Grammy-Nominierung wertet Computerspiel-Soundtracks auf

Ein lange vernachlässigtes Genre findet immer mehr Anerkennung

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Als vor zwei Wochen das Staples Center in Los Angeles Gäste und Nominierte zu den 42. Grammyverleihungen einlud, waren wieder einmal die bekannten Gesichter der ganzen Musikszene vor Ort. Doch neben Santana, Britney Spears oder Madonna war bei diesen Awards zum ersten Mal ein Genre vertreten, das eigentlich schon mehr als 20 Jahre existiert, bisher jedoch eher in Insiderkreisen seine Anhänger fand. Neben Preisen für Soundtracks und Songs von Kino- und Fernsehfilmen erschien erstmals auch die Sparte "anderes visuelles Medium" in dieser Kategorie. Somit konnten die bisher eher unbekannten Komponisten von Computerspiel- und CD-ROM-Soundtracks auf eine der goldenen Grammophonstatuen hoffen.

Erster Gewinner in dieser erweiterten Kategorie wurde letztendlich doch der erst kürzlich in Deutschland gastierende Randy Newman für seine Musik zu dem digitalem Animationsfilm "Das große Krabbeln", der wie "Toy Story 2" von den Pixar-Animationsstudios stammt. So beschränkte sich die Anerkennung von Gamessoundtracks bei den Grammy Awards diesmal noch auf die Nominierung, doch ihr Vorrücken ins Rampenlicht ist nur mehr eine Frage der Zeit.

Von einfachen Ursprüngen in die Charts

Geschichtlich gesehen war die Musik zu Videospielen lange Zeit eher eine Nebensache und kämpfte mit den technischen Grenzen, die ihnen von winzigen Platinen und beschränkten Cartridges gesetzt wurden. Die billig klingenden Melodien aus dem Land von Pac-Man und den Mario Brothers konnten erst opulenter werden, als die CD ihren Siegeszug auch bei Computerspielen ansetzte. Während viele Spielentwickler noch heute sehr oft Instrumentalstücke oder einfache Synthesisermusik zur Untermalung ihrer Figuren und Welten einsetzen, entdeckten clevere Marketingstrategen bald den Wert der Musik für Pixelspiele und umgekehrt.

Zu den bei Jugendlichen und damit auch der idealen Zielgruppe viel gespielten Games wurden Hits aus den Charts unterlegt oder sogar von bekannten Künstlern extra eingespielt. So konnte man in den letzten Monaten Robbie Williams in "Fifa 2000" hören, Kurtis Mantronik lieferte Tracks für "Trickstyle" und die Gruppe Yes untermalte "Homeworld". David Bowie, der noch keinen Trend verschlafen hat und auch im Internet sehr aktiv ist, ließ sich für das Eidos-Spiel "Omikron: The Nomad Soul" als Spielcharakter einscannen und veröffentlichte gleich sein ganzes neues Album als mitgelieferten Soundtrack.

Auch die Musiksender helfen weiter der Verschmelzung von Musik und Games nach. Ein Simulationsspiel mit ansehnlichem Line-UP von Rock- und Indiebands nannte sich gleich "MTV Snowboarding" (THQ) und zum Spiel "Grand Theft Auto 2" (Sony) wurden in das begleitende Musikvideo vom Techno-DJ Da Hool die Spielszenen eingeblendet. Die Sängerin Natalie von Blue Nature fand sich zum Verkaufsstart vom Spiel "Toy Commander" (Sega) ebenfalls als eingefügte virtuelle Spielfigur im Video wieder. Den umgekehrten Weg ging die deutsche Band Die Ärzte, die sich für ihr Video zu "Männer sind Schweine" eine eingebaute Lara Croft gewünscht hatten. Durch einen Fan der Band in der Eidos-Chefetage gab es dafür dann auch den Segen und die Single sicherte sich im August Ž98 wochenlang den obersten Platz in den deutschen Charts.

