Grüne wollen Online-Einkauf am Sonntag regulieren

Postkarte um 1900

Bestellungen sollen erst am Montag darauf bearbeitet werden

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Im Alten Testament heißt es im Zweiten Buch Mose 23:12: "Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber des siebenten Tages sollst du feiern, auf dass dein Ochs und Esel ruhen und deiner Magd Sohn und der Fremdling sich erquicken." Deutlicher dazu wird das Zweite Buch Mose in 31:15, wo geschrieben steht: "Wer eine Arbeit tut am Sabbattag, der soll des Todes sterben." Kaiser Konstantin und Papst Silvester I. verlegten den "Tag des Herrn" 325 vom Samstag auf den Sonntag. Wer dessen "Ruhe" störte, wurde im Mittelalter zwar nicht mehr mit dem Tode, aber mit teils erheblichen Geldbußen bestraft. In Deutschland und einigen anderen Ländern gibt es deshalb heute noch Ladenöffnungsverbote an Sonntagen.

Die Bild am Sonntag veröffentliche am Pfingstwochenende die Ergebnisse einer repräsentativen Emnid-Umfrage anlässlich der kurz vorher von den Kaufhausketten Kaufhof und Karstadt ins Leben gerufenen Initiative Selbstbestimmter Sonntag. Danach befürwortet lediglich eine Minderheit von 39 Prozent den aktuell geltenden staatlich verordneten Ladenschluss am Sonntag, während 61 Prozent der Deutschen dafür sind, die Geschäfte selbst entscheiden zu lassen, ob sie öffnen oder nicht.

Unterschiedliche Wege der Gleichstellung: Liberalisierung und Verbot

Bei den Parteien fanden die Initiative und die Ergebnisse der Umfrage unterschiedlichen Rückhall: Die FDP begrüßte die in ihrem Wahlprogramm enthaltene Forderung, dass nicht nur Tankstellen und Backereien am Sonntag öffnen dürfen. Parteichef Christian Lindner begründete das mit einem "veränderten Einkaufsverhalten der Menschen": "Der Handel", so der Bundesvorsitzende der Liberalen, brauche "gegenüber der Online-Konkurrenz faire Bedingungen, sonst sterben die Innenstädte". Bekomme er diese Bedingungen, könne er auch Arbeitsplätze schaffen.

Die niedersächsischen Grünen möchten dagegen nicht nur am sonntäglichen Ladenschluss festhalten, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeiten zum Online-Einkauf am Tag des Herrn einschränken (vgl. Niedersachsens Grüne wollen Online-Handel am Sonntag einschränken) - zur "Verteidigung des Sonntags" und um die Wettbewerbsbedingungen von Offline- und Online-Handel anzugleichen. Über einen Änderungsantrag, der das in ihrem Landtagswahlprogramm festschreiben soll, entscheiden 191 Delegiere am Wochenende auf einem Parteitag in Wolfenbüttel.

Verstärkter Automatisierungsdruck

Am gleichen Tag, an dem diese Meldung durch die Sozialen Medien ging, twitterte der FAZ-Blogger Don Alphonso, er sei "oft erstaunt, wie frühere Hedonisten im Alter bigott werden": "Früher gingen sie dazu zur CSU, jetzt zu den Grünen." Ganz so verzichtsideologisch, wie er auf den ersten Blick aussieht, ist der Grünen-Vorschlag aber nicht: Bestellen sollen Kunden weiterhin auch an Sonntagen dürfen - aber die Bearbeitung durch Menschen soll erst am Montag darauf erfolgen (was freilich eine eventuell spätere Lieferung zur Folge hat). Damit verstärkt die Ökopartei (womöglich, ohne sich dessen voll bewusst zu sein) den Automationsdruck: Denn wenn ein Roboter die Ware aus dem Lager holt, verpackt, versendet und vielleicht sogar noch ausliefert, dann muss kein Mensch am Sonntag im Versand arbeiten. Und wenn diese Technik rund läuft, auch nicht am Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag.

Möglicherweise sind die Grünen hier tatsächlich etwas weltfremd, wie unter anderem das ehemalige Piraten- und FDP-Mitglied Ali Utlu meint: Nicht nur, was die technischen Möglichkeiten und die Abläufe im Versandhandel im 21 Jahrhundert betrifft, sondern auch bezüglich der Verbraucher: Während sich früher Vollzeit-Hausfrauen um Einkäufe von den Haushaltswaren bis hin zur Herrenbekleidung kümmerten, bleibt heute, wo meist beide Partner berufstätig sind, oft nur mehr der Sonntag, um Vor- und Nachteile von Angeboten ausgiebig zu studieren. Entsprechend wenig überrascht, dass der Grünen-Vorstoß auch bei Verbrauchern in Sozialen Medien nicht gut ankam.

Dynamische Preisgestaltung

Zudem nutzen Online-Händler wie Amazon dynamische Preisgestaltung, was dazu führt dass Produkte je nach Uhrzeit, Wochentag, Hardware und Software billiger oder teurer sein können (vgl. Amazon-Deutschland-Chef bestätigt unterschiedliche Preise). Viele Kunden sind sich dessen bewusst, beobachten die Preise über eine Woche hinweg und bestellen dann, wenn es ihnen am günstigsten erscheint. Andere nehmen bewusst höhere Preise in Kauf, weil sie damit Zeit sparen. Ob der Grünen-Vorstoß daran etwas ändern würde, wenn er verwirklicht wird, ist offen.

Amazon war für eine Stellungnahme dazu nicht erreichbar und verkündete stattdessen, dass die Amazon-Prime-Mitgliedschaft mit kostenlosen Versandoptionen, Videostreaming und Zugang zum Lebensmittellieferservice für Geringverdiener, die in den USA Anspruch auf staatliche Lebensmittelmarken haben, statt 10,99 nur noch 5,99 Dollar monatlich kosten soll. Das gilt als Schritt, um dem Offline-Einzelhandelskonkurrenten Walmart, bei dem viele US-Geringverdiener ihre Lebensmittelgutscheine einlösen, weitere Marktanteile abzunehmen (vgl. Amazon macht Walmart mit Rabatten für arme US-Bürger Konkurrenz).

Lesen Sie dazu auch den Test in der aktuellen c't: AmazonFresh, Rewe und Co. - So gut sind die Lebensmittelbringdienste

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