Griechenland: Es steht viel auf dem Spiel

Der bisherige Oppositionsführer und Favorit Kyriakos Mitsotakis. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Endspurt im Wahlkampf - Mitsotakis (Nea Dimokratia) ist Favorit. Tsipras muss mit einer Niederlage rechnen, er könnte der neuen Regierung aber das Leben schwer machen

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Der Wahlkampf für die vorgezogenen Neuwahlen des Parlaments am 7. Juli geht in die letzte Woche. Bis zum Freitag haben die Parteien Zeit, Wähler zu gewinnen. Am Samstag ist ab Mitternacht jeglicher Wahlkampf verboten. Die Griechen sollen, so wollten es die Gesetzgeber, Zeit zum ruhigen Nachdenken erhalten. In früheren Jahren wurden zu diesem Zweck auch die Gastronomiebetriebe geschlossen.

In früheren Wahlkämpfen war es üblich, dass die Straßen und Häuserwände im Land mit Plakaten der Parteien überklebt wurden. Dies gehört ebenso der Vergangenheit an, wie die Großveranstaltungen, bei denen die Parteichefs der beiden stimmstärksten Parteien Zehntausende Zuhörer um sich sammeln konnten.

Stattdessen touren sie durch die Provinz und versuchen, von Haus zu Haus und von Laden zu Laden gehend, möglichst viele Wähler persönlich anzusprechen. In der letzten Woche des Wahlkampfs stehen zudem die zentralen Reden der Parteichefs in Athen an.

Favorit ist die Nea Dimokratia

Die konservative Nea Dimokratia geht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am Sonntag, den 7. Juli 2019, als Wahlsieger aus den vorgezogenen Parlamentswahlen hervor. Für viele Beobachter geht es nur noch darum, ob es Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis gelingt, die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament zu erringen. Das für diese Wahlen geltende griechische Wahlrecht sieht vor, dass die stimmstärkste Partei 50 Bonussitze in der 300 Parlamentarier fassenden Vouli ton Ellinon am Syntagma Platz erhält.

Fofi Gennimata, Vorsitzende der Pasok-Nachfolgepartei KinAl, auf Wahlkampftour. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Je nachdem, wie viele Parteien die Sperrklausel von drei Prozent überschreiten, reichen für die absolute Parlamentsmehrheit Prozentzahlen in der Größenordnung von 34 bis 35 Prozent. Je weniger der Kleinparteien die Hürde schaffen, umso größer sind die Chancen für die Nea Dimokratia.

Neben der Partei von Yanis Varoufakis, MeRA25, kann auch die rechtspopulistische Kleinpartei Elliniki Lysi (Griechische Lösung) ins Parlament einziehen. Letztere mobilisiert offenbar das Wählerpotential der nationalsozialistischen Goldenen Morgenröte, die in Umfragen nah an der Sperrklausel verzeichnet wird. Die bislang im Parlament vertretene Union der Zentristen unter Vassilis Leventis hat, den Umfragen gemäß, nur noch Außenseiterchancen.

Von den parlamentarischen Parteien der vergangenen Legislaturperiode treten die Unabhängigen Griechen und To Potami nicht mehr zur Wahl an. Sicher im Parlament sind neben der Nea Dimokratia und Syriza die Pasok-Nachfolgepartei KinAl und die Kommunistische Partei Griechenlands.

Insgesamt treten zwanzig Parteien zur Wahl an. Die Plevsi Eleftherias der früheren Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou hat im Vergleich zu früheren Wahlen ebenso an Zuspruch verloren wie die Antikapitalistische Linke Zusammenarbeit für den Umsturz (ANT.AR.SY.A).

Die "Griechen Ökologen" des rechtsnational agierenden Demosthenis Vergis gehören zu den Parteien, die immer bei Wahlen antreten, aber nie eine Chance haben. Die Organisation der Kommunistischen Internationalisten (OKDE) ist ebenso eine Splitterpartei wie die Marxistische Leninistische Kommunistische Partei Griechenlands, die ihre Wahllistenunion mit der Kommunistischen Partei Griechenlands - Marxisten Leninisten aufgekündigt hat. Die Ellinon Syneleusis des inhaftierten Artemis Sorras, der angeblich einen dreistelligen Milliardenschatz hat, findet kaum noch Anhänger.

Premier Tsipras hat allen Grund, skeptisch zu sein. Foto: Wassilis Aswestopoulis

Die Popular Unity, im August 2015 von einem knappen Drittel der damaligen Parlamentarier von Syriza im Streit über den Schwenk Tsipras zum Sparkurs gegründet, kann kaum mehr ein Prozent der Wähler erreichen. Schließlich treten noch die Recreation Now, das Bündnis Epam-Akkel und die Sym…Phonie Politischer Parteien an. Geld aus der Kasse der staatlichen Parteienfinanzierung gibt es nur, wenn bei Wahlen mehr als 1,5 Prozent erreicht werden. Deshalb versuchen die kleineren Parteien zur Aufrechterhaltung ihrer Arbeitsplätze, zumindest dieses Ziel zu erreichen.

Trotz Wahlpflicht wird eine sehr geringe Beteiligung erwartet

Zu den Unsicherheitsfaktoren für eine Vorhersage des Ausgangs der Wahlen gehört die Wahlbeteiligung. Viele haben ihre Sommerferien bereits gebucht, sie können nur schwer zu den Orten reisen, an denen sie als Wähler registriert sind. In Griechenland besteht Wahlpflicht, allerdings gibt es keinerlei Möglichkeit der Briefwahl. Auslandsgriechen können nur wählen, wenn sie eigens für die Wahl in ihren Heimatort reisen.