Den Spielentwicklern kommen die bereits etablierte Klischees eines bestimmten Musikgenres gerade recht, weil dadurch die vermeintliche Zielgruppe noch direkter angesprochen wird. So vertonte die amerikanische Kultband Nine Inch Nails bereits den Sound des ersten Doom-Shooters und die Rapper von Cypress Hill lieferten die Musik zu "Kingpin" (Virgin), das wegen seiner Gewalt- und Blutszenen für alle Zensurbehörden ein Freudenfest der Verbotsformulare wurde. Das Hip-Hop-Kollektiv Wu-Tang-Clan, von deren Mitgliedern allein zwei im Moment hinter Gittern sind, schaffte letzten Winter einen weiteren Meilenstein der Gamesoundgeschichte: Ihr Playstation-Spiel "Wu Tang - Shaolin Style"(Activision) wurde zum ersten Game, das direkt nach einer Gruppe benannt wurde und als Kaufanreiz versprach dieses Kampfspiel sogar drei exklusive Tracks, die bisher auf keinem Album oder Website zu hören waren.

Soundtracks in Japan

Generell ist Japan als Heimatland der größten Hard- und Softwarefirmen und mit einem extrem großen Spielemarkt auch primärer Ursprungsort für diesen Seitenaspekt des Freizeitvergnügens. Die klassische Komposition von Nobuo Uematsu zum Spiel "Final Fantasy 8" (Sony/Squaresoft) mit 4fach-CD und in diversen Ausführungen schaffte es sogar in die Top 3 der japanischen Pop-Charts. Für das neuartige Musikspiel "Space Channel 5" der Firma Sega konnte sogar Michael Jackson als digitaler Charakter gewonnen werden. Der vom Kanagawa Philharmonic Orchestra eingespielte Soundtrack zu einem der wohl interessantesten Rollenspiele namens "Shen Mue" (Sega/PolyGram) für die Dreamcast-Konsole kursiert bereits ein halbes Jahr vor dem europäischen Erscheinungsdatum in den Kreisen der Spielfans.

Websites und Importeure in Deutschland

Den Marktgesetzten folgend sind die Soundtracks zu beliebten Spielen nur ein Teil einer riesigen Industrie. Der Videospielmarkt umfasste in Amerika mit Soft- und Hardware allein 7,2 Milliarden Dollar, während die vermeintlich große Filmindustrie an den Kinokassen nur 0,2 Milliarden Dollar mehr einnahm. Auch der Trend zur Verfilmung diverser Videospiele wie "Wing Commander" oder "Resident Evil" zeigt nur zu deutlich, dass die Grenzen immer fließender werden. Wer sich in Deutschland über die neuesten CDs und Sounds informieren will, findet selbstverständlich im Netz diverse Homepages. Die äußerst populäre MP3.com-Website hat einen eigenen Bereich für Gamesoundfiles und die Website des Videogame Music Archive wird diesen Frühling mehr als zwei Millionen Besucher zählen. Websites wie Gamemusic Online oder Soundtrack Central haben Hunderte von Titeln im Angebot und zu vielen herrscht ein reger Meinungsaustausch in den angehängten Urteilsforen.

Die deutsche Firma Madrom, die sich bisher auf Lösungsbücher für Video- und Computer-Spiele spezialisiert hatte, führt nun wegen der hohen Nachfrage seit wenigen Monaten auch Soundtracks. Der Geschäftsführer von Madrom, Sebastian Szczygiel, sieht das primär als eine wirtschaftliche Entscheidung: "Wir haben uns für Videogame-Soundtracks entschieden, da diese unserer Meinung nach hinter Lösungsbüchern die umsatzstärksten Zusatzprodukte zu einem Spiel sind. Dabei denken wir, dass in Zukunft in Europa immer mehr Hersteller erkennen werden, dass ein guter Soundtrack den Erfolg eines Spiel positiv beeinflussen kann."

Ein weiterer deutscher Importeur ist die Firma SynSoniq aus Langen, die in ihrem Onlinekatalog allein unter den Neuheiten knapp 80 Titel vorstellt und unter denen die CDs stellenweise bis zu 100 Mark kosten können. Die Komponisten mit Szenegrößen wie Tommy Tallarico oder Chance Thomas (Sierra On-Line) hoffen durch die jetzige Grammypreisentscheidung auch auf bessere Bezahlung und größere Budgets bei kommenden Soundtrack zu Games, die gerade durch erhöhte Speichermöglichkeiten der DVD immer mehr Platz für vollständige Musikarrangements lassen. Und irgendwann kann es dann auch für vorher unbekannte Musiker heißen: "And the Grammy goes to....!"