lockt. Damit aber wuchern die Tonspione - immerhin ist Musik neben Sex das Thema Nummer Eins im Netz. Raafs Download-Tipps sind begehrter denn je, und zu finden bei Online-Auftritten wie Fireball, Popkomm und Spraynet. Zudem gründete er mittlerweile das Schwesterunternehmen Musiconsultants. Unter diesem Namen werden Musik-Features produziert und an andere Online-Plattformen verkauft. "Es gibt wahnsinnig viele Firmen, die händeringend nach Inhalten suchen. Genau denen bieten wir Texte zum Thema Musik an", erklärt der Jungunternehmer. "Jaaa, Content, das läuft", wird da so mancher Heini denken. Siehste mal! Wobei es Inhalte schon zur Genüge gibt, solche für die Musik neben dem Mainstream aber weniger. Und da kommt Raaf: "Wir wollen in erster Linie alternative, neue Kanäle für gute Musik und Künstler abseits von Britney Spears oder den allgegenwärtigen One-Hit-Wonders im Netz aufbauen." Das Geschäft läuft, die Tonspione sind zuweilen überbeschäftigt. Denkt mal drüber nach!