Grüne Revolution: Heute könnte im Iran der entscheidende Tag sein

Der oberste geistliche Führer hat gewarnt, dass weitere Proteste zu Gewalt und Blutvergießen führen können, alles hängt jetzt von Mussawi ab, ob er heute zur Großdemonstration aufruft oder den Konflikt vermeidet

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Der oberste geistliche Führer Irans, Ajatollah Khamenei, hatte sich gestern in seiner Rede eindeutig [http://twitter.com/mousavi1388 auf die Seite von Ahmadinedschad] gestellt – und dafür auch, wie man sehen konnte, Unterstützung gefunden, durchaus auch bei jungen Menschen. Dass es einen Wahlbetrug gegeben habe könne, wies er mehr oder weniger zurück und sprach den "Wahlverlierern" und ihren Anhängern das Recht ab, ihren Protest weiter auf der Straße zum Ausdruck zu bringen.

Khamenei wollte mit seiner Freitagspredigt versuchen, weitere Proteste zu unterbinden

Wie auch sonst üblich, suchte er den Protest mit Gegnern Irans aus dem Ausland zu verbinden und drohte indirekt, dass diejenigen, die weiterhin auf die Straße gehen, mit entsprechenden Konsequenzen rechnen müssen. Insofern verhält sich US-Präsident Obama höchst vernünftig, sich zumindest offiziell aus dem Konflikt herauszuhalten. Allerdings machte er jetzt auch deutlich, dass die Welt aufmerksam die Geschehnisse im Iran beobachtet, nachdem Khamenei den Oppositionellen die Verantwortung für "Blutvergießen, Gewalt und Chaos" in die Schuhe schieben will.

Allgemein wird die Rede so interpretiert, dass Khamenei die Proteste im Land nun auch mit Gewalt unterbinden und Neuwahlen auf jeden Fall verhindern will. Die Angst ist groß, dass die bisherige Duldung der Proteste das Regime unterminieren könnte, obgleich Mussawi – und auch die anderen Verlierer der Wahlen – höchst systemimmanente Personen sind. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass Mussawi nur ein Türöffner ist, der es ermöglicht, den lange aufgestauten Unmut zu äußern und einen Prozess einzuleiten, der die Islamische Republik mit all ihren alltäglichen Repressionen, zum Einsturz bringt. Khamenei scheint davon auszugehen, dass das religiöse Mullah-System mit Ahmadinedschad stürzen könnte nd hat sich deshalb auf seine Seite gestellt. Allerdings muss man auch sagen, dass dann, wenn Wahlergebnisse von den Verlierern nicht anerkannt werden, jedes demokratisches System seine Grundlage verlieren würde. Das Problem im Iran ist allerdings, dass keiner Institution, beispielsweise dem Wächterrat, vertraut werden kann, auch wirklich massiven Wahlbetrug aufzudecken.

Anhänger des Regimes bei der Freitagspredigt Khameneis

Das Innenministerium hat die für heute angekündigten Proteste erneut verboten. Dieses Mal enthält nach der Rede Khameneis das Verbot die Drohung, dass die Sicherheitskräfte sich nicht mehr zurückhalten werden – oder dass die Basidsch-Milizen, die schon seit Beginn Gewalt zu provozieren suchten, nun endgültig losgelassen werden. Die Milizen, die brutal mit Duldung der Regierung vorgehen, könnten zur eigentlichen Waffe des Systems werden, da dann die uniformierten Sicherheitskräfte der Polizei und des Militärs außen vor bleiben. Offensichtlich ist man sich nicht sicher, wie weit man diesen trauen kann. Es kursieren immer wieder Gerüchte, dass Offiziere festgenommen wurden. Zudem würde, was die Teilnehmer an den Protesten auch durch das Ritual, von den Dächern Allah Akbar zu rufen, evozieren, der Aufmarsch uniformierter Kräfte an die Zeit der Revolution erinnern.

Vermutlich wird der heutige Tag wesentlich darüber entscheiden, wie es im Iran weiter gehen wird. Fast alles hängt von Mussawi ab. Wenn er die Proteste abbläst, wird er die Dynamik und Einheit der Protestbewegung brechen. Ruft er ungeachtet der Warnung weiter dazu auf, riskiert er ein Blutbad, aber die Protestbewegung könnte auch gestärkt werden, egal wie sich das Regime verhält. Greift es massiv ein, könnte sie sich radikalisieren, duldet es wieder die Proteste, erweist es sich als schwach, wodurch auch die Ängstlicheren mehr Mut erhalten, aus dem Schatten zu treten.

Nach einem mit Mussawi verbundenen Twitter-Account will dieser nicht einknicken. Angeblich rufen er, der ehemalige Präsident Khatami und der Präsidentschaftskandidat Karubi zu einer weiteren Großdemonstration "zu einem entscheidenden grünen Protest" um 16 Uhr Ortszeit in Teheran auf.

Wie gespalten die Situation zeigen auch die iranischen Medien. Beispielsweise berichtet der Sender PressTV für iranische Verhältnisse relativ neutral, er berichtet vor allem auch über die Aktivitäten der Opposition. So wird auch über eine Petition berichtet, die von 75 wichtigen Persönlichkeiten, darunter auch Geistliche, unterschrieben wurde und fordert, dass die Gewalt gegen die Protestbewegung sofort eingestellt werden müsse. Zudem heißt es, dass die nach Recht und Gerechtigkeit verlangenden Stimmen gehört und ihre rechtmäßigen Forderungen erfüllt werden müssten. Der offiziell unterlegene Präsidentschaftskandidat Karubi ruft unterdessen ebenfalls zu Neuwahlen auf.