Hacker und Aufmerksamkeitsökonomie

Zu Eric Raymonds Kultur des Schenkens

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Das Internet wurde bekanntlich wesentlich von Menschen geschaffen, die freie Software entwickelt und an andere verschenkt haben. Geistiges Eigentum war oft nicht an Geld gebunden, und die "Geschenke" von Software lieferten nicht nur funktionierende Programme, sondern forderten auch dazu auf, an diesen selbst weiterzuarbeiten, um so möglicherweise wieder etwas an die Gemeinschaft zurückgeben zu können. Und es gab von Anfang an kooperative Strukturen, durch die Programme geschaffen - und natürlich Informationen und Wissen aller Art ausgetauscht wurden.

Eric Raymond, der jüngst durch die Veröffentlichung der internen Strategiepapiere von Microsoft über freie Software und Linux große Aufmerksamkeit erregte und dessen neuer Begriff Open Source für freie Software sich durchzusetzen beginnt - O'Reilly & Associates haben auf seine Anregung eine Open Source Conference für nächstes Jahr angekündigt - , hat sich mit Homesteading the Noosphere auch an eine Theorie über die sozialen Strukturen und die Ökonomie der "Kultur des Schenkens" gewagt, die über die virtuelle Gemeinschaft der Hacker hinaus durchaus allgemeine Aussagekraft für die möglicherweise neuen Grundlagen der auf den Netzen basierenden Informations- oder Wissensgesellschaft haben könnte.

Seine Ausführungen sind überdies „ethnologisch" interessant, weil sie den Versuch markieren, wie eine sich als Gegenkultur verstehende, lose zusammenhänge Gruppe von individualistischen „Techies" marktfähig werden und sich als Elite inszenieren will. Wie stets ist die Ideologiekritik selbst der Ausbau einer neuen Ideologie, die das „alte" Selbstverständnis umbauen will. Die Umbenennung der „freien Software" in „offenen Quellcode", die Raymond vornimmt, soll nicht nur durch Propaganda das Mißtrauen der kommerziellen Welt in die Hackerkultur ausräumen, sondern zugleich auch deren Selbstverständnis verändern, auch wenn in der Praxis alles beim Alten bleiben soll. Jetzt sollen sich die Angehörigen dieser Kultur nämlich als die eigentlichen Gewinner verstehen. Und weil die Erscheinung alles sei, würden neue Begriffe, die vorgeben, daß „wir" von den Barrikaden heruntergehen und mit der kommerziellen Welt zusammenarbeiten, genauso viel zählen, wie die „Realität unseres Verhaltens, unserer Überzeugungen und unserer Software". Durch diesem Trick könne man in der bislang feindlichen Welt reüssieren, ohne sich anpassen zu müssen: Wir bleiben uns treu, inszenieren uns nur anders und beuten die anderen aus. Das ist so, als könne man sich die Position eines Feldherrn auf dem Hügel bewahren, der aus der Distanz die Schlacht steuert und auch als Gewinner unverändert aus ihr hervorgeht.

Allerdings ist sein eher theoretischer Ansatz in diesem Essay, trotz mancher utopischer Hoffnungen und historischer Legitimierungsversuche, motiviert von der Fragestellung, wie eine von der kommerziellen „Kathedralenkultur" abweichende (Gegen)Kultur - die der Hacker, die Lust an der Lösung von Problemen, am Schreiben von eleganten Programmen, am Aufspüren von bugs und an anwendungsfreundlichen Programmen haben, aber nicht in autoritäre Strukturen eingebunden sein wollen - auf derselben ökonomischen Grundlage erfolgreich sein könne. Man will gewissermaßen nicht mehr Außenseiter bleiben, sondern mit den Eigenschaften und Verhaltensweisen der eigenen Kultur die „etablierte" Kultur übertrumpfen. Das mag dann nur wieder eine andere Geschäftsidee im Rahmen derselben Grundstrukturen sein, also die Idee zu verfolgen, einen ähnlichen Erfolg wie Bill Gates zu erzielen - nur eben auf eine andere und natürliche bessere Weise. Die vielbeschworene Kooperation wäre dann letztlich nur ein Trick, die Zeit und Kompetenz von Menschen einzufangen, um als deren Führer einen größeren Erfolg zu erzielen, als man dies alleine oder mit einer der in der Wirtschaft üblichen mehr oder weniger hierarchischen Organisationsformen geschafft hätte.

Doch zu diesen Widersprüchen am Schluß, die im wesentlichen mit der paradoxen Position vieler Angehöriger der Cyberkultur zu tun haben, die von Barbrook und Cameron unter dem Titel der kalifornischen Ideologie beschrieben wurden und letztlich auf den liberalen Glauben zurückzuführen sind, daß der von staatlicher Regulation weitgehend abgelöste freie Markt gleichzeitig auch die Freiheit der Bürger fördert und sichert.

Die Kultur des Schenkens

Schon des längeren hat man von einer "Kultur des Schenkens" gesprochen, die das Internet, zumal in seiner Anfangsphase, ausgezeichnet habe. In ihrem Zentrum stehen jene Menschen, die man Hacker nennt. Ihrer aus eigenem Antrieb erfolgenden und unbezahlten Arbeit verdankt sich etwa das Internet (z.B. TCP/IP), das Betriebssystem Unix, das Usenet oder das World Wide Web - und neuerdings neben Apache das Betriebssystem Linux, das allmählich zu einer Alternative zu Windows werden könnte. Aufgrund des scharfen Konkurrenzdrucks seitens Microsoft hat etwa Netscape, durch den für die Offenlegung des Quellcodes argumentierenden Artikel The Cathedral and the Bazaar von Eric Raymond angestoßen und nicht wie Microsoft nach Abwehrstrategien Ausschau haltend, den Quellcode seines Browsers veröffentlicht und dazu aufgefordert, an dem Programm weiterzuarbeiten.

