Her mit dem Markt!

Napster hat den freien Wettbewerb um Aufmerksamkeit ermöglicht - Warum wir nach der Schließung ein neues Urheberrecht brauchen

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Es freut Unternehmen wie Sony Music Entertainment oder EMI ungemein, wenn man sie Plattenfirma oder schlicht Musikindustrie nennt. Beide Begriffe suggerieren, Musik sei ein materielles Produkt. Etwas, das aus großen, rauchenden Industrieanlagen kommt. Etwas, das man ebenso anfassen wie eine Schallplatte. Wer dieses Bild im Kopf hat, vergleicht die von jenen Unternehmen eingeforderten Rechte am geistigen Eigentum leicht mit dem Besitzanspruch an seinem Auto. Ganz klar: Industrie, Platten, Eigentum, Auto - irgendwie passt das alles.

Das tut es natürlich überhaupt nicht. Denn durch zwei wesentliche Merkmale unterscheidet sich Musik als Produkt von materiellen Gütern. Zum einen rivalisiert der Konsum nicht. Wenn jemand ein Lachsbrötchen gegessen hat, ist es weg. Niemand sonst kann jemals wieder in den Genuss dieses Brötchens kommen. Bei knapperen Gütern als Lachs - etwa Platin - werden die Folgen der Rivalität deutlich: Der Preis regelt eine effiziente Verteilung. Ein Musikalbum hingegen kann beliebig oft gekauft, gehört, besessen werden. Und deshalb kann eigentlich auch niemand durch den Preismechanismus vom Musikkonsum ausgeschlossen werden - es sei denn, Musik wird unter recht hohen Investitionskosten privatisiert, wie es etwa geschieht, wenn bei Open-Air Konzerten ein Zaun um das Gelände gezogen wird.

Genau das ist bei der Vermarktung und Distribution von Musik geschehen. Nach einem heftigem Verdrängungswettbewerb haben heute fünf Konzerne die Kontrolle über 80 Prozent des Marktes erlangt. Sie haben nun etwas, was in der Ökonomie "natürliches Monopol" heißt: Die Investitionskosten in ein eigenes Vertriebs- und Vermarktungsnetz steigen ab einem gewissen Marktanteil nicht mehr wesentlich. Um den Output zu erhöhen, muss also der Input nicht mehr ebenso stark wachsen - was den marktbeherrschenden Unternehmen einen immensen Vorteil gegenüber neuen Konkurrenten verschafft.

Diese Entwicklung wäre ohne das Urheberrecht unmöglich. Denn es gesteht den Künstlern ein temporäres Monopol an ihrem Produkt zu. Dadurch soll verhindert werden, dass sich die Produktion nicht mehr lohnt - was einem Marktversagen gleichkommen würde. Zwei Schutzrechte sind beim Urheberrecht zu trennen. Zum Einen sollen die Investitionen von Verlagen oder Musikkonzernen in ihre Künstler geschützt werden - das ist das Recht auf Amortisation. Zum Anderen soll durch die Definition geistigen Eigentums der Vergütungsanspruch der Künstler geschützt werden - das ist das Alimentationsrecht.

Sowohl das englische Copyright als auch das europäische System des droit d'auteur vermengen diese beiden Ansprüche, indem sie dem Urheber das exklusive und übertragbare Recht am Werk für seine Lebenszeit und 70 weitere Jahre einräumen. Um die Amortisation zu schützen, wären zwei Jahrzehnte mehr als genug, während ein nicht-exklusives und nicht-übertragbares Recht dem Urheber die Alimentation sichern könnte. Eine solche Regelung würde das größte Problem des heutigen Systems abschaffen: Musiker verkaufen ihre gesamten Rechte meist an die Musikkonzerne, da sie - zumindest am Anfang ihrer Karriere - kaum Verhandlungsmacht haben. Das führt dazu, dass zum natürlichen Monopol der Konzerne auch noch das temporäre am Werk kommt.

