Grönland - auf dem Weg zum sozialistischen Öl-Dorado?

Das Rennen um das schwarze Gold im ewigen Eis ist eröffnet. Sollten die Probebohrungen erfolgreich sein, wird Grönland endlich seine volle Autonomie erreichen

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Nach 300 Jahren dänischer Herrschaft steht Grönland vor dem Schritt in die Selbständigkeit. Nachdem die Grönländer im letzten Jahr ihre Teilautonomie feiern konnten, stellt der erste sozialistische Premier des Landes nun die Weichen für die Zukunft. Geologen schätzen, dass sich mehrere Milliarden Barrel Rohöl auf grönländischen Hoheitsgebiet befinden. Nur durch das schwarze Gold kann Grönland unabhängig von den Transferzahlungen aus Kopenhagen werden und die gigantischen Probleme des Landes angehen. Doch dieses Vorhaben ist riskant, zeigt doch das Unglück im Golf von Mexiko, welche Gefahren Off-Shore-Ölbohrungen mit sich bringen.

PR-Schwindel der Wikinger

Es gibt zwei Wege, die Geschichte der Insel Grönland zu erzählen - den europäischen und den grönländischen. Aus Sicht der Europäer ist Grönland nicht unbedingt eine Erfolgsgeschichte: Die erste größere Besiedlung beruhte auf einem PR-Schwindel. Nachdem der Wikinger Erik der Rote seine Exil-Heimat Island, in die sein norwegischer Vater schon wegen eines Mordes verbannt wurde, ebenfalls wegen eines Mordes verlassen musste, setzte er die Segel gen Westen und ließ sich auf einem kargen Eisplateau nieder, das wenige Jahre zuvor von den Wikingern entdeckt wurde. Um Siedler auf die ungastliche Insel zu locken, gab er ihr den Namen "grünes Land" - Grönland. Die 3.000 nordischen Siedler liefen in die Falle und konnten sich nicht an das arktische Klima anpassen, so dass die letzten Wikinger um das Jahr 1500 herum auf der Insel ausstarben. Die folgenden zweihundert Jahre genoss die Insel ihre Ruhe vor den Europäern.

1721 endete diese Ruhe. Dänische Walfänger gründeten einen Stützpunkt auf Grönland und hissten den Dannebrog. Fortan galt Grönland als Kolonie Dänemarks. Den Inuit, die das Land schon lange vor den Europäern bewohnten, war dies relativ egal. Sie lebten ihr traditionelles Leben und ließen sich beim Fischen und Jagen nicht von den Dänen stören.

Die eigentlichen Probleme der Inuit begannen erst, als Dänemark sich gleichzeitig seiner kolonialen Verantwortung bewusst wurde und die Jagd- und Fischereigründe der Inuit systematisch leerfegte. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts wollte man aus den Inuit Dänen machen und ihnen die Segnungen der Moderne nahe bringen. Man siedelte sie um, gab ihnen Alkohol und europäische Verwaltungsstrukturen und beutete das Land auf eigene Rechnung aus.

Der harte Sturz in die Moderne

Mit der formellen Entkolonialisierung, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, begann die kulturelle Kolonialisierung. Die Büchse der Pandora war geöffnet, die Inuit wurden von der Jungsteinzeit in die Moderne katapultiert und zerbrachen daran. Heute ist Grönland für die Inuit die Hölle auf Erden - Alkoholismus, Gewalt und Hoffnungslosigkeit bestimmen ihr Leben. Jedes dritte Mädchen unter fünfzehn Jahren wurde schon einmal sexuell missbraucht, jeder vierte grönländische Jugendliche hat mindestens einmal versucht, sich das Leben zu nehmen. Würde Grönland als eigenständiger Staat in den Statistiken geführt werden, so wäre es Spitzenreiter in der Selbstmordstatistik.

Kulusuk, Grönland. Bild: Nick Russill. Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Die Verteilung des Reichtums der Insel ist noch ungleicher als in den USA, die Arbeitslosigkeit grassiert und das Bildungssystem ist eine einzige Katastrophe - mit den grönländischen Akademikern könnte man mühelos eine mittlere Stadthalle füllen, nur zwei Prozent der Bewohner haben einen Universitätsabschluss. Ein Grund für die desolate soziale Situation ist die weit verstreute Siedlungsstruktur. Die 57.000 Einwohner verteilen sich auf ein Land, das achtmal so groß ist wie Deutschland. Ohne die rund 400 Millionen Euro, die der ehemalige Kolonialherr aus Dänemark jährlich überweist und die die Hälfte der Wirtschaftsleistung ausmachen, wäre das Land bereits ein "echtes" Entwicklungsland, das formell immer noch zu Europa gehört.

