Gräueltaten auf allen Seiten

Fast 70 000 Todesopfer in zwei Jahrzehnten Gewalt - Peru zwischen Vergangenheitsbewältigung und Neubeginn

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach zweijähriger Arbeit übergab die peruanische Wahrheits- und Versöhnungskommission Staatspräsident Alejandro Toledo Ende der Woche ihren Abschlussbericht über politisch motivierte Gewalttaten in den Jahren 1980 bis 2000.

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international nannte im Vorfeld die erschreckende Zahl von über 30.000 Toten, die den Auseinandersetzungen zwischen skrupellosen Militär- und Polizeieinheiten auf der einen und gewaltbereiten Rebellenorganisationen wie dem berüchtigten "Sendero Luminoso" (Leuchtender Pfad) auf der anderen Seite zum Opfer gefallen sein sollen. Aus dem Bericht der Kommission geht nun hervor, dass die Wahrheit mitunter noch grausamer ist als die schlimmsten Befürchtungen. Tatsächlich verloren in Peru fast 70.000 Menschen ihr Leben, unzählige weitere wurden gefoltert und vergewaltigt, entführt, misshandelt oder zu Unrecht inhaftiert. Nicht im entferntesten vergleichbar, aber keineswegs uninteressant: Der materielle Schaden, der durch zwei Jahrzehnte Gewalt und Terror verursacht wurde, wird auf knapp 30 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Der Kommissionsvorsitzende Salomon Lerner bezeichnete bei der Übergabe des Berichts die Epoche zwischen 1980 und 2000 als Zeit der "nationalen Schande und Ehrlosigkeit". Die Auswertung der rund 17.000 Zeugenaussagen und öffentlichen Anhörungen, die in sieben Regionen durchgeführt und teilweise im Fernsehen übertragen wurden, ergab, dass die Verantwortlichen auf allen Seiten zu suchen sind. Während der Regierungszeiten von Fernando Belaúnde (1980 - 1985), Alan García (1985 - 1990) und Alberto Fujimori (1990 - 2000) standen sich Staats- und Rebellenterror in nichts nach. Für 48% aller Todesfälle soll der maoistische "Leuchtende Pfad" verantwortlich sein, 2% werden kleineren Guerillaeinheiten zugerechnet. In 33% der Fälle konnten dagegen Soldaten und Polizisten als Täter ermittelt werden, 17% starben durch regierungstreue Bauernmilizen. Mit den Ex-Präsidenten Alan García und Alberto Fujimori geht die Kommission besonders hart ins Gericht. García soll mindestens zwei Massaker gedeckt haben, während Fujimori, der sich inzwischen nach Japan abgesetzt hat und dort vermutlich relativ gelassen auf die Entscheidung über ein Auslieferungsgesuch wartet, für die zahllosen Gräueltaten der Todesschwadron "Gruppe Colina" verantwortlich gemacht wird.

Toledo, der seinen sozialdemokratischen Konkurrenten García bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2001 nur denkbar knapp besiegt hatte, will offenbar verhindern, dass die tiefen Wunden der Vergangenheit auch noch die Zukunft seines Landes beeinträchtigen. Er verlangte in einer Stellungnahme, dass alle Schuldigen von der Justiz verurteilt werden. Außerdem soll den Opfern eine Entschädigung gezahlt und der Kampf gegen eine Neuauflage terroristischer Aktivitäten konsequent fortgesetzt werden.

Versöhnung statt Rache lautet Toledos Motto, und die Chancen für einen Erfolg sind zumindest besser als in vorangegangenen Jahrzehnten. Der "Leuchtende Pfad" verfügt nur noch in der verarmten Urwaldprovinz Ayacucho, etwa 600 Kilometer südöstlich von Lima, über eine nennenswerte Zahl von Anhängern. Ihr ehemaliger Anführer Abímael Guzmán, der Philosophieprofessor, der sich gern mit "Presidente Gonzalo" anreden ließ, sitzt in Haft, auch wenn die lebenslange Freiheitsstrafe wegen des "unfairen Prozesses" in der Ära Fujimori mittlerweile aufgehoben wurde und neu zur Verhandlung ansteht. Auf der anderen Seite ist Toledo der erste peruanische Präsident indianischer Herkunft. Er verkörpert für viele Menschen die Hoffnung auf einen Neubeginn, obwohl er seine gewagten Wahlkampfversprechen bislang noch nicht überzeugend einlösen konnte.

Für Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international gibt es aber ohnehin keine Alternative zu dem eingeschlagenen Versöhnungskurs, den maßgebliche gesellschaftliche Kreise, die mit den alten Systemen kollaboriert hatten, immer noch zu torpedieren versuchen:

Nur durch eine uneingeschränkte und aktive Unterstützung der Wahrheits- und Versöhnungskommission durch die Regierung kann dazu beigetragen werden, dass eine klare Trennung geschaffen wird von den in der Vergangenheit verübten Menschenrechtsverletzungen und einer Zukunft, in welcher der Respekt der Menschenrechte für die gesamte Bevölkerung Perus - unabhängig des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Abstammung, der wirtschaftlichen Situation oder des Status - Realität wird.

Das gilt sicher nicht nur für den Andenstaat.