Das kam nicht nur überraschend, sondern galt als Eingeständnis, daß die kooperative Kultur der einst als extrem individualistisch geltenden Hacker besonders mit dem Internet untrennbar verbunden und für weitere Fortschritte auch notwendig ist. Aus den Erfahrungen des Wissensaustausches durch die Kultur des Gebens entstand und entsteht auch die Hoffnung, daß sich aus dieser Gegenkultur zum privatwirtschaftlichen, auf Profit orientierten und das "geistige Eigentum" als Ware sichernden Kapitalismus so etwas wie eine Noosphäre (Teilhard de Chardin), eine kollektive Intelligenz oder gar ein globales Gehirn herausbilden könnte. Raymond verwendet zwar den Begriff der Noosphäre, versteht aber letztlich darunter nur einen von den meisten Schranken befreiten Markt, auf dem Gruppen gelegentlich kooperieren, um besser aus egoistischen Motiven heraus eine Nische zu besetzen und Konkurrenten zu besiegen.

Interestingly enough, you will quickly find that if you are completely and self-deprecatingly truthful about how much you owe other people, the world at large will treat you like you did every bit of the invention yourself and are just being becomingly modest about your innate genius. We can all see how well this worked for Linus!

Eric Raymond

Ökonomien und darauf aufbauende soziale Ordnungen werden in aller Regel auf den Umgang mit dem Mangel zurückgeführt. Wer Macht hat und in der sozialen Hierarchie oben steht, hat einen größeren Zugriff auf Ressourcen, der wiederum Macht sichert und soziale Anerkennung verschafft. Raymond unterscheidet ein wenig sehr komplexitätsreduzierend drei grundsätzliche verschiedene gesellschaftliche Modelle. Die auf Macht basierende Hierarchie, in der die Ressourcenverteilung zentral erfolgt und die Ordnung mit Gewalt aufrechterhalten wird. Die Tauschökonomie, in der die Verteilung dezentral durch Handel und freiwillige Kooperation geschieht, also der freie Markt, an dem die hierarchischen Modelle Militär, organisiertes Verbrechen und Regierung als Parasiten teilhaben. Auf "Feinheiten", also daß demokratische Regierungen aufgrund eines Gesellschaftsvertrages Repräsentanten eines Gemeinwesens sind oder sein sollen, die den allgemeinen Willen zum Ausdruck bringen und an deren Funktionen die Mitglieder einen Teil ihrer Macht abtreten, läßt sich Raymond nicht weiter ein. Darin zeigt sich eine für die (amerikanische) Cyberkultur typische Mischung aus - auch marktwirtschaftlichen - Liberalismus und Anarchismus, obgleich er am Ende seines Aufsatzes andeutet, daß die Hackerkultur möglicherweise allmählich auch aus dem Naturzustand einer Gegenbewegung zu einer Kultur mit kodifizierten Regeln, also einem Gesellschaftsvertrag, übergehen könnte, um die internen Konflikte zu regeln. Dazu aber später mehr.

Und als dritte Variante führt er die Kultur des Schenkens an, die sich für ihn nicht mehr auf der Grundlage der Knappheit, sondern des Überflusses aufbaut. Ganz ähnlich sieht auch Goldhaber die Aufmerksamkeitsökonomie, die allerdings für ihn Schritt für Schritt - wie einst der Kapitalismus den Feudalismus - die geldbasierte Industriegesellschaft ablöst. Für Raymond gibt es die Kultur des Schenkens, in der Kompetenz gegen Prominenz ausgetauscht und soziale Anerkennung oder Bewunderung akkumuliert wird, sozusagen auf den auch im Aufklärungszeitalter beschworenen glücklichen Inseln der guten Wilden, d.h. in Eingeborenenkulturen, die in Ökonomischen mit mildem Klima und Nahrungsüberfluß leben. Wer nicht um das Überleben kämpfen muß, kann geben. Auch in den privilegierten Schichten unserer Gesellschaft gäbe es außerhalb der Hackerkultur solche sozialen Schichten, die entweder besonders reich sind oder wie die Prominenz aus dem Showbusiness reich und prominent ist. Ohne Mangel würden Austauschbeziehungen zu einem sinnlosen Spiel, kauft man durch öffentlich inszenierte Verschwendung des nicht Benötigten Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Aber in beiden Fällen trifft die Charakterisierung wohl nicht zu, zumal Raymond überdies noch den, vor allem seit Marcel Mauss berühmten Potlach als Vergleich heranzieht (Die Gabe, 1923-24). Spenden, wie sie reiche Menschen geben, sind zwar ein Geschenk und motiviert möglicherweise vom Versuch, darüber soziale Anerkennung zu erwerben, aber sie übergeben kaum jemals jenes Eigentum oder jene Produktionsmittel, die den materiellen Reichtum erzeugt haben. Sicher, mittlerweile gibt es in der aufklaffenden Schere zwischen Reichen und Armen auch eine Art Wettkampf der Superreichen, wer am meisten gibt und daher auch am meisten Aufmerksamkeit erwirbt. Doch wenn etwa Ted Turner eine Milliarde Dollar an Wertpapieren, die heute wahrscheinlich nicht mehr soviel Wert sind wie zum Zeitpunkt ihrer Schenkung, der UN schenkt, so entspricht das wohl nicht der Kultur des Schenkens innerhalb der Hackerkultur, wenn ein Programm, mit dem sich möglicherweise wie im Fall Gates Milliarden verdienen läßt, der Öffentlichkeit kostenlos angeboten wird, wodurch man sich zunächst nur in einem kleinen Kreis Anerkennung verschafft und durch diese Gabe möglicherweise hofft, später indirekt Geld verdienen zu können. Damit der Vergleich zutreffender wäre, hatte Turner CNN der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, als er den Sender noch in seinem Besitz hatte.

