Haken und Ösen im bulgarischen Wahlkampf

Herausforderer Borissov instrumentalisiert Angela Merkel

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Mit den traditionellen Aufrufen zu „sauberen“ politischen Auseinandersetzungen begannen Bulgariens Parteien ihren Wahlkampfmarathon, der sich aller Erwartung nach „schmutzig“ entwickeln dürfte. In Bulgarien stehen nicht nur die Europawahlen am 7. Juni an, für die eine extrem geringe Wahlbeteiligung der politikverdrossenen Bulgaren erwartet wird, sondern auch die Parlamentswahlen am 5. Juli. Noch ist nicht absehbar, wie viele Parteien in die 41. Bulgarische Nationalversammlung einziehen werden, doch alle Sonntagsfragen deuten auf einen unklaren Wahlausgang hin, der eine Regierungsbildung unmöglich und eine Wahlwiederholung im Herbst unausweichlich machen könnte.

Umfrageergebnisse pflegen in Bulgarien je nach Auftraggeber zu variieren und sind zurückhaltend zu interpretieren. Tendenziell sehen die Auguren jedoch die Partei von Sofias Bürgermeister Boiko Borissov, „Bürger für ein Europäisches Bulgarien“ (GERB), bei den Parlamentswahlen in der Wählergunst mit rund 33% vor der „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ (BSP) von Ministerpräsident Sergej Stanischev mit ca. 25%. Als mit jeweils rund zehn Prozent als sicher im nächsten Parlament vertreten gelten die Partei der türkischen Minderheit „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DSP) und die nationalistische Ataka. Fraglich erscheint der Einzug der beiden Parteien der traditionellen Rechten; die in innerparteiliche Grabenkämpfe verstrickte SDS und die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Ivan Kostov (DSB) könnten aber als „Blaue Koalition“ gemeinsam den Sprung über die 4-%-Hürde schaffen und zum Zünglein an der Waage werden, das Boiko Borissov zur Macht verhilft. Der sogenannten Zarenpartei des früheren Ministerpräsidenten Simeon Sakskoburgotski (NDSW) droht nach acht Jahren Regierungsbeteiligung der Sturz in die politische Bedeutungslosigkeit.

Jane Janev, Vorsitzender der Splitterpartei „Ordnung, Gesetzlichkeit und Gerechtigkeit“ (RSS), profilierte sich in den letzten Monaten als furchtloser „Korruptionsbekämpfer“ und avancierte so zum Medienstar. Er liefert in immer kürzer werdenden Abständen skandalträchtige Enthüllungen, die sich außer gegen Borissov gegen fast alle politischen Kräfte zu richten scheinen. Zuletzt unterstellte er Sozialministerin Emilia Maslarova (BSP), der Firma ihres Mannes einen millionenschweren Bauauftrag zugeschanzt zu haben. Bisher blieb in den meisten Fällen ungeklärt, inwieweit es sich bei Janevs „Signalen“ um reale Fakten oder schlichte "Kompromate" (kompromittierendes Material) handelt. In welchem Maße die bulgarischen Stimmbürger Janevs Aggressivität bei den bevorstehenden Wahlen honorieren werden, ist eine vieler unbekannten Variablen, die Bulgariens Wahljahr spannend machen.

Nach Jahren eines robusten wirtschaftlichen Aufschwungs hat die internationale Wirtschaftskrise auch Bulgarien in die Rezession geführt, ein rationaler politischer Diskurs erschiene zur Lösung der gravierenden Probleme des Landes notwendiger denn je. Das politische Klima im Land ist aber seit langem vergiftet, für das Publikum zuweilen schwer nachvollziehbare persönliche Hickhacks zwischen Amtsinhaber Sergej Stanischev und Herausforderer Boiko Borrissov dominieren die öffentliche Diskussion. Borissov habe in den letzten Jahren 5000 Medienauftritte fast ausschließlich mit persönlichen Attacken gegen ihn bestritten, giftete zuletzt der Premier. Stanischev sei wie ein kleiner Hund, der angesichts größerer Hunde vor Angst erzittere, konterte Borissov.

„Wer Borissov wählt, bekommt Kostov“, lautet die Botschaft einer bereits lange vor dem eigentlichen Wahlkampfaufakt gestarteten Multimedia-Kampagne. Offiziell wurde sie von der kleinen und unbedeutenden Partei Nova Sora (Neues Morgenrot) lanciert, doch Journalisten des Fernsehsenders Re:TV identifizierten mit Azer Melikov einen Mitarbeiter aus Stanischevs Beraterstab als Urheber der dazugehörigen Website. Dies sei „schwarze PR“ empörte sich Borissov und rief die Staatsanwaltschaft an, sie möge ermitteln, mit welchen Geldern die aufwändige Kampagne finanziert werde.

„Es erwartet Sie ein schwieriger und kompromittierender Wahlkampf“, habe Bundeskanzlerin Angela Merkel Boiko Borissov in einer Grußbotschaft zum Wahlkampfauftakt gewarnt, behauptete GERB-Pressesprecherin Sevdelina Arnaudova vor kurzem in der Frühstückssendung von Nova TV. Merkels in ihrer Eigenschaft als CDU-Vorsitzender an die „Schwesterpartei“ GERB gesandte Grußbotschaft zum Wahlkampfauftakt enthielt laut CDU-Pressestelle zwar die besten Glückwünsche, jedoch keine solche Warnung vor "Kompromaten".

Es wäre nicht das erste Mal, dass Borissovs PR-Experten vermeintlichen Verbündeten nicht getane Äußerungen zuschrieben. Nach einem Besuch des Borissov gegenüber kritisch eingestellten Mafia-Publizisten Jürgen Roth beim Sofioter Bürgermeister im letzten Herbst (Im bulgarischen Geflecht von Politik, Wirtschaft und Organisierter Kriminalität) verlautete dessen Pressestelle, Roth sehe Borissov nunmehr positiver und würde ihn gar wählen, wenn er könnte. Roth dementierte umgehend.