Durch die sogar nach dem Tod eines Künstlers meist exklusiv verwalteten Rechte wachsen die sogenannten Backlists der Unternehmen: Sie beherrschen nicht nur der gegenwärtige Markt, sondern auch einen stetig wachsenden Anteil am musikalische Welterbe. Den Urhebern, die ja eigentlich die Nutznießer sein sollten, hilft das kaum. Ja, es schadet ihnen zum Teil. Denn mit Hilfe des Urheberrechts ist es den Musikkonzernen gelungen, ihre Kontrolle des Marktes für das Gut Musik auf einen anderen auszudehnen: den Markt der Aufmerksamkeit.

Musiker können hier kaum mehr eigenständig konkurrieren. Die Musikkonzerne entscheiden über die Einordnung in eine bestimmte Musiksparte, über ein dieser Einstufung entsprechendes Auftreten, über die Positionierung im Radio und Musikfernsehen und über die Verfügbarkeit der Musikalben in Plattenläden. Die Konzerne sind zum Gate-Keeper geworden und bedrohen die freie Aufmerksamkeitsmarktwirtschaft.

Internet-Tauschbörsen wie Napster haben einen Ansatz gezeigt, wie diese Marktkontrolle aufzubrechen wäre. Natürlich war ein Grund für den Erfolg von Napster die illegale kostenlose Verfügbarkeit urheberrechtlich geschützter Musik. Aber das war nicht das wirklich Revolutionäre an Napster. Ein Teil der bisherigen Kunden wird das System gewiss auch gegen Bezahlung weiterhin nutzen, weil es einen extrem einfach zu bedienenden Zugang zu einem unvorstellbar großen Musikangebot bietet. Natürlich hat Napster nicht sofort eine gänzlich neue Aufmerksamkeitsökonomie geschaffen. Dem Urteil des Berufungsgerichts im Napster-Prozess zufolge, gehören etwa 70 Prozent der bei Napster gehandelten Titel den fünf großen Plattenkonzernen, 17 weitere Prozent der Titel sind bei kleineren Labels erschienen. Die restlichen 13 Prozent des getauschten Materials stammen also wohlmöglich von Künstlern, die noch nicht einmal einen Vertrag haben.

Ob die 20 im Plattenladen gewinnbringenden Prozent der Künstler auch den Markt der Aufmerksamkeit bei Napster dominieren, ist fraglich. Denn da hier die Transaktionskosten praktisch nicht vorhanden sind, hören Nutzer eher Werke unbekannter Künstler zur Probe. Wie das nötige Mindestmaß an Aufmerksamkeit für diese Titel geschaffen werden kann, ist allerdings eine bis heute nicht ausreichend beantwortete Frage. Natürlich gibt es auch unter Napsters anoymen Nutzern so etwas wie einen Dialog. ZumEeinen ist für jedermann durch einen Mausklick jeder Nutzer, der einen interessanten Geschmack zu haben scheint, direkt ansprechbar. Zum Anderen kann man, sobald ein interessanter Titel bei einem anderen Nutzer entdeckt ist, problemlos dessen gesamtes Angebot zu durchstreifen.

Ein anderes Mittel, um Aufmerksamkeit effizienter zu verteilen, sind Empfehlungsprogramme, wie man sie vom Buchhändler Amazon kennt. Wer hier ein Buch bestellt, bekommt eine Übersicht, was andere Käufer dieses Werkes auch noch erstanden haben. Ein solches System hat einen großen Nachteil: Fehlt die kritische Menge von Nutzern, die unbekannte Titel empfehlen, wird man auch hier nur auf bereits Bekanntes verwiesen werden.