Auch die guten Wilden im milden Klima und Nahrungsüberfluß sind eine Fiktion. Der Potlach ist in Stammesgesellschaften, die in keiner Weise mit den losen, oft nur über Telekommunikation verbundenen Gemeinschaften der Hacker zu vergleichen sind, kein freiwilliger Akt, sondern eine Verpflichtung gewesen, die mitunter den Gebenden in den Ruin gestürzt hat. Zudem waren die Gaben nicht nur in eine Tauschbeziehung von Kompetenz und Anerkennung eingebunden, sondern sie dienten auch dem Machterhalt, weil Geschenke Verpflichtungen sind, die man zurückzahlen muß - und nicht bloß kann. Das germanische Wort Gift, das Gabe und auch Gift bedeutet, weist deutlich auf die Gefahr von Geschenken für den Beschenkten hin. Zwar stiften Software-Gaben auch Gruppen, erzeugen soziale Anerkennung und auch eine gewisse Macht für den Schenkenden, aber sie werden nicht unmittelbar machtstrategisch eingesetzt, um Bündnisse zu schließen oder den Frieden zu sichern. Während die Hackerkultur sozusagen dauerhaft im Naturzustand verharrt, solange ihre Mitglieder nicht in den freien kapitalistischen Markt überwechseln, sind alle Stammesgesellschaften hochgradig geordnet - und Schenkungen in ihnen sind stark geregelt.

Marcel Mauss etwa führt den Potlatch auf geregelte Beziehungen zwischen sich ergänzenden Clans, vor allem aber auf antagonistische Wettkämpfe zurück. Der Potlatch ist ein Fest, das bei nordamerikanischen Indianern, die an der Küste lebten, oft während des ganzen Winters stattfand und zu dem sich der gesamte Stamm traf. Bemerkenswert an diesen Stämmen sie, so Mauss, "das Prinzip der Rivalität und des Antagonismus ... Man geht bis zum offenen Kampf, bis zur Tötung der Häuptlinge und Adligen, die sich gegenübertreten. Und andererseits geht man bis zur rein verschwenderischen Zerstörung der aufgehäuften Reichtümer, um dem rivalisierenden Häuptling, der zugleich ein Verwandter sein kann, den Rang abzulaufen." Der Häuptling vertritt dabei den gesamten Stamm, weswegen Mauss die verschwenderische Gabe auch als "totale Leistung" in einem "Eigentumskrieg" kennzeichnet. Es geht zwar einerseits um die Ehre oder das Prestige, das man durch die Gabe erhält, aber eben auch um die Verpflichtung, die Gabe - eine Art Darlehen mit Zinsen in einer gewissen Frist zu erwidern, wenn man nicht Ansehen, Autorität oder sein Gesicht verlieren will. Die Rückgabe erzeugt selbstverständlich erneute Verpflichtungen.Viel schenken zu können, beweist Reichtum und daher Glück oder Gunst der Götter. Überdies ist es in Stammesgesellschaften auch verpflichtend, Geschenke zu machen - und sie anzunehmen. Eine Gabe nicht anzunehmen heißt, sie nicht zurückgeben, die Herausforderung nicht annehmen zu können, also verloren zu haben. Das erst macht den sozialen Zwang oder den Gesellschaftsvertrag dieser Art einer Kultur des Schenkens aus, die für Mauss einem Spiel vergleichbar ist, bei dem auf Gewinn und Verlust sozialer Anerkennung gesetzt wird.

Für Georg Francks Ausführungen zur Ökonomie der Aufmerksamkeit ist zunächst nicht Mangel, sondern Knappheit Grundlage in der Wertschöpfung der Aufmerksamkeit, deren Markt für ihn heute einen „mentalen Kapitalismus" bildet, der von einer Kultur des Schenkens weit entfernt ist. Aufmerksamkeit wird dann knapp als Ressource, wenn die Menge der Angebote über die Kapazität der Aufmerkenden ansteigt. Dann setzt nicht nur eine Konkurrenz um Aufmerksamkeit ein, sondern wird die Organisation der Aufmerksamkeitsattraktion selbst zum Geschäft, wodurch Prominenz indirekt zu einer Einkommensquelle mutiert und gesellschaftliche Ressourcen aufschließt. Weil aber Aufmerksamkeit auf grundsätzlich notwendiger gegenseitigen Beachtung beruht, der mentale Kapitalismus hingegen einzig auf Akkumulation von Aufmerksamkeit im freien Markt aus ist, plädiert schließlich Franck für ein im Tausch der Aufmerksamkeit bereits angelegtes, von der Ökonomie aber überformtes „Ideal der moralischen Eleganz" durch eine Vervollkommnung des zwischenmenschlichen Austausches. Kooperationen stellen so eine Schnittstelle zwischen Ökonomie und Ethik dar.

