Hammer, häppchenweise

Das legendäre Filmstudio meldet sich im kleinteiligen Web-2.0-Format zurück

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28 Jahre nach dem letzten Kinofilm und 21 Jahre nach der letzten TV-Serie gibt es ein neues Lebenszeichen vom englischen Studio Hammer Film Productions. Der noch nicht fertige Vampir-Horror-Streifen „Beyond the Rave“ soll jedoch vor dem DVD-Release zunächst hochmodern als 20-teilige„Webisode“-Serie im Frühjahr 2008 auf MySpace verbreitet werden.

Es gab einmal Zeiten vor dem Internet, da waren Hammer Film Productions der kleine König zumindest des britischen Films. Zeiten, in denen man Filme allein ihrer Machart wegen gern als „Hammer-Film“ bezeichnete, auch wenn sie tatsächlich nicht von Hammer selbst produziert waren. Hammer war also zeitweise eine groovy Marke, die ein Produktsegment fast so dominierte, wie etwa das T*mpo-Taschentuch oder der T*safilm als solcher. Es brauchte etwa 20 Jahre um dahin zu kommen.

Hammer Films wurde eigentlich bereits Ende 1934 von dem im Vaudeville-Theater als „Will Hammer“ auftretenden Juwelenhändler William Hinds zusammen mit dem Kinoketten-Betreiber und Exil-Spanier Enrique Carreras als Tochterfirma von „Exclusive Films“ gegründet. Hergestellt wurden aber zunächst nur wenige, eher mediokre Melodramen und Komödien, darunter der Krimi „The Mystery of the Mary Celeste“ mit Bela Lugosi und „Song of Freedom“, in dem - für die Zeit ziemlich keck - ein schwarzer Opernsänger die Hauptrolle spielte.

Danach ging Hammer bereits wieder die Luft aus, und der Zweite Weltkrieg regierte. Nach einer erfolgreichen Adaption der BBC-Radio-Show „Dick Barton“ nabelte sich Hammer 1949 von Exclusive ab und begann als „Hammer Film Productions Limited“ die zweite Karriere. Dabei konzentrierte sich die kleine Filmfirma in verschiedenen Sujets zunächst auf die Verwertung bereits aus dem Radio oder Fernsehen der BBC bekannter Stoffe und Charaktere wie "The Man in Black" mit dem sinistren Valentine Dyall.

Die Low-Budget-Filme wie etwa der noireske "Stolen Face" von 1952 oder der gute Science-Fiction-Film "Four Sided Triangle" von 1953 brachten jedoch keine besonderen Erfolge. Anfang 1955 befand sich Hammer (wie damals die gesamte britische Filmindustrie) daher in einer desperaten Lage. Der ein paar Jahre zuvor etablierte Deal mit der US-Filmfirma Fox, die die Hammer-Movies für den Einsatz amerikanischer Schauspieler in den USA vertrieb, drohte beendet zu werden.

Der SciFi-Horror-Film "The Quatermass Experiment", in dem mit Professor Quatermass wieder eine bereits aus einer BBC-Serie bekannte Figur auf höchst eindrucksvolle Weise adaptiert wurde, brachte 1955 die Rettung (und zwei Fortsetzungen). Er spielte in Europa und den USA soviel Geld an den Kinokassen ein, dass Hammer sich sukzessive einer Neuverfilmung klassischer Gothic-Horror-Stoffe wie Frankenstein und Dracula zuwenden konnte.

Den endgültigen Durchbruch brachten dann „The Curse of Frankenstein“ 1957 und „Dracula“ von 1958, in denen die beiden wichtigsten Hammer-Protagonisten Peter Cushing und Christopher Lee den Universal-Altmeistern zeigten, wie man den klassischen Suggestiv-Horror der 30er und 40er Jahre, in dem Imagination das tatsächliche Zeigen von Schockeffekten ersetzte, in explizit-farbenfrohen „Grand Guignol“ Horror transformierte. Der zweite, überfallartige Auftritt von Lee in „Dracula“ als sadistische Fratze mit blutroten Augen und gierig gebleckten Reißzähnen dürfte auf viele den nobel-hintergründigen Bela Lugosi gewohnte Zuschauer extrem schockierend gewirkt haben.

In den 60er Jahren erlebte Hammer dann seine klassische Blütezeit. Der Halbitaliener Christopher Lee ging zwar 1961 ein paar Jahre von der Fahne, weil er sich zu sehr auf Monster-Rollen festgelegt fühlte und drehte lieber Filme auf dem Kontinent, kehrte aber 1966 für die überfällige Dracula-Fortsetzung „Dracula-Prince of Darkness“ zurück, in der er wegen eines angeblich miserablen Drehbuchs kein Wort spricht – machte aber nichts. Hammer florierte mittlerweile weltweit, und noch kleinere UK-Konkurrenten wie Amicus, Tigon und British Lion versuchten sich mit Horror- und Science-Fiction-Filmen ähnlicher Machart und teils denselben Schauspielern an den Erfolg dranzuhängen.

