Heiliger Gummi: Kondome in die Wüste

1,6 Millionen Pariser sollen nach Afghanistan verschifft werden - und zwar nicht auf Urlaub

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"Population Service International" (PSI) ist eine in Washington ansässige gemeinnützige Organisation, die Verhütung auch in Entwicklungsländern ermöglichen will. In Afghanistan erweist sich dies nun aufgrund der dortigen Kultur als gar nicht so einfach.

PSI wurde 1970 gegründet und war die ersten 10 Jahre hauptsächlich in Südostasien aktiv. Während es anfangs nur darum ging, auch und gerade in den armen Ländern mit verschiedenen Techniken ("Pille", Spritzen, Spirale, Kondome) eine Geburtenkontrolle und Familienplanung möglich zu machen, um das Verhungern der zahlreichen Kinder zu vermeiden, kam in den 90ern auch die ebenso per Kondom betriebene Aids-Vorsorge in Afrika hinzu, 1995 die Verteilung von und Anleitung im Gebrauch von mit Insektiziden präparierten Moskitonetzen, Jodsalz und Vitaminen. Neben einer aufklärenden Fernsehserie namens "SIDA dans la Cité" (SDLC) - nicht "Sex", sondern "Aids in the City" - gehört hierzu auch die Verteilung und Erklärung von Kondomen, darunter auch dem Frauen-Kondom Femidom.

TV-Serie "Aids in der Stadt"

Je nach Land müssen die Kampagnen dabei angepasst werden, so war in Zimbabwe das dort negativ belegte Wort "condom" zu vermeiden und natürlich sind minimale Verkaufspreise wichtig. In Rumänien wurde gar eine "Liebespolizei" (Love Plus Police) installiert, die Jugendliche im Park, am Strand und in Kneipen "kontrolliert", ob sie auch Kondome dabeihaben. Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet, hat sich PSI jetzt jedoch einen besonders harten Brocken vorgenommen: Afghanistan.

Das Land ist auch ohne Taliban sehr konservativ und das Wort "Sex" absolut tabu. In der kommenden Woche soll der offizielle Startschuss für das Vorhaben gegeben werden. Der diskrete Verkauf von rund 1,6 Millionen geplanten Verhüterli hat indes längst begonnen. Mitttels öffentlicher Subventionen durch die US-Entwicklungsbehörde "U.S. Agency for International Development" (USAID) und mit Zustimmung des afghanischen Gesundheitsministeriums werden schon seit Januar unauffällig die Überzieher der extra für Afghanistan kreierten Marke "Number One" (Nummer eins) zum Stückpreis von einem Afghani, umgerechnet knapp zwei Cent, an den Mann beziehungsweise die Frau gebracht: PSI- Mitarbeiter Andrew Miller berichtet, dass in Apotheken und Geschäften fünf großer afghanischer Städte schon rund 400.000 Kondome verkauft wurden.

Die rumänische "Liebespolizei"

Die größte Herausforderung steht den Organisatoren jedoch noch bevor, wenn in dem islamischen Land in der kommenden Woche erstmals "kulturell angepasste" Radiospots geschaltet und Plakate angebracht werden sollen. Damit soll das Produkt zur Geburtenkontrolle erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. "In dem islamischen Kulturumfeld müssen wir einen sanften Ansatz finden, um nicht die afghanischen Sensibilitäten zu verletzen", betont Miller. Obwohl offiziell schon seit mehr als zwei Jahren nicht mehr unter der Knechtschaft der repressiven Taliban sunnitischer Ausprägung, bleibt die afghanische Gesellschaft weiterhin zutiefst grundkonservativen Werten des Islam verbunden, in denen sexuelle Aspekte stark unterdrückt werden. Themen rund um Sex sind wie in anderen islamischen Staaten nach wie vor absolut tabu.

Mittel zur Empfängnisverhütung tauchten am Hindukusch zwar erstmals während der sowjetischen Besatzung Anfang der 80er Jahre auf und sind heute in den meisten Drogerien erhältlich. Sie werden jedoch nur selten benutzt und stets versteckt gehalten. Zur PSI-Kampagne gehört demgemäß eine dezente Gestaltung der Kondomverpackung. Auf nüchterner blauer Pappe ist lediglich der gelbe Schriftzug "Number One" zu lesen sowie eine "1", die nach dem Willen des US-Unternehmens nicht etwa auf die Position der USA in der Welt anspielen soll, sondern eine ganz dezente phallische Anspielung darstellt, um den Verwendungszweck trotz aller Diskretion klarzustellen. Die Gummis kommen dabei natürlich ohne hierzulande durchaus übliche Geschmacks- oder Duftzusätze oder gar lustige Sonderformen daher.

"Number One" – das Kondom für Afghanistan

"Es hat uns einiges Kopfzerbrechen bereitet, die Gebrauchsanweisung zu übersetzen und die Packung zu gestalten, ohne dass es schockt", berichtet Emmanuel de Dinechin von Altai Consulting, die bei der Produkteinführung beratend zur Seite standen. "Afghanen zeigen gegenüber Sexualität eine abgrundtiefe Ignoranz, die Erziehungsarbeit in dieser Hinsicht ist enorm". Zu den kulturellen Hindernissen gehört, dass es in Afghanistan undenkbar wäre, das Überziehen eines Kondoms mit einer Zeichnung zu illustrieren. Eine direkte wörtliche Übersetzung westlicher Handhabungshinweise in die Landesprachen Paschtu und Dari verbietet sich ebenso: Wörter wie "Sex" sind schlicht nicht akzeptabel.

Bei gerade mal knapp einem Dutzend öffentlich gemeldeter Fälle von HIV und Aids ist die Immunschwäche kein geeigneter unsexueller Aufhänger für die Werbekampagne. Vielmehr geht es PSI darum, afghanischen Paaren ein besseres "Timing" ihrer Nachwuchsplanung zu ermöglichen und damit gegen die dramatisch hohe Muttersterblichkeit vorzugehen. Der ursprünglich geplante Spruch "Für eine kleinere Familie" musste dagegen verworfen werden, da in Afghanistan von Frauen grundsätzlich das Gebären von fünf bis sechs Kindern erwartet wird. Nun lautet der Werbespruch dezenter: "Für ein komfortableres Leben - mach deine Familie zur Nummer eins", um die Afghanen mit "Number One" vertraut zu machen.