Die Hackerkultur, wie sie Raymond schildert, löst in gewissem Maße diese Kooperation als Grundschicht ein. Zwar geht er nicht auf die näheren Lebensumstände der Hacker ein, setzt aber Überfluß an den „Lebensnotwendigkeiten" - Speicherplatz, Bandbreite und Rechenkapazität sowie freie Software - voraus. „Dieser Überfluß", so glaubt er, „schafft eine Situation, in der das einzige vorhandene Maß für Wettbewerbserfolg die Anerkennung unter den Kollegen ist." Was er dabei vergißt, ist die Notwendigkeit frei verfügbarer Zeit, die man in die Arbeit stecken kann, ohne dafür in einer immer noch auf der Geldökonomie basierenden Gesellschaft unmittelbar entlohnt zu werden. Voraussetzung für die Teilnahme an der Hackerkultur des Schenkens ist also relativer Reichtum an verfügbarer Zeit und meist auch an finanziellem Einkommen, das die Freiheit der Zeit ermöglicht - oder aber eine Leidenschaft, in dieser Kultur Anerkennung auf Kosten vieler anderer Tätigkeiten neben der Erwerbsarbeit zu erlangen, in der man nur selten für das Schreiben von Programmen bezahlt wird, die frei verteilt werden.

Hacker begegnen sich schließlich auch gelegentlich bei Konferenzen, stehen aber oft nur in Telekontakten. Das unterscheidet sie von etwaigen Stammeskulturen. Und weil bei ihnen die Arbeit, das gekonnte Hacken, im Vordergrund steht, auf dem sich Kooperation und gegenseitige Anerkennung aufbauen, bleibt sie auch das soziale Bindeglied. Wenn Raymond sagt, daß die Selbstanpreisung oder das Sich-Brüsten auch deswegen in der Hackerkultur des Schenkens verpönt sei, weil es einem Rauschen gleiche, das die wichtigen Signale aus den "Experimenten in kreativem und kooperativem Verhalten" störe, und daß die Toleranz gegenüber Rauschen wegen der Kommunikationskanäle, mit denen die Hacker meist in Verbindung stehen und die kaum emotionale Einzelheiten transportieren können, geringer als in anderen Kulturen des Schenkens sei, so verkennt er doch, daß Anerkennung oder Aufmerksamkeit, zumindest am Anfang, wohl kaum direkt erwerbbar ist.

Sicher, Prominente sind ein typisches Beispiel für eine rekursive Wertschöpfung, für ein "sich selbst heckendes Kapital", das sich ab einem gewissem Punkt - vermutlich auch in der Hackerkultur - nur vermehren kann, auch wenn kaum mehr eine Leistung und schon gar keine neue geschaffen wird. Irgendwann reicht Präsenz, wodurch der Prominente Aufmerksamkeit auf andere/anderes übertragen kann - und dafür auch eingespannt wird, was ihm schließlich auf jeden Fall Einkommen verschafft. Doch der Erwerb von Prominenz geschieht über den Umweg irgendeiner Leistung, vielleicht auch nur einer Eigenschaft oder einer Gabe eines Menschen, die in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten als wertvoll und knapp erscheint. Die Fans, die sich mitreißen lassen, wachsen in ihrer Anzahl mit der über weitere Leistungen erworbenen Aufmerksamkeit, damit selbstverständlich auch die Neider und Kritiker. Auch ein Schauspieler, selbst ein Model, das nur einen schönen Körper besitzt, muß wie ein Sportler, ein Politiker, ein Schriftsteller oder ein Verbrecher etwas leisten, um im Markt der Aufmerksamkeit, d.h. in den vielfältigen Nischen der Prominenz, aufzufallen, wodurch erst Aufmerksamkeit, die es auch in der negativen Variante gibt, akkumuliert werden kann. Globale Prominenz - sozusagen auf allen Kanälen - ist im globalen Zeitalter natürlich nur schwer zu erringen. Gleichwohl ist erst heute mit den Medien möglich, ein Aufmerksamkeitseinkommen zu erzielen, das manchmal von Milliarden Menschen erbracht wird, deren Gegenleistung nicht nur in erbrachter Aufmerksamkeit liegt, sondern auch in der Nachahmung des Vorbilds.

Hacker

Ich denke, die größte Möglichkeit der computergestützten Konferenzsysteme liegt darin, Gruppen von Menschen die Fähigkeit eines 'kollektiven Gehirns' zu verleihen ... Im Prinzip zeigt sich in der erfolgreichen Zusammenarbeit einer Gruppe eine größere Intelligenz, als sie jeder einzelne ihrer Mitglieder besitzt.

Murray Turoff, 1976

Hacker, so Eric Raymond, lösen interessante Probleme und erschaffen etwas, und sie glauben an Freiheit und freiwillige gegenseitige Unterstützung. (Der CCC: "Ein Hacker wird man durch eine kreative Lebenseinstellung und technisches KnowHow.") Hacker sind anti-autoritär, aber konstruktiv eingestellt, selbst oder gerade wenn sie Mängel aufdecken, Cracker hingegen sind jene Menschen, die in Computersysteme einbrechen und für Hacker als "faul, unverantwortlich und nicht sehr intelligent" gelten. Um ein Hacker zu werden, braucht man nicht nur die notwendige Einstellung, sondern vor allem die Kompetenz zum Programmieren. Man kann sich nicht einfach Hacker nennen, sondern man erwirbt gewissermaßen durch seine Werke, die man, am besten mit dem Quellcode, der Öffentlichkeit und vor allem der Gemeinschaft der Hacker zur Verfügung stellt, den Status eines Hackers. Nur Ebenbürtige können die Kompetenz wirklich beurteilen. Neben dem Schreiben von nützlichen Programmen könne man in der Hackerkultur auch durch Testen und Fehlerkorrektur von freier Software, durch das Veröffentlichen nützlicher Informationen oder durch das Aufrechterhalten der Infrastruktur (Verwalten von Mailing-Listen, Moderation von Newsgroups, aktualisierte Software-Archive etc.) Anerkennung gewinnen.

