Hack your body!

Geeks im Diät-Fieber

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Über den Neuro Evolutionary Rostral Developer hat die Welt schon viel Spott ausgeschüttet (ohne ihn übrigens zu treffen, denn er hat ja, heißt es, seine eigene Welt), der Nerd, Anorak, Train-spotter, Space-cadet, Card-board, Cut-out, Geek, Oddball, Weirdo, Bufty, Cybrarian oder Geezer - er sei, so die Klischees, ein Gerät, das Kaffee in Behauptungen umwandelt und erst Notiz von dir nimmt, wenn du es direkt ansprichst, ein unförmiges, ohne Sehhilfe so gut wie blindes Wesen, das vermurkste CD-Rohlinge als Untersetzer benutzt, nicht schläft, sondern einen Energiesparmodus hat, sich zweidimensional ernährt, weil man kalte Pizza und Käsescheiben unter der Tür durchschieben kann, und eine große Nonchalance gegenüber jeder Form von Körperpflege walten lässt - dies alles mache den Nerd aus und zudem sei er noch ein high functioning Autist (vgl. Die Geek-Autismus-Connection)

Das Register der ihm anhängenden Klischees hat sich um ein weiteres verlängert: Der Nerd hat nämlich seit neuestem, glaubt man einem Artikel in Salon.com, eine neue Leidenschaft entdeckt: das Abnehmen. Eine Leidenschaft, die ihm mehr auf den Leib geschnitten ist, als man es zunächst vermuten würde. Der Weg vom Computer zum Bett verbrennt wenig Kalorien und beide Orte ziehen Fast- und Junk-Food geradezu magisch an.(Supersize-Terror). Was jedoch passiert, wenn der Geek auf die Idee kommt, neben dem Computer auch noch andere Maschinen zu programmieren, zum Beispiel seinen Körper? Er macht eine Hacker-Diät. Auf verschiedenen Computerkonferenzen soll das erste Gerede losgegangen sein. ("Schaut mal, Doctorow hat mindestens 35 Kilo abgenommen, wie schafft der das?"). Das Hackertreffen als Tauschbörse für Diättipps?

Schwer vorzustellen, aber so und nicht anders muss es gewesen sein. Laut Salon heißt der Guru der Geeks Atkins. Die Atkins Diät fußt auf der Theorie der "bösen Kohlenhydrate". Fett und Eiweiß - also etwa Fleisch, Käse und Saucen - darf in beliebigen Mengen gegessen werden. Verboten sind Brot, Kartoffeln, Nudeln und Reis. Die Diät soll den Stoffwechsel verändern, so dass der Körper - quasi überlistet - viel mehr verbrennt als bei einer normalen Diät, wodurch man wiederum viele Kalorien essen kann und trotzdem abnimmt. Dr.Atkins Diet Revolution verkauft sich fast so gut wie Harry Potter. Die kurze Zauberformel: "Cutting carbs". Anders gesagt: Auf Computermessen geht der "Low-carb-virus" um. Und wer sich diesen Virus holt, sieht ihn als "cleveren Hack, als schlauen Algorithmus" (Salon).

Es ist, als würdest du ein Sicherheitsloch in deinem eigenen Körper entdecken

Mike Godwin

Liest man alt.support.diet.low-carb, wird man auf Menschen stoßen, die ihre Körper angehen wie ein Logik-Board. Ersetzt man "schnellere Bus Speed" durch "Stoffwechsel", dann hat man etwas, das ziemliche Ähnlichkeit mit einem overclocking FAQ hat.

Cory Doctorow

Das "low-carb thing" ist ein Versuch, Kontrolle über den Stoffwechsel zu erlangen, ganz ähnlich wie Coder, Geeks und Hacker ihren Code frisieren, damit ihre Maschinen besser laufen.

Sean Sosik-Hamor, der seinen Eat WatchTM Monthly Log Index ins Netz gestellt hat
Grafik aus The Hacker's Diet

Das Buch The Hacker's Diet erweitert zwar seine Zielgruppe auf die "Bleistift-und-Papier-Menschen" mit dem beruhigenden Satz "Sie brauchen keinen Computer, um abzunehmen", doch gleich darauf heißt es: "Wenn Sie einen Computer haben, werden Sie merken wie sehr er die Sache erleichtert." Na klar, das wissen wir doch. Da haben wir Zahlenspiele, griffige Grafiken, automatische Kalorienzähler, Fortschrittsreports und Charts, das ganze Gewichtsmanagement eben.

Warum gerade Atkins den Geeks so liegt, das liegt auch daran, dass er so unkonventionell wie umstritten ist. Ziel ist bei Atkins, den Zustand der Ketose zu erreichen. Als Ketose bezeichnet man ein Phänomen, bei dem der Körper aufgrund seines Kohlenhydratmangels gezwungen ist, Körperfette in Ketonkörper umzuwandeln, die dem Gehirn dann als Nahrung dienen. Der erhöhte Gehalt an Ketonkörpern im Blut ist jedoch eine durchaus pathologische Erscheinung, auch wenn er von den Atkins-Jüngern als "benigne Diät-Ketose" bezeichnet wird. Aber gerade diese etwas grusligen Konnotationen der Ketose wie "verhungern" oder " pathologisch" scheinen den Computerfreaks zu gefallen. Er sei sicher, so Sosik-Hamor, dass das low carb system ein perfektes Beispiel sei, wie man den eigenen Körper hacken könne.

Vielleicht bekommen wir in 20 Jahren alle einen dritten Arm und werden blind. Schwer zu sagen. Aber es entspricht der Herangehensweise des Hackers, die mehr auf Rumprobieren beruht als auf Wissenschaft.

Doctorow