Haft als Aktionskunst

Der Gerichtsreporter Rolf Schälike geht am Freitag aus Protest ins Gefängnis

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Am 3. Mai twitterte der Gerichts- und Anwaltskritiker Rolf Schälike: "Heute Ladung zum Haftantritt erhalten. Trete die Haft aus Protest freiwillig an." Tatsächlich will Schälike am morgigen Freitag den 13. Mai 2011 in der berüchtigten Hamburger UHA Holstenglacis eine fünftägige Haft antreten, die er auch als "Aktionskunst" sieht und mit der er auf die "Zensur durch unsere Pressekammern", die "Inhaftierung wegen Äußerungsdelikten auf Antrag von Kriminellen und sonstigen fragwürdigen Gestalten", den "Missbrauch des Persönlichkeitsrechts für gewerbliche Zwecke" und die "Entwürdigung von Äußernden aus geschäftlichem Interesse" aufmerksam machen will.

Formaler Grund für die Haft ist ein Ordnungsgeld in Höhe von 500 Euro, das gegen Schälike verhängt wurde, weil er über ein Vergleichsverfahren berichtete, an dem eine prominente Persönlichkeit beteiligt war. Die Haft, die er am Freitag antritt, ist nicht die erste für den 1938 geborenen Physiker, Ingenieur und Übersetzer: Bereits 2005 ging er für eine knappe Woche ins Gefängnis, weil er ein Ordnungsgeld in Höhe von 3.000 Euro nicht bezahlte. Anlass für das Ordnungsgeld war, dass Schälike über einen Anwalt geschrieben hatte, der wusste, wie man Kritiker zum Schweigen bringt. Und in der DDR saß der ehemalige Kern- und Reaktorphysiker sogar über zehn Monate lang in Haft, weil er sieben Bücher privat weitergegeben hatte. Das damals gegen ihn ergangene Urteil wurde jedoch nach einem 38-tägigen Hungerstreik 1985 aufgehoben und noch vor der Wiedrevereinigung wurde Schälike von der DDR 1990 entschädigt.

Rolf Schälike. Foto: C. M.

Die Haft 2005 war allerdings auch der erste Schritt dazu, dass Schälike als Gerichtsreporter bekannt wurde und dass nach und nach auch die überregionalen Tageszeitungen von seinem Anliegen Notiz nahmen. Für dieses Anliegen setzt sich der Hamburger seit Anfang 2006 mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit in die Verhandlungen der örtlichen Pressekammer. Manchmal fährt er auch nach Berlin oder Köln, einmal sogar nach München, um Prozesse von Anwälten zu beobachten, auf die er ein besonderes Augenmerk gelegt hat.

Sein nach einem umstrittenen Richter benannter Webauftritt Buskeismus ist das beste Beispiel dafür, wie eine fruchtbare Synthese von Bloggern und Presse funktionieren könnte: Schwer lesbar, aber inhaltlich voller Dynamit. Das jedoch ist von solcher Sprengkraft, dass viele Medien, die hier gutes Material fänden, aus wirtschaftlichen Gründen auf ein Aufgreifen der Themen verzichten, weil sie sich keine jahrelangen und teuren Prozesse leisten wollen. Auch Schälike kostete sein Kampf für die Redefreiheit bisher etwa 145.000 Euro. 2011 erreichte der 73-Jährige allerdings erstmals eine ausgeglichene, sogar positive Anwaltskostenbilanz.

Weil es in diesem Jahr bislang passabel lief, feiert Schälike in der Nacht zum 13. im Ottenser Bistro Roth und heißt dazu "Freunde, Mitstreiter, Zensuropfer, Interessenten, sogar Anwälte und Richter, aber auch Zensoren" herzlich willkommen. Zum Haftantritt am darauf folgenden Mittag haben sich unter anderem die Bild am Sonntag und das Fernsehen angekündigt.

Dass mittlerweile auch prominente Anwälte regelmäßig an Schälike zahlen müssen, ändert jedoch nichts daran, dass die Presse- und Redefreiheit tendenziell eher weiter eingeschränkt als gestärkt wird. Sogar das Scheitern des Rennsportfunktionärs Max Mosley, der sich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Anspruch auf eine Vorzensur erklagen wollte, liefert dem Lawblogger Udo Vetter zufolge deutschen Gerichten durchaus Material für problematische Entscheidungen. In einem anderen Fall, der demnächst in Straßburg verhandelt werden könnte, geht es darum, wie weit Richter und Anwälte das Verbot der "Eindruckserweckung" treiben dürfen und ob sie auch den Hinweis darauf verbieten können, dass es Zeugen gibt, die einer Entscheidung widersprechen.

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