Schneerutschsieg für den grönländischen Leonhard Cohen

Im Jahre 2008 stimmten drei Viertel der Grönländer in einem Referendum für die Teilautonomie. Seit Sommer letzten Jahres entscheidet Kopenhagen nur noch über die Außen-, die Sicherheits- und die Währungspolitik Grönlands. Zeitgleich mit dem Eintritt der Teilautonomie übernahmen die Sozialisten die Regierungsmacht in Grönland und lösten damit die Sozialdemokraten ab, die 30 Jahre regiert und zuletzt nur noch durch Korruption und Veruntreuung von Steuergeldern auf sich aufmerksam gemacht haben. Damit ist Grönland, in einer Zeit, in der der Rest Europas nach rechts driftet, das einzige sozialistisch regierte Land des Kontinents.

Der Erfolg der Sozialisten hat einen Namen, der eng an das Schicksal der Inuit gekoppelt ist. Kuupik Kleist wurde 1958 als Sohn eines dänischen Arbeiters und einer taubstummen Inuit im Norden des Landes geboren. Sein Vater verließ die Familie kurze Zeit später und Kuupik wurde in eine Pflegefamilie gegeben. Da man bei ihm Talent erkannte, wurde er mit elf Jahren zur weiteren Schulausbildung nach Dänemark verfrachtet, obgleich er zu diesem Zeitpunkt kein Wort Dänisch sprach.

Kuupik Kleist. Bild: Inuit Ataqatigiit

Kleist biss sich durch, machte Abitur, studierte, kam nach Grönland zurück und wurde drogen- und alkoholabhängig, wie so viele Grönländer seiner Generation. Doch der Musiker, der wegen seiner rauchigen Stimme als "grönländischer Leonhard Cohen" bezeichnet wird, brachte sein Leben wieder in Ordnung und machte als Sozialarbeiter Karriere. Politisch steht der Sozialistenführer für die Autonomie Grönlands und den Kampf gegen die eklatanten sozialen Probleme des Landes. Bei den Wahlen im letzten Jahr konnten seine Sozialisten ihren Stimmenanteil auf 44% verdoppeln und Kleist wurde nicht nur der erste Sozialist, sondern auch der erste Inuit im obersten Amt des nun teilautonomen Staates.

Die Probleme des Landes sind jedoch eine Herkulesaufgabe für Kleist. Wie soll er dem Land ohne zusätzliche Jobs Hoffnung geben? Woher sollen zusätzliche Jobs kommen, wenn die Menschen miserabel ausgebildet sind? Wie soll man ein Bildungssystem aufbauen, wenn man kein Geld hat? Um diese Problem-Spirale aufzulösen, brach Kleist mit der politischen Tradition der grönländischen Sozialisten, die sich eigentlich als integraler Teil der Umweltbewegung verstanden. Kleist braucht allerdings Geld. Geld für Bildung, Geld für staatliche Programme gegen Kinderarmut, Geld für Sozialarbeit und letztlich vor allem sehr viel Geld, um sich vom Tropf Kopenhagens zu befreien und das geschundene Land in die Selbständigkeit zu führen.

Um an das benötigte Geld zu kommen, ließ Grönland - als erster Staat überhaupt - Ölfirmen in seinem arktischen Hoheitsgebiet Probebohrungen vornehmen. Dabei kommt dem Land zu Gute, dass die Umweltlobby bis jetzt jegliche Explorationsanstrengungen in der US-amerikanischen und kanadischen Arktis verhindern konnte und die Ölfirmen verzweifelt auf der Suche nach den letzten nicht erschlossenen Claims sind.

Big Oil kommt nach Grönland

Forschungen des geologischen Dienstes der USA haben ergeben, dass unter der Arktis rund 90 Milliarden Barrel förderbares Öl liegen - sieben Milliarden davon in der Disko-Bucht zwischen Westgrönland und Kanada. Im Juni dieses Jahres hat die grönländische Regierung die ersten Förderlizenzen für die Disko-Bucht versteigert. Neben den Branchen-Riesen Exxon und Chevron konnte auch der kleinere schottische Konzern Cairn Energy gleich zwei der begehrten Förderlizenzen ersteigern.

Noa Lake. Bild: Hannes Grobe. Lizenz: CC-BY-SA-2.5

Der Rubel rollt jedoch erst dann, wenn die Ölfirmen auch wirklich Öl finden. Um dieses zu finden, hat Cairn Energy vor wenigen Wochen mit den ersten Explorationsbohrungen in der Disko-Bucht begonnen. Man rechnet damit, im August auf Öl zu stoßen. Wenn die Schotten Erfolg haben, könnte dies der Startschuss für eine goldene Ära der arktischen Insel sein, da die sozialistische Regierung bereits im August weitere Lizenzen versteigert.

