Heldenbespaßung im Kerker

Im "Dungeons" übernimmt der Spieler die Rolle des dämonischen Entertainers

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In den 90ern parodierte Peter Molyneux mit dem Echtzeitstrategiespiel Dungeon Keeper gängige Rollenspielklischees. Ist Dungeons ein würdiger Nachfolger?

Helden sind schon ein seltsames Völkchen. Zwanghaft auf der Suche nach Abenteuern, durchstöbern sie die düstersten Kerker. Sind die Verliese mit Fallen gespickt, freuen sich die Helden sehr, denn das bedeutet Grübelei. Dankbar sind sie auch für aufgespießte Totenköpfe und andere makabre Dungeon-Details, bei denen es sich so richtig gruseln lässt. Schaut ein Monster um die Ecke, stürzen sich die Helden sogleich mit einem gejauchzten "Erfahrungspunkte!" auf die arme Kreatur. Und wenn die Draufgänger zu guter Letzt eine randvoll gefüllte Schatztruhe finden, bekommen sie ganz glasige Äuglein.

Dass hinter diesem Abenteuer-Tourismus eine ausgefeilte Logistik steckt, zeigt die Münchner Entwicklerfirma Realmforge Studios mit ihrem Spiel PC-"Dungeons". Als dämonischer Kerkermeister bespaßt der Spieler einfältige Helden, nur um ihnen anschließend die frisch gewonnene Seelenenergie abzuzapfen. "Dungeons" steht in der Tradition des 90er-Jahre-Klassikers "Dungeon Keeper" von Peter Molyneux und den Bullfrog Studios. Realmforge bedient sich beim Spielprinzip aber auch aus anderen Quellen wie Theme Park oder Die Sims. Mit M.U.D. TV, einer Neufassung der klassischen Wirtschaftssimulation Mad TV, hatten die Entwickler unlängst kein glückliches Händchen bewiesen. Um so gespannter durfte man sein, ob sie es dieses Mal besser machen würden.

"Dungeons" beginnt mit einem folgenschweren Verrat: Der Fürst der Unterwelt wird von seiner Geliebten Calypso verlassen. Um die Macht an sich zu reißen, öffnet Calypso die Tore zur Oberwelt – schon wimmelt es im Kerker von goldgierigen Abenteurern. Hals über Kopf treten der Dungeon Lord und sein treuer Goblin-Diener "Sidekick" die Flucht in ein neues Verlies an. Von Rache getrieben, baut sich der Kerkermeister dort ein neues Imperium auf.

Zunächst gilt es, den noch trostlos leeren Dungeon mit allerlei Attraktionen zu befüllen: Aus der Vogelperspektive platziert der Spieler Monster, Schätze und Einrichtungsgegenstände im Labyrinth. Beim Ausbau helfen Arbeiter-Goblins, die auf Befehl Gänge und Kammern graben und Schatztruhen mit Gold befüllen. Für magisch veranlagte Helden richtet der Dungeon Lord Bibliotheken ein, Diebe erfreut er mit Fallen.

Das sorgfältige Dekorieren des unterirdischen Freizeitparks hat gleich mehrere Vorteile: Erstens verleiht es dem Kerkermeister mehr Macht ("Prestige") und steigert seine persönlichen Attribute wie Kampfkraft und Panzerung. Zweitens halten die Kerkerattraktionen die chronisch neugierigen Menschlein, die in schöner Regelmäßigkeit durch verschiedene Tore ins Verlies eindringen, vom lebenswichtigen Dungeon-Herz fern. Und drittens möchte man doch die Helden möglichst gut unterhalten, auf dass sie mit goldprallen Taschen und randvoller Seelenenergie gen Ausgang trotten. Dann ist der große Moment des Dungeon Lord gekommen: Er haut die Helden aus den Wildlederstiefeln und sperrt sie in die Folterkammer, um auch noch das letzte bisschen Energie aus ihnen herauszupressen. Die Energie wiederum nutzt der Lord, um die Eigenschaften seiner Kreaturen aufzubessern. Schließlich sollen die Vampirfledermäuse, Werratten und Schleimwesen den Helden hübsch Widerstand leisten.

Realmforge lockert das Kerker-Management mit zahlreichen Missionen auf. Der Spieler fängt Diebeskonvois ab, eskortiert Monster, besteht Bosskämpfe und einiges mehr. Leider ist "Dungeons" aber keineswegs so spaßig und spannend, wie das Grundkonzept erhoffen lässt. Der Ärger beginnt schon beim Tutorial: Statt den Spieler in die Fülle von Wahl- und Upgrade-Möglichkeiten einzuweisen, gibt Dungeons allenfalls bruchstückhafte Tipps. Auch das Handbuch liefert wenig konkrete Hinweise, sondern ergeht sich in launischen Bemerkungen – etwa der, dass Handbücher "Lebenszeitverschwendung" seien. Nun ist ja grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, dass der Spieler sich sein Wissen selbst erarbeitet. Im Fall von "Dungeons" hat er dazu aber nur selten Gelegenheit. Kaum einmal gibt das Spiel darüber Auskunft, was man besser machen könnte – etwa, wenn die Helden unzufrieden sind.

Noch gravierender als das mangelhafte Feedback sind die vielen nervtötenden Zusatzaufgaben. Da gibt es beispielsweise die Episode mit dem Zombiekönig, einem Vorgesetzten des Dungeon Lord. Alle paar Minuten tauchen im Kerker feindliche Skelettkrieger auf, die aus der Armee des Zombiekönigs desertiert sind. Der Dungeon Lord muss dann jedes Mal durch das halbe Labyrinth hetzen oder sich per kostspieligem Zauberspruch zum Dungeon-Herz beamen, um die Skelette zu stoppen. In dieser Zeit liegen alle Projekte brach, die der Kerkermeister gerade auf der Liste hat. Die immer wiederkehrenden Zusatzaufgaben sind nicht nur monoton – die Zeitlimits sind auch sehr knapp bemessen. So kann es passieren, dass schon ein kleiner Fehler das mühsam angelegte Dungeon-Biotop aus dem Gleichgewicht bringt. Zeit zur Korrektur bleibt dann meist nicht mehr, die Abwärtsspirale ist bereits in Gang gesetzt. Um so schlimmer, dass die Maussteuerung hakelig und reichlich unpräzise ist: Viele Aktionen dauern schon allein deswegen zu lange.

"Dungeons" gibt sich sichtlich Mühe, den ironischen Grundton des Originals zu treffen. Den einen oder anderen gelungenen Seitenhieb auf Rollenspiel-Klassiker wie Diablo hat Dungeons auch parat. Allerdings wirkt der Humor auf Dauer etwas altbacken und ermüdend – da helfen auch die guten Synchronsprecher nicht weiter. Atmosphärisch weiß das Spiel mit seinen düsteren Verliesen und knallbunten Artefakten durchaus zu überzeugen. Mit mehreren Patches wurden die schwerwiegendsten Bugs und Grafikfehler beseitigt, "Dungeons" stürzt jetzt nicht mehr so häufig ab. Insgesamt wirkt das Spiel aber reichlich unausgegoren. Die fehlende taktische Tiefe und die nervenden Nebenmissionen machen es dem Strategiefan schwer, sich mit "Dungeons" anzufreunden.

Heldenbespaßung im Kerker (7 Bilder)