Der Chaos Computer Club ist eine globale Gemeinschaft, die sich grenzüberschreitend für Informations- sowie Kommunikationsfreiheit ohne Zensur von Staat und Industrie einsetzt, sich mit den Auswirkungen von Technologien auf die Gesellschaft sowie das einzelne Lebewesen beschäftigt. Das Wissen um diese Entwicklung wird vielfältig gefördert und ist in der Praämbel der Satzung des Vereins dokumentiert. In einzelnen Projekten setzen engagierte Mitglieder und Freunde des CCC diese Ziele eigenverantwortlich um.

Wer ist der CCC?

Ganz entscheidend aber ist für Raymond, daß die Hackerkultur unmittelbar nicht mit der Geldökonomie verbunden ist, sondern primär auf Anerkennung und auf einer Kultur des Schenkens aufbaut, auch wenn indirekt diese auf Kompetenz beruhende Prominenz oft in Geld umgesetzt werden und eine Karriere eröffnen kann. Selbst wenn Hacker einsam arbeiten, sei diese soziale Anerkennung eine der wesentlichen Motivationen der Arbeit. "Man erwirbt Status und Anerkennung nicht durch Herrschaft über andere Menschen und nicht dadurch, daß man schön ist oder Dinge besitzt, die andere nicht haben, sondern indem man etwas hergibt, insbesondere die eigene Zeit, die eigene Kreativität und die Produkte der eigenen Fähigkeiten."

Widersprüche zwischen Selbstverständnis und Wirklichkeit

Allerdings sieht Raymond zwischen der "wirklichen" Motivation der Hacker sowie der Struktur der Ökonomie des Schenkens und der "offiziellen Ideologie" eine Kluft. Ideologisch gilt etwa die Software als frei, praktisch wird sie dennoch als eine Art des Eigentums behandelt. Ideologisch wird im Gegensatz zu den Crackern, die gerne von ihren Erfolgen und ihrem Können berichten und diese zur Schau stellen, Egoismus und Selbstlob zutiefst verdammt, so daß auch die "Großen" der Kultur sich öffentlich klein machen müssen. Die Person verschwindet angeblich hinter ihrer Leistung, ein gutes, nützliches und funktionierendes Programm zu erstellen, das immer als unfertig und mangelhaft dargestellt wird. Die egozentrische Suche nach Anerkennung werde durch diese Ideologie verdeckt und stimuliert zugleich den puritanischen Ethos der Arbeit sowie deren Produktivität.

Seine Versuche, diese Kluft in der Hackerkultur zu erklären, ist auch über dieses Thema hinaus interessant für eine Theorie der Aufmerksamkeitsökonomie. Raymond sagt denn auch selbst, daß das Streben der Hacker nach Anerkennung ein besonderer Fall der Suche nach Aufmerksamkeit und Prominenz sei, wie dies Michael Goldhaber in einem anderen Kontext ausführt. Das Problem ist, wie eine Kultur des Schenkens funktioniert und sich organisiert, ohne daß es normierte Regeln und explizite Sanktionen gibt. Freie Software heißt zwar, daß im Prinzip jeder alles machen könnte, aber es gibt etwa stillschweigende Konventionen, wem etwas zugeschrieben wird, wer die von der Gemeinschaft anerkannte "Macht" über ein Programm besitzt oder wie man Erweiterungen integriert und wer dafür verantwortlich ist. Welchen Stellenwert hat ein "Eigentum" auf ein immaterielles Gut, das nach den Lizenzgewohnheiten für offenen Quellcode beliebig übernommen, verteilt und verändert werden kann? (Allerdings räumt Raymond ein, daß das Schreiben eines Programmes und die Veröffentlichung von dessen Quellcode eigentlich kommerziell ungefährlich und sogar ein Vorteil sei, denn das meiste Geld werde nicht durch den Verkauf von proprietären Programmen, sondern durch den Vertrieb, die Anpassung an bestimmte Umgebungen oder andere Dienstleistungen verdient.)

Für die Mitgliedschaft an der Gruppe bestehe die grundsätzliche Übereinkunft, daß die uneingeschränkte Weitergabe des Quellcodes wichtig ist, um ein Programm weiter zu entwickeln. Die Haltung zu freier Software reiche von Fanatismus bis hin zum Pragmatismus. Dasselbe gilt von der mehr oder weniger gemeinsamen abwehrenden Haltung gegenüber kommerzieller Software und den Software-Monopolisten, die den Quellcode schützen und so den Fortschritt behindern.

Im Hintergrund der Hackerkultur steht für Raymond eine ausgefeilte, aber meist nicht explizit anerkannte Struktur von Traditionen, die die Besitz- oder Eigentumsverhältnisse auf alternative Weise regeln. Sanktionen bestünden in Formen der Mißachtung: "flaming and shunning" - der öffentlichen Verurteilung derer, die die Regeln gebrochen haben, und der Weigerung, weiterhin mit ihnen zu kooperieren. Normalerweise ist der oder sind die Programmierer der ersten Software - die "Gründer" - die Eigentümer des Projekts. Dieses Eigentum läßt sich an Mitarbeiter oder Nachfolger übertragen oder es kann übernommen werden, wenn das Projekt nicht mehr weitergeführt wird und man dafür die Verantwortung übernimmt. Abgelehnt werde die parallele Entwicklung eines Programms, was nur unter strikter Notwendigkeit und großer öffentlicher Selbstrechtfertigung geschehe. Normalerweise werden keine Änderungen ohne die Kooperation der "Eigentümer" vorgenommen, und Tabu oder das schlimmste Vergehen sei es, den Namen einer Person aus der Projektgeschichte oder den Danksagungen ohne dessen expliziter Einwilligung vorzunehmen, weil dadurch die Prominenz des Schenkenden geschmälert wird und die Aufmerksamkeit - und die möglichen Einkünfte - sich auf den Dieb richten könnte.

