Heavy Metal Surfing auf Jupiter

Der Palast der galaktischen Wellen

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Wellen bauen sich auf, brechen und rollen aus. Das ist auf irdischen Meeren eine Selbstverständlichkeit, die nicht nur Surfer interessiert und fasziniert. Aber nach welchen Regeln geschieht das auf anderen Himmelskörpern in unserem Sonnensystem? Und wo würden Surfer die beste Monsterwelle finden? Diesen Fragen geht der New Scientist in seiner aktuellen Ausgabe nach.

Ralph Lorenz von der University of Arizona in Tuscon macht viel Wellen, denn er will herausfinden, wie sich Flüssigkeiten woanders im Sonnensystem auf der Oberfläche von Planten und Monden verhalten.

Die große Welle von Kanagawa, ca. 1830, Katsushika Hokusai

Auf dem Mars wogten einst Meere, möglicherweise stand vor vier Milliarden Jahren die Hälfte der Planetenoberfläche unter Wasser (Das Schicksal der Marsianer) aber welches Klima dort vor Milliarden von Jahren herrschte, wird noch diskutiert (Ist der Mars wie die Sahara?).

Schon länger wird darüber spekuliert, dass es auf dem Saturnmond Titan, der sich immer hinter dicken Wolkenschichten versteckt hält, Ozeane aus flüssigen Kohlenwasserstoffen gibt (Raumsonden-Landung auf einem Öl-Ozean), eine schwappende, ölige Flüssigkeit, deren Oberfläche in Bewegung ist.

Wellenbrecher

Die Physik der Wellenentstehung gleicht sich überall im Universum, davon gehen die Forscher aus. Wenn der Wind über die Oberfläche eines Sees oder Meeres streift, verschieben sich die Wasserteilchen und reiben aneinander, es bilden sich Schichten, die ersten kleinen Wellenberge, die wiederum durch den Wind angetrieben durch die verschiedenen Druckverhältnisse zu den unentliegenden Wasserschichten anfangen sich aufzutürmen. Die Wasseroberfläche hebt und senkt sich, um den unterschiedlichen Druck auszugleichen.

Je stärker der Wind bläst, desto stärker wird die Wellenbildung, wobei die Windgeschwindigkeit und die Dauer der Böen wichtige Faktoren sind. Gegenwirkende Kräfte sind die Schwerkraft und die Oberflächenspannung. Wie sich die Wellen brechen, wann und wie sie Schaumkronen bilden oder verebben, hängt von diesen gegenwirkenden Kräften ab. Mathematische Modelle helfen, diesen komplizierten Prozess zu entschlüsseln, aber selbst auf der Erde ist er noch nicht vollständig verstanden (Was Neptuns Krone mit GPS zu tun hat). Geschweige denn, dass die völlig anderen Verhältnisse auf anderen Himmelskörpern nur mit Berechnungen begriffen werden können. Mathematik ist auch für die Vorstellung von Wellen auf öligen Meeren der Ausgangspunkt, praktische Versuche sollen aber nun mehr Gewissheit bringen.

Windsimulator

Ralph Lorenz experimentiert deshalb an einem Simulator, um sich der Wirklichkeit außerirdischer Verhältnisse anzunähern. Er ist ein Spezialist für den Saturnmond Titan und in die Cassini-Huygens-Mission eingebunden (Mysteriöser Saturnmond hüllt sich in exotischer Schönheit). Zusammen mit einem Kollegen hat Modelle der Oberfläche und der Klimas des Titan erarbeitet. Jetzt nutzt er den Mars Surface Wind Tunnel (MARSWIT) am NASA Ames Research Center südlich von San Francisco, um Wellen zu erzeugen, wie sie sich auf diesem exotischen Mond bilden könnten.

Der Tunnel in einer Vakuumkammer ist 13 Meter lang, 1,3 Meter breit und hat an seinem Ende einen riesigen Ventilator, der starken Wind mit einer Geschwindigkeit bis zu 12 Meter pro Sekunde erzeugen kann. Der Luftdruck und die Atmosphäre sind variierbar, er kann mit einem Sauerstoffgemisch gefüllt werden, oder auch mit Stickstoff oder Kohlendioxid. So können verschiedene, realistische extraterrestrische Simulationen geschaffen werden.

Illustration einer Titan-Landschaft (Bild: Mark Robertson-Tessi und Ralph Lorenz)

Zuerst beschäftigen sich Lorenz und Kollegen mit dem Mars. Aber der atmosphärische Druck auf dem roten Planeten war immer sehr gering – und damit blieben die Wellen wahrscheinlich sehr niedrig, eher ein Schwappen, wie die Forscher bei ihren Simulationen feststellten. Allerdings konnten sie potenzielle Monsterstürme, wie sie auf dem Mars möglicherweise einst tobten und die geringere Schwerkraft nur durch Berechnungen mit einbringen.

Lahme Titanwellen

Anders auf Titan, dessen Oberfläche nach Beobachtungen von Donald Campbell von der Cornell University of Ithaca wahrscheinlich zu einem beachtlichen Teil von Flüssigkeit bedeckt ist ("Titanische" Seen aus flüssigen Kohlenwasserstoffen). Viele Wissenschaftler vermuten, dass der Saturnmond eine ähnliche Atmosphäre wie die frühe Erde hat. Die Ozeane des Titan sind aber nicht mit Wasser, sondern vermutlich mit Methan gefüllt.

Schon im Frühjahr hatten US-Forscher Hochrechnungen angestellt und waren zu der Annahme gekommen, über Titan könnten sieben Mal höhere Wellen hinweg rollen als über die Erde (ESA's "shipping forecast" – from Titan!).

Lorenz hält das für übertrieben, da er davon ausgeht, dass auf dem Saturnmond keine starken Winde wehen. "Sie [die Wellen] werden sich langsam bewegen", meint er, "aber ich bin nicht sicher, ob sie riesig sind."

Einschlag von Shoemaker-Levy 9 auf dem Jupiter (Bild: NASA)

Der beste Kandidat für echte Riesenwellen ist der Gasplanet Jupiter. Rund um seinen Kern befindet sich eine Schicht Wasserstoff, der einem so hohen Druck ausgesetzt ist, dass er metallische Eigenschaften aufweist. Im Juli 1994 stürzten Stücke des Kometen Shoemaker-Levy 9 in den größten Planeten des Sonnenssystems und verursachten einen Krater, in dem die Erde Platz gehabt hätte und eine so gewaltige Tsunami-Welle, das sie selbst von der Erde aus beobachtet werden konnte (Comet Shoemaker-Levy Collision with Jupiter).

Aber abgesehen davon, dass eine solche Welle wie ein Berg anrollen würde, bestünde sie aus flüssigem Metall und wäre von kosmischer Kälte. Also höchstens etwas für Silver Surfer. Und selbst er müsste auf den nächsten großen Asteroideneinschlag warten und das dauert wahrscheinlich einige Millionen Jahre – eine sehr lange Zeit, selbst für einen Superhelden.