Die Hippie-Sex-Welle und neue Gewaltdimensionen in Filmen wie „Night Of The Living Dead“ läuteten Ende der 60er-Jahre dann den Abstieg ein. Die liebgewonnen romantisch-viktorianischen Hammer-Settings taugten dafür nicht mehr so richtig. Das Studio, das in der vermufften 50er Jahre-Gesellschaft mit seiner ziemlich expliziten Darstellung von sadistischer Gewalt, Blut und den erotischen Facetten des Vampir-Mythos gepunktet hatte, wurde nunmehr schrittweise von einer neuen, noch expliziter arbeitenden Filmemacher-Generation aus dem Geschäft gedrängt. Man versuchte mit der Verfilmung des Gräfin-Bathory-Mythos und pudelnackten schwedischen Vampir-Lesben dagegenzuhalten und ging mit „Dracula A.D. 1972“ (genialer deutscher Titel „Dracula jagt Mini-Mädchen“) auf Tuchfühlung mit der Pop-Kultur des späten Swinging London. Leider war der in einer entweihten Kirche herumlungernde Graf nicht dazu zu bewegen, etwa die drogengeschwängerte Hippie-Party mit der Grusel-Band „Stoneground“ aufzumischen.

Auch der Versuch, den Grafen mit Vampiren, die den 1974 angesagten Kung-Fu-Sport betrieben, zu kreuzen misslang kläglich. 1976 produzierte Hammer dann als letzte Zuckung den vergessenen Klassiker „To The Devil a Daughter“ mit Christopher Lee als Satanspriester und Richard Widmark (!). Geschätzt ist der Film bei Connaisseuren für eine Full-Frontal-Nudity-Szene der jungen Nastassja Kinski. Etwas, von dem der deutsche Zuschauer im legendären „Reifezeugnis“-Tatort ein Jahr später nur träumen konnte. 1979 kam zwar noch einmal ein halbgares Hitchcock-Remake von „The Lady vanishes“, aber im Grunde stellt 1976 den Endpunkt dar. Gleichzeitig brach im Königreich damals der Punk los und viele Rebel-Protagonisten dieser Jugendbewegung wie Dave Vanian (kurz für „Transsylvanian“) von The Damned oder Siouxsie Sioux (Banshees) trugen ihre Vorliebe für die Hammer-Goth-Ästhetik, mit der sie aufgewachsen waren, offen zur Schau.

Danach wurde das Hammer-Erbe von dem Studio selbst nur noch in zwei TV-Serien verwaltet. 1980 lief „Hammer House of Horror“ und 1984/86 „Hammer House of Mystery and Suspense“. Dann war endgültig Schluss. 2000 wurde von neuen Besitzern erstmals ein Comeback angekündigt, dem aber keine Taten folgten. Erst im Mai 2007 sorgte nach einem erneuten Verkauf das niederländische Konsortium Cyrte Investments um den „Big Brother“-Mogul John de Mol, das auch den Backkatalog erwarb, dafür, dass der Leiche neues Leben eingehaucht wurde.

"Beyond the Rave" (vielleicht eine Anspielung auf den 74er „Beyond the Grave“ des alten Konkurrenten Amicus) ist in der Mache und nimmt augenscheinlich Bezug auf moderne Vampire in der Rave-Techno-Jugendkultur sowie den Irak-Kriegshorror. Klingt unheimlich beklemmend. Christopher Lee wird nicht mehr dabei sein, dafür die in Blut gebadete Hammer-Veteranin Ingrid Pitt.

Der Film erscheint zunächst filetiert in zwanzig vierminütigen (!) „Webisode“-Teilen auf MySpace. Man versucht sich also an der neuesten Post-TV-Zielgruppe mit extrem kurzer Aufmerksamkeitsspanne. Serien sind zwar heutzutage eh meist besser als Filme ("Dexter" z.B.), aber so etwas könnte sogar die jugendlichen Horror-Freaks am Handy unterfordern. Für abergläubisch-sensible Naturen mag da im Kontext grusliger sein, dass erst vor wenigen Wochen in einem Londoner Kostümverleih das jahrzehntelang verschollene Cape wieder entdeckt wurde, das Christopher Lee im ersten Hammer-Dracula trug. Ein fürwahr seltsamer Zufall....