Das Eigentum an einem öffentlichen Gut

Die Inbesitznahme eines Codes, was in einer Geschenkökonomie bedeutet, daß die Person und ihr Name mit einigen de facto zugestandenen Rechten mit dem Code verbreitet wird, erfolgt nach Raymond analog einer Praxis, die Rechtsphilosophen dem Naturzustand vor jeder positiven Rechtsordnung (Gesellschaftsvertrag) zugeschrieben haben und die dort Geltung finden könnte, wo etwa von Pionieren oder Eroberern unbesiedeltes oder verlassenes Land angeeignet wurde, ohne daß bereits eine zentrale Macht existiert, die Verstöße gegen positives Recht sanktioniert. Man kann das Land nicht kaufen und nicht erben, sondern erwirbt durch Arbeit ein Anrecht auf es. Dieses Modell der Erzeugung von Anerkennung durch Leistung erscheint mir als Analogie einleuchtender als das eines Potlatch-Festes in Stammesgesellschaften mit langen Traditionen, die nicht erst Gemeinschaften gründen, sondern bestehende Strukturen aufrechterhalten.

Neue Programme "entdeckt" man nicht. Stößt man auf ein Programm, so ist es von jemandem hergestellt und dem Cyberspace hinzugefügt worden, der dadurch weiter wächst und neues "Land", das noch keinen Eigentümer besitzt, erschließt, das man bewirtschaften kann. Herstellen eines Programmes ist, wenn wir bei diesem Beispiel bleiben, mithin zugleich Entdeckung, Landgewinnung und Erschließung. Das unterscheidet die Aktivität eines Hackers von der eines Pioniers, der in ein fremdes Land eindringt. Das aber lag dem Modell der bürgerlichen Rechtsphilosophien eigentlich zugrunde, die im Zeitalter der geographischen Entdeckungen und Kolonialisierungen den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus markierten und das Gewicht beim Eigentum vom Erbe mehr auf tätige Aneignung verschoben, auch wenn natürlich die familiären Erbschaftsregelungen der neuen Herrscherschicht wieder zur Sicherung des Eigentums den Aspekt der tätigen Aneignung - des "Homesteading", wie Raymond dies nennt - beibehalten haben. In dieser Verschiebung zeigte sich eine Gegenbewegung, als die sich die Hackerkultur mehr oder weniger auch sieht. Im Patentrecht unterscheidet man ähnlich zwischen Entdeckung und Erfindung, was aber etwa bei der Sequenzierung von Genen umstritten ist, wenn sie als "geistiges Eigentum" anerkannt werden sollen. Erst der Kommunismus, eine Idee gesellschaftlicher Kooperation und öffentlichen Eigentums an Produktionsmitteln, wird auch dieses Moment der Eigentums angreifen, taucht aber symptomatisch in den Überlegungen Raymonds als historische Tradition gar nicht auf.

John Lockes Theorie des Eigentums, auf die er sich beruft, ging davon aus, daß die Erde und damit alle Ressourcen im Naturzustand allen Menschen gehören, also ein allgemeines Gut waren. Der Übergang in die individuelle Aneignung und damit in die Parzellierung ist für Locke mehr oder weniger gottgewollt, weil nur dadurch, wie auch heute noch die kapitalistische Botschaft lautet, allgemeiner Wohlstand durch optimale Nutzung entstehen könne. Die Aneignung erfolgt durch Bearbeitung, nebenbei etwas, was vielen der Potlatch-Stämme, die Jäger- und Sammlerkulturen waren, fremd war. Locke meinte zwar, daß der Erwerb von Privateigentum durch den Bedarf und die Haltbarkeit des Aufgehäuften begrenzt sein soll. Erst die Einführung des Geldes machte für ihn diese Einschränkung hinfällig, denn Geld verdirbt nicht und erlaubt so wiederum eine Ausdehnung des Privateigentums über die eigene Arbeitskraft hinaus.

Gleichwohl sind individuelle Aneignung eines Territoriums und Eigentum an einem Programm grundverschieden, wenn das Programm gleichzeitig der Öffentlichkeit geschenkt wird und irgendwie doch im Besitz des Urhebers verbleibt, indem verpflichtend ist, es diesem zuzuschreiben (etwa in der Readme-Datei). "Geistiges Eigentum" vermehrt nur dann Einkommen an Geld und auch Aufmerksamkeit, wenn es von anderen - und möglichst vielen anderen - benutzt wird. "Freies" geistiges Eigentum, das genau unter der Bedingung allen geschenkt wird, daß eigentlich niemand es besitzt, muß auf praktisches Interesse stoßen und/oder eine neue Anwendungsnische eröffnen. Ein erfolgversprechendes Projekt zu gründen, sagt Raymond, verschafft von vorneherein mehr Aufmerksamkeitseinkommen, als an einem existierenden Projekt zu partizipieren, also nur Mitarbeiter, Anhänger oder Fan zu sein.

Die Möglichkeit, Mitarbeiter zu finden, die bereit sind, Zeit und Arbeit in ein Programm zu investieren, seine(n) Gründer als "Eigentümer" anzuerkennen, wodurch sein (ihr) Ansehen steigt und Ansehen erworben wird, und sich unterzuordnen, beruht sicherlich nicht allein auf der Qualität des offenen Projekts, der Kompetenz des/der Gründer und dem Versprechen auf Erfolg, wodurch die Kooperierenden Teile des Aufmerksamkeitseinkommen für sich abzweigen können, sondern auch darauf, wie Gruppen sich organisieren oder "vereidigen". Eignet sich der Gründer das Programm vollständig an, fällt ein guter Teil der Kooperationsmotivation aus, weil die Übertragung der Aufmerksamkeit schwächer wird. Die fehlende Ausschüttung der Aufmerksamkeitszinsen muß dann etwa durch Geld ersetzt werden, und die scheinbar offene kooperative Struktur der Selbstorganisation wird abgelöst durch stärker hierarchische Zwänge und Sanktionen. Für entstehende, noch nicht derart "erstarrte" Gruppen sind "Feinde" stets ein guter Katalysator, der auch lose Verbände von Individualisten äußerlich zusammenhält. Meist setzen sich, entgegen aller anarchistischen oder selbstorganisierenden Ideologie, Menschen an die Spitze, die als Moderatoren und Integratoren wirken, um Handlungen zu koordinieren. Solche "Autoritäten" können sehr unterschiedliche Formen annehmen, aber sie ziehen kraft ihrer Position und der Beherrschung des Aufmerksamkeitsspiels kollektive Aufmerksamkeit auf sich und "schenken" Integration, die es ermöglicht, interne Konflikte aufzulösen - und sie werden desto eher als "Führer" anerkannt, wenn sie nicht nur gruppenspezifische Kompetenz, sondern auch gruppenintegrierende und nach außen wirkende Kompetenz besitzen. Die Besitzer, Führer, Prominenten oder Integratoren verteilen die Aufmerksamkeitsressourcen, was auch heißt, wer was machen darf und wem was zugeschrieben wird.

Um eine kooperierende Gruppe für sich und andere kenntlich zu machen, sind überdies nicht nur Verhaltensweisen und soziale Strukturen wichtig, sondern oft auch ein Ort, der die Gemeinsamkeit kenntlich macht. Da kooperierende Hacker oft nicht am selben Ort leben und da ihre Programme keinen lokalen Charakter haben, sind ihre gemeinsamen Orte, an denen sie sich versammeln und nach außen als Gruppen zeigen, ebenso virtuell. Eine Website - eine Homepage - ist selbstverständlich die einzig mögliche Option, weil sie auch ermöglicht, daß andere sich die Programme herunterladen und in eine Kooperation eintreten können. Ohne diese Möglichkeit sinkt die Wahrscheinlichkeit, Ansehen zu erzielen, gewaltig und wäre man eher darauf angewiesen, durch spektakuläre, den Medien als kollektive Aufmerksamkeitsorgane adaptierte Aktionen - die Cracker - Prominenz zu erzielen, was allerdings oft bedeutet, in der Anonymität verharren und stets wegen der Kurzlebigkeit des knappen Guts Aufmerksamkeit, das Wiederholung und Konstanz scheut wie der Teufel das Weihwasser, neue Aufmerksamkeitsanschläge ausführen zu müssen, um Ansehen zu akkumulieren.

Aufmerksamkeitsökonomie und Kultur des Schenkens

Unterschwellig vertritt Raymond die Position, daß dort das Aufmerksamkeitsspiel am besten zur Geltung kommt, wo es auch eine Kultur des Schenkens gibt, die wiederum auf Überfluß aufbaut. Ähnlich wie in den Wissenschaften, in denen unter der Bedingung der Abwesenheit des Überlebenskampfes neue Ideen aufgrund des Strebens nach Ansehen ausgetauscht würden, habe auch die Hackerkultur eine der "besten sozialen Organisationen" hervorgebracht. Während der Kapitalismus die global beste Kooperationsform für ökonomische Effizienz sei, wäre vielleicht das Anerkennungs- oder Aufmerksamkeitsspiel der Kultur des Schenkens die global beste Kooperationsform zur Erzeugung und Überprüfung kreativer Werke.

Ein wenig hängt Raymond den Vorstellungen der sechziger Jahre nach, wenn er glaubt, daß die kapitalistische Industrieproduktion allmählich eine, wie man sie damals nannte, Freizeit- oder Konsumgesellschaft freisetze. Möglicherweise sprechen die Schwierigkeiten, die Microsoft derzeit hat, für eine Auflösung der "industriell-kapitalistischen Softwareproduktion", obwohl man das sehr bezweifeln kann, weil wir schon lange die Hoffnungen und Prophezeiungen vernehmen, daß die großen Unternehmen in kleinere, beweglichere Organisationen zerfallen werden, während sie sich gleichzeitig durch immer größere Zusammenschlüsse sich dem globalen Wettbewerb stellen. Auch der Glaube, daß der Kapitalismus von sich aus genügend materiellen Wohlstand für alle schaffen könne, so daß "viele Programmierer in einer nicht mehr unter den Bedingungen der Knappheit stehenden Kultur des Schenkens leben" und so zu einer anderen Produktionsweise übergehen können, ist wohl ein wenig naiv. Derzeit scheint der Kapitalismus eher weltweit die Kluft zwischen Reichen und Armen zu vergrößern, wobei die Angehörigen der Hackerkultur ein Teil der Elite der virtuellen Klasse sind - oder dies werden wollen. Ihren gesellschaftlichen Status zu erhalten, ist so gleichfalls ein Klasseninteresse, das möglicherweise unter hehren Idealen wie einst in der bürgerlichen Aufklärung verborgen liegt. Die Umbennung der „free software" in „open source" mag dazu den ersten Schritt darstellen und ausufernde Rechtfertigungsdiskurse in der Hackerkultur, wie sie Raymond in aller Ambivalenz führt, erforderlich machen.