Die Verletzung der Wahlpflicht wird nicht mehr wie früher sanktioniert. Theoretisch kann einem Wahlverweigerer der Reisepass oder eine Anstellung im Öffentlichen Dienst versagt werden. Nur wer einen triftigen Grund nachweisen kann, ist von der Wahlpflicht befreit. Zu den triftigen Gründen zählt auch, sich am Wahltag in einem Abstand von mehreren hundert Kilometer zum Wahllokal zu befinden.

Gewöhnlich werden die Wähler in ihren Geburtsorten registriert. Ziehen sie später um, haben sie die Möglichkeit, sich am neuen Wohnort als Fremdortler registrieren zu lassen. Dann erfahren sie knapp zehn Tage vor der Wahl, ob sich an ihrem Wohnort mindestens 40 Wähler aus dem gleichen Wahlbezirk registriert haben. Nur dann können sie am Wohnort wählen. Eine andere Alternative ist der Umzug der Wahlrechte, der aber nur nach zwei Jahren nachweisbarer Residenz im neuen Wahlbezirk möglich ist.

KinAl-Vorsitzende Fofi Gennimata. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Dieses System bevorteilt die Fremdortler aus nahe am neuen Wohnort liegenden Großstädten, sowie die Bewohner von Großstädten. Wer aus einem kleinen Ort in einen entfernten kleinen Ort zieht, kann kaum auf die mindestens 40 Wähler aus seinem Heimatort als Nachbarn setzen.

Es wird aller Voraussicht nach eine sehr geringe Wahlbeteiligung geben. Dies wiederum macht die ohnehin schon schwierigen Vorhersagen der Meinungsforschungsinstitute noch unsicherer. Die Vorsitzenden der Parteien bemühen sich bei ihren Reisen quer durch das Land, ihre Anhänger von der Wichtigkeit des Urnengangs zu überzeugen.

Dabei verspricht Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis als eines der ersten Gesetze, das Wahlgesetz so zu ändern, dass Griechen künftig an ihrem aktuellen Wohnort wählen und Auslandsgriechen ohne Heimreise an den Wahlen teilnehmen können.

"… dann müssen die Griechen im Hochsommer nochmal zur Wahl"

Mitsotakis möchte, falls er im Parlament die notwendige zwei Drittel Mehrheit findet, auch einen weiteren Passus des Wahlrechts ändern. Tsipras hatte die 50 Bonussitze gekappt und ein Verhältniswahlrecht eingeführt. Weil er für diese Reform im Parlament nicht die notwendigen 200 Stimmen erhielt, gilt das von ihm initiierte Gesetz für die übernächsten Wahlen.

Diese würden notwendig, wenn Mitsotakis weder die absolute Mehrheit erreicht, noch einen Koalitionspartner findet. Laut Gesetz haben die drei stimmstärksten Parteien direkt nach Verkündigung des Wahlergebnisses jeweils drei Tage Zeit, eine Regierung zu bilden. Scheitern sie, dann beruft der Staatspräsident einen der obersten Richter als Premier.

Innerhalb von maximal dreißig Tagen gäbe es Neuwahlen. "Wenn ich keine Mehrheit erhalte, müssen die Griechen mitten im Hochsommer zum 15. August erneut zur Wahl", mahnt Mitsotakis. "Das ist Erpressung und Panikmache", antworten die Politiker von Syriza.

Kyriakos Mitsotakis. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind aber auch für eine weitere Wahl wichtig. Anfang 2020 wählt das griechische Parlament einen neuen Staatspräsidenten. Dafür werden im ersten Wahlgang 200 und in den folgenden zwei, innerhalb von fünf Tagen abzuhaltenden Runden jeweils 180 Stimmen benötigt. Scheitert die Wahl, dann kommt es zu einer Parlamentsauflösung und zu Neuwahlen.

Die Sperrminorität, die Tsipras nützlich sein könnte

Zudem muss die kommende Parlamentsbesetzung die Verfassungsänderungsvorschläge der vergangenen Legislaturperiode absegnen. Darunter befindet sich auch die Aufhebung der automatischen Parlamentsauflösung bei einer gescheiterten Präsidentenwahl.

Auch hier gibt es verfassungsrechtlich erforderliche Mehrheiten. Die Reform des Artikels zur Wahl des Präsidenten hatte in der vergangenen Legislaturperiode mehr als 180 Stimmen erhalten, kann somit in der nächsten mit mehr als 150 abgesegnet werden.

Reformvorschläge, die weniger als 180 Stimmen der vergangenen Parlamentsbesetzung erhalten haben, benötigen diese nun in der neuen Legislaturperiode. Scheitert die Verfassungsreform, wie zuletzt 2008, dann streichen wieder einige Jahre und Wahlen ins Land, bis eine neue Reform in Angriff genommen werden darf.

Die Verfassungsväter haben ihr Werk gleich mehrfach gegen mutwillige Änderungen durch temporäre Parlamentsmehrheiten abgesichert. Bei veralteten Artikeln erweist sich dies jedoch als Bumerang gegen notwendige Reformen. Reformen der Verfassung gelangen bislang 1986 und 2001.

Premierminister Alexis Tsipras muss zwar mit einer Niederlage rechnen, kann aber mit einem guten Ergebnis eine Sperrminorität erreichen, die Mitsotakis das Leben schwer machen wird.