Wie viel Geld die Ölförderung in die Staatskassen spült, ist unsicher. Grönland ließ sich zwar vertraglich 60% des Gewinns der Ölförderung zusichern, allerdings sorgt die geographische Lage dafür, dass die Förderkosten bei rund 20 US$ pro Barrel liegen werden und nicht einmal sicher ist, wie viele Tage im Jahr in der Disko-Bucht, die rund die Hälfte des Jahres zugefroren ist, gefördert werden kann. Bestätigen sich jedoch die Prognosen, kann das Land bei einem hohen Ölpreis bereits in wenigen Jahren auf Milliardeneinnahmen hoffen.

Ökologische Risiken

Doch der Preis für das schwarze Gold ist hoch. Wie der Unfall im Golf von Mexiko gezeigt hat, geht die Off-Shore-Förderung von Öl immer mit einem hohen Risiko für die Umwelt einher. Käme es in der Disko-Bucht, die nicht zuletzt wegen der dort lebenden Wale das Status des UN-Naturerbes genießt, zu einem Unfall, wären die Folgen katastrophal.

Anders als im Golf von Mexiko gibt es im kalten Wasser Grönlands keine Bakterien, die das Öl natürlich zersetzen. Eine Ölkatastrophe würde daher dieses einmalige Habitat irreparabel zerstören. Die grönländische Regierung wiegelt Bedenken zwar mit dem Hinweis ab, dass man seine Sicherheitsauflagen an denen Norwegens, die als besonders restriktiv gelten, ausgerichtet habe. Aber solch hehre Worte kennt man auch von BP.

Gewinner des Klimawandels

Doch Grönland geht es bei den Explorationsplänen nicht nur ums Geld, sondern auch um die Arbeitsplätze, die die Förderung von Rohstoffen mit sich bringt. Und es geht keinesfalls nur um Öl. Ein britischer Konzern sucht bereits internationale Partner, mit denen er die Förderung von Eisenerz in Grönland beginnen will. Je mehr sich das Eis zurückzieht, desto mehr Rohstoffe können auf der Insel gefördert werden. Neben Öl, Gas und Eisenerz geht es hier auch um Gold, Diamanten, Uran, Zink und Kohle. Aber auch energieintensive Betriebe, wie beispielsweise Aluminiumhütten, haben aufgrund der Möglichkeit, günstigen Strom aus Wasserkraft gewinnen, bereits ihre Fühler gen Grönland ausgestreckt.

Bild: NASA

Aber auch ohne Rohstoffförderung ist Grönland ein Gewinner des Klimawandels. Bereits heute werden im Süden des Landes Gurken und Brokkoli angebaut - da die Inuit für derlei Gemüse keinen eigenen Namen haben, heißen beide Gemüsesorten in der Landessprache schlicht "Salat". Damit endet durch den Klimawandel auch die Tradition der Inuit, was den ökologisch bewegten Europäern nicht unbedingt Kopfschmerzen bereiten sollte, schließlich sind die traditionellen Erwerbsmöglichkeiten der Inuit (Robbenjagd und Walfang) auf dem Kontinent doch eher verpönt.

Dänemark wittert das große Geld

So viele Möglichkeiten, das große Geld zu verdienen, wecken natürlich Begehrlichkeiten bei dem ehemaligen Kolonialherren. Eine Bedingung für die Teilautonomie war es bereits, dass Kopenhagen für jede Krone, die Grönland aus Rohstoffeinnahmen erzielt, 50 Öre weniger transferiert. Das ist durchaus im Sinne der Grönländer, können sie doch erst dann wirklich selbstständig werden, wenn kein Geld mehr aus Kopenhagen fließt.

Doch der Kontinent ist politisch nach rechts gerutscht. In Dänemark duldet die rechtspopulistische Dansk Folkeparti die regierenden Liberal-Konservativen. Ginge es nach der Dansk Folkeparti, die nicht sonderlich viel von der Verantwortung aus der kolonialen Vergangenheit hält, so müssten die Grönländer ihre Rohstoffgewinne mindestens zur Hälfte nach Kopenhagen überweisen, schließlich habe man ja selbst lange Zeit die Grönländer finanziell unterstützt.

Ob Dänemark ein reiches Grönland in die Selbstständigkeit entlassen wird, ist daher keinesfalls ausgemacht. Dank der Aussicht auf eine bessere Zukunft haben sich die Beziehungen zum ehemaligen Kolonialherren jedenfalls bereits merklich abgekühlt.