Aber ein weniger marxistisch getönter Einwand könnte dahin gehen, daß der Kapitalismus es schon immer gut verstanden hat, wichtige Entwicklungen und Gegenbewegungen in sich aufzusaugen. Früher, zur Zeit der Kritischen Theorie, hat man dies kulturell als repressive Entsublimierung beschrieben, was einfach heißt, daß neue Märkte erschlossen und kapitalisiert werden, so daß die Menschen als Konsumenten etwas mehr erhalten und dadurch besser ins System - den totalitären Zwangszusammenhang - integriert werden. Man braucht dies nicht so dramatisch und politisch pessimistisch schildern, doch wenn man sich ansieht, wie derzeit etwa Linux Karriere macht, indem Oracle sich dem Programm gegenüber öffnen und Intel in Red Hat, dem kommerziellen Zweig, investieren will, dann sieht man schon, wie eine solche Eingemeindung verlaufen könnte. Linus Torwald, der nahezu zu einem mythischen Gegenhelden verklärt wurde und so die hackerkulturspezifische Anerkennung gefunden hat, sagte kürzlich in einem Interview, dies zeige nur, daß Linux eine kritische Schwelle in einem Markt überschritten habe. Technisch werde dieser Vorgang keine Auswirkungen auf Linux haben. Es gäbe einfach eine "Synergie zwischen kommerziellen Menschen, die den Wunsch haben, daß Linux leicht installiert werden könne, und technischen Menschen, die technisch das Richtige machen wollen."

Man bleibe zwar dabei, daß das Programm weiterhin frei ist und daß weiterhin CDs für 50 Dollar mit unbegrenzten Lizenzen zu kaufen sind, wolle aber durch support verdienen. Der Vorteil von Programmen, deren Quellcode öffentlich ist, sei es, daß sie durch die kooperative Arbeit robuster und sicherer als kommerzielle Produkte sind. Es gebe eine Menge Menschen, die alles versuchen, um in Linux einzudringen. Das mache aber nur schneller die wunden Stellen deutlich und fordere andere dazu heraus, die Sicherheitslöcher schnell zu schließen, weil das im Interesse der Benutzer liege.

Und genau darin mündet letztlich auch die Feier des freien Quellcodes für Raymond, der natürlich wiederum versucht, damit Aufmerksamkeit zu finden. In seinem „Linus Gesetz" schildert er, wie es möglich ist, genügend freiwillige Fans an ein Projekt zu binden: eine Methode, einen effizienten Markt zu schaffen, indem die Selbstbezogenheit der einzelnen Hacker so fest wie möglich mit schwierigen Zielen verbunden werden, die nur durch eine andauernde Kooperation erreicht werden können. Die egoistische Suche nach Akkumulation von Aufmerksamkeit, die der Tätigkeit der Hacker zugrundeliegt, wird zur Verbesserung eines Programms ausgenutzt, das dem Eigner nicht nur Ruhm oder Prominenz, sondern auch Einkommen verschafft. Linus Torvalds positioniert sich selbst als „gatekeeper" eines Projekts, „bei dem die Entwicklung meist von anderen geleistet wird". Er hält das Interesse an dem Projekt so lange wach, bis es sich selbst trägt - und den freiwilligen Mitarbeitern, vornehmlich angetrieben durch Egoismus und Suche nach Anerkennung in der Hackerkultur, zumindest eine Teilnahme an der Aufmerksamkeit eröffnet.

Während er für die Hacker, die sowieso wissen, warum die öffentliche Zugänglichkeit des Quellcodes für ein Programm gut sei, nur davon spricht, daß sie letztlich nichts verlieren, wenn sie kooperieren, sondern nur gewinnen und Einkünfte erzielen können, so versichert er in der Version des „open source" für Geschäftsleute, daß ein mit vielen kooperierenden Hackern entwickeltes Programm einfach verläßlicher und sicherer sei als eines, das nur in der Firma mit wenigen Leuten geschrieben werde. Das Programm wird nicht nur durch peer review ständig getestet und unmittelbar verbessert, sondern auch schneller an die Bedürfnisse der Nutzer angepaßt. Kommerziell auszahlen würde sich offener Quellcode für diejenigen, die die Software vertreiben, den Namen vermarkten und Service nach dem Verkauf anbieten, aber auch für jene, die eine darauf aufbauende geschlossene Software entwickeln und verkaufen. Hardware-Hersteller könnten auch davon profitieren, weil sie so schneller und billigere Treiber und Schnittstellen erhalten. Es wird also allen einfach besser gehen, wenn sie Raymonds Erfolgsmodell folgen.

Aber wenn sich das Modell durchsetzt und es immer mehr kompetente Hacker geben wird, wäre es nicht nur Zeit, daß diese ihre eigenen egoistischen Motive und die daraus entspringenden Aufmerksamkeits- und Geldgewinne erkennen, sondern sich auch anders organisieren. So wäre es mitunter ratsam, die bislang impliziten Regeln der Hackerkultur in explizite Codes des angemessenen Verhaltens bei der Lösung von Konflikten zu verwandeln. Und die betreffen eben das Eigentum an und die Rechte über Programmen, die kooperativ entwickelt wurden. Das aber würde letztlich heißen, daß die Kooperationsformen Vertragscharakter erhalten und die Hacker gleich Firmengründer zur Sicherung ihrer Ansprüche werden. Was das aber dann noch mit einer Kultur des Schenkens zu tun hat, verrät Hacker Raymond auf seiner Suche nach Aufmerksamkeits- und Geldgewinnen mit dem „Open Source"-Projekt nicht, auch wenn seine Motivation durchaus nachvollziehbar und verständlich ist. Schenken, um davon zu profitieren, ist denn auch an sich nichts Neues und vor allem nichts, was der Hackerkultur im Sinne Raymonds eigen wäre. Eine Avantgarde wären etwa die privaten Fernsehsender, die Unterhaltung und Information kostenlos für die Kunden anbieten.