Daran krankte wohl auch das am Massachussetts Institute of Technology (MIT) entwickelte Musikempfehlungssystem Firefly. Doch es gibt auch Unternehmens wie Media Unbound, die für ihre Empfehlungen einen Methodenmix aus Nutzerempfehlungen, einer redaktionellen Bearbeitung durch Experten und statistischen Modellen verwenden. Bei Media Unbound kann der Nutzer die Empfehlungskriterien für selbst bestimmen und skalieren. So können hier für die Empfehlungen Genre, Stimmung, Zeitperiode, Künstler, Gitarrenstil gemischt werden. Der Nutzer kann auch festlegen, wie hoch der Anteil an unbekannten Künstlern sein soll. Ein solches System, Gigabeat, wurde kürzlich von Napster aufgekauft. Die Kombination ist verlockend: Mit Hilfe des leicht zugänglichen Angebots von Napster können die Nutzer ihre Empfehlungen ohne Aufwand und Kosten testen und je nach Ergebnis die Empfehlungen sogleich modifizieren.

Solche Entwicklungen werden jedoch dadurch blockiert, dass die Alimentationsrechte der Künstler und die Amortisationsrechte der Konzerne immer noch an ein Monopol auf dem Markt für Aufmerksamkeit gebunden sind. Dabei ist Eigentum nur ein Konstrukt, das bestimmte soziale und wirtschaftliche Funktionen erfüllen soll. Warum also nicht das Konstrukt neu konstruieren?

Eine solche Modifikation scheint um so nötiger, wenn man die geplanten Internetangebote der Musikindustrie genauer betrachtet. Zwei Plattformen für den Vertrieb von Online-Lizenzen haben sich gebildet: Auf der einen Seite die Kooperation MusicNet der Unternehmen AOL Time Warner, Bertelsmann, EMI und des Softwareherstellers RealNetworks. Auf der anderen Seite Duett von Sony und Vivendi Universal. Da Nutzer Musik nicht nach den Rechteinhabern aussuchen, werden Drittanbieter von beiden Parteien Lizenzen erwerben müssen. Ein weit größeres Problem als die Kosten sind dabei die unterschiedlichen Technologien.

Denn bislang baute jeder Konzern bei digitalen Muskdateien auf seine eigene Verschlüsselungstechnik und sogenannte Digital Rights Managment Software (DRM). Zunächst muss hier eine einheitlich Plattform geschaffen werden, die nicht die Mängel heutiger DRM-Technik aufweist: Langsamkeit, verminderte Klangqualität, häufige Programmabstürze. Ein Grund für Skepsis gegenüber den neuen Online-Angebot ist auch das Eingeständnis von MusicNet, man werde wohl mit nur 70000 Titeln starten. Es ist klar, dass die Musikkonzerne Investitionen für Digitalisierung und Online-Verfügbarkeit bei Titeln scheuen, die nur eine geringe Nachfrage versprechen. Dadurch, dass sie über die Digitalisierung entscheiden, habe die fünf Gate-Keeper immer noch marktbeherrschende Position auf dem Markt für Aufmerksamkeit.

Schon fürchtet etwa das unabhängige US-Label TVT Records, dass die Internetangebote allein von den großen Konzernen beherrschten werden könnten. Bei einer Anhörung über Napster und das Urheberrecht vor dem US-Justizausschuss nannte ein Vertreter der CD-Ladenkette Tower Records die Internetpläne der Musikkonzerne einen Versuch, über die Kontrolle legitimer Musiknutzung ein neues Vertriebsmonopol aufzubauen und andere Anbieter aus dem Geschäft zu drängen. Was also tun?

Eine mögliche Lösung für die fehlende Alimentation und Amortisation bei Napster könnten obligatorische Lizenzen für digitale Musikangebote sein. In den Vereinigten Staaten gibt es ein ähnliches System bereits beim Radio. Die Stationen stellen ihr Programm nach eigenem Gutdünken zusammen und zahlen vom Justizministerium festegesetzte Beträge an die Verwertungsgesellschaften. Im Internet wollen die Musikkonzerne dieses Verfahren aber um jeden Preis verhindern, schütten doch die Verwertungsgesellschaften einen größeren Anteil ihrer Einnahmen an die Musiker als an die Musikkonzerne aus. Zu lösen ist diese Problem wohl nur durch eine Reform des Urheberrechts, welche die Ansprüche der tatsächlichen Urheber klar von denen der